Kreis Pinneberg

Schenefelder Stadtbäckerei Drave muss Insolvenz anmelden

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Arne Kolarczyk
Ein Bild aus besseren Tagen: 2010 nahmen der damalige geschäftsführende Gesellschafter Silvan Drave und sein Team am bundesweiten Wettbewerb „Mutmacher der Nation“ teil. 2012 verkaufte die Familie dann alle Anteile ihres Unternehmens an einen Investor.

Ein Bild aus besseren Tagen: 2010 nahmen der damalige geschäftsführende Gesellschafter Silvan Drave und sein Team am bundesweiten Wettbewerb „Mutmacher der Nation“ teil. 2012 verkaufte die Familie dann alle Anteile ihres Unternehmens an einen Investor.

Foto: DasÖrtliche Service- und Marketing GmbH

Warum dem Traditionsbetrieb Corona-Krise zugesetzt hat. Und welche Chancen der Insolvenzverwalter sieht.

Schenefeld. Am Dienstag hat Insolvenzverwalter Gideon Böhm die 100 Mitarbeiter informiert. Ihr Arbeitgeber, die Stadtbäckerei Friedrich Drave aus Schenefeld, ist pleite. Der Traditionsbetrieb mit 15 Filialen, vor genau 120 Jahren gegründet, ist ein Opfer der Corona-Krise. Seit Mitte März sind die Cafés der Bäckereien geschlossen, nur ein Außer-Haus-Verkauf ist möglich. Nun fehlt das Geld, es blieb nur der Weg zum Insolvenzgericht. Das hat Ende voriger Woche den Sanierungsexperten Böhm eingeschaltet – und der ist zuversichtlich, einen Investor zu finden.

„Wir werden den Betrieb vollumfänglich weiterführen“, kündigt der Hamburger Rechtsanwalt an. Die Agentur für Arbeit übernehme für drei Monate die Löhne der meisten Mitarbeiter, deren April-Gehalt noch nicht gezahlt worden ist. Dies erfolge im Rahmen einer Insolvenzgeldvorfinanzierung. „Das gilt aus rechtlichen Gründen nicht für die Mitarbeiter, für die Kurzarbeitergeld beantragt worden ist“, so Böhm weiter. Was sie angeht, sei er ebenfalls mit der Agentur für Arbeit in Kontakt.

Insolvenzverwalter hofft auf baldige Wiederaufnahme des Cafébetriebs

Der Insolvenzverwalter hofft, in Kürze wieder den Cafébetrieb aufnehmen und die betroffenen Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurückholen zu können. Auf diese Weise würde sich auch die Einnahmesituation des Traditionsunternehmens wieder verbessern.

Die Stadtbäckerei Friedrich Drave GmbH gehört seit 2012 zu 100 Prozent der Vermögensverwaltungsgesellschaft Roggenbuck, nachdem sie sich zuvor durchgehend in Familienbesitz befand. Bereits 2010 gab die Familie Drave erste Anteile an die Vermögensverwaltungsgesellschaft ab, 2011 soll das Unternehmen dann knapp an der Insolvenz vorbeigeschrammt sein.

Nach der Übernahme gab es mehrfache Wechsel in der Geschäftsführung, zuletzt leiteten Frank Hellmig und Vanessa del Valle Riviera das Unternehmen. Die neuen Eigentümer investierten 2,5 Millionen Euro in eine hochmoderne, 1200 Quadratmeter große Produktionsstätte im Schenefelder Gewerbegebiet Achtern Teenbargen – direkt neben dem Trauerzentrum am Dannenkamp.

An alter Betriebsstätte entstand ein Haus mit 18 Mietwohnungen

Damals wollte Drave große Brötchen backen. Riesige Kühlkammern für die Teiglinge, Öfen, Backstraßen, Siloanlage, Fettbäckerei, Büros sowie Aufenthalts- und Sanitärräume – für den Traditionsbetrieb der Aufbruch in eine neue Zeit, in der die langjährige Inhaberfamilie keine Rolle mehr spielte. Nach der Inbetriebnahme wurde die alte Produktionsstätte am Sülldorfer Weg abgerissen, an ihrer Stelle ließ der neue Eigentümer auf dem 2200 Quadratmeter großen Gelände einen großen, bei den Anwohnern nicht unumstrittenen Wohnblock mit 18 Mietwohnungen inklusive einer Tiefgarage hochziehen.

Als Ende 2012 die Produktion am Dannenkamp den Betrieb aufnahm, hatte das Unternehmen 19 Filialen in den Kreisen Pinneberg und Segeberg sowie im Hamburger Randgebiet, beschäftigte 170 Mitarbeiter, davon 25 an dem neuen Produktionsstandort. Mittlerweile ist die Zahl der Filialen ebenso wie die der Mitarbeiter deutlich gesunken. Geblieben sind beispielsweise zwei große Geschäfte in Schenefeld – im Stadtzentrum und an der Hauptstraße in einem ehemaligen Edeka-Supermarkt, zwei Filialen in Pinneberg sowie zwei weitere in Hamburg-Osdorf.

Produktion ist für bis zu 25 Filialen ausgelegt

Dabei könnte die Produktionsstätte deutlich mehr Geschäfte mit frischen Backwaren versorgen. Sie ist laut den Angaben der damaligen Geschäftsführung für bis zu 25 Filialen ausgelegt. Eine Expansion erfolgte jedoch nicht, obwohl der damalige Geschäftsführer den Satz prägte: „Wachstum ist besser als Gesundschrumpfen.“ Die Eigentümer stellten jetzt auch kein zusätzliches Kapitel bereit, um den Liquiditätsengpass in der Corona-Krise zu überbrücken. Der Insolvenzverwalter Böhm hat sich inzwischen einen ersten Überblick verschaffen können – und hält die Substanz des Unternehmens für gut. „Bei mir haben sich mehrere Interessenten gemeldet, die sich eine Übernahme vorstellen können.“ Zwei Bewerber stuft der Rechtsanwalt als ernsthaft ein, will mit ihnen verhandeln. „Ich strebe eine übertragene Sanierung an.“

Diese könne möglicherweise zum 1. Juli erfolgen. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es für alle Mitarbeiter weitergehen wird“, so der Insolvenzverwalter weiter. Er hat nunmehr sämtliche Mitarbeiter der Stadtbäckerei über die Situation informiert – und zwar Standort für Standort. „Eine Betriebsversammlung mit allen Mitarbeitern ist in Zeiten der Corona-Pandemie nicht möglich.“

Böhm kann sich vorstellen, dass ein etwa gleich großer Wettbewerber die Stadtbäckerei Drave übernimmt und auf diese Weise ein profitables Großunternehmen entsteht, das in der hart umkämpften Bäckereibranche mit zuletzt einigen namhaften Insolvenzen dauerhaft bestehen kann. Der traditionsreiche Name Drave würde möglicherweise verschwinden, die Standorte jedoch würden bleiben und alle Mitarbeiter ihren Job behalten.

Die Geschichte: 120 Jahre und fünf Monate

Im Januar 1900 kaufte Diedrich Meyer eine Bäckerei am Sülldorfer Weg von dem Müller Lohse. Der Deal umfasste auch einen hölzernen Auslieferungswagen, eine braune Stute und eine Wasserstelle.

Zusammen mit einem Gesellen produzierte Meyer nachts das Brot und fuhr es tagsüber mit Pferd und Wagen in Schenefeld, Blankenese und Nienstedten aus. Damals hatte Schenefeld 909 Einwohner – es gab fünf Bäckereien.

Der Betrieb wuchs um mehrere Erweiterungsbauten. 1942 übernahm Schwiegersohn Friedrich Drave die Geschicke des Familienunternehmens und gab ihm seinen Namen. 30 Jahre später, als Schenefeld die Stadtrechte verliehen wurden, wurde er bei der IHK zu Kiel vorstellig und sicherte der Firma den Namen Stadtbäckerei Drave.

1979 übernahm Silvan Drave den Betrieb, dessen Söhne Christoph und Silvan jun. die vierte Generation bis zum Ausstieg der Familie bildeten. Bis heute ist die Stadtbäckerei außer Harry der einzige Brot produzierende Betrieb in Schenefeld.

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