Uetersen

Immer mehr Grabflächen bleiben ungenutzt

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Thomas Pöhlsen
Friedhofsverwalter Helmut Keßler zwischen leeren Grabreihen

Friedhofsverwalter Helmut Keßler zwischen leeren Grabreihen

Foto: Thomas Pöhlsen / HA

Veränderungen der Bestattungskultur stellen Friedhöfe vor Herausforderungen. Bestatter reagieren mit neuen Angeboten auf den Trend.

Uetersen.  Wer von der alten Kapelle her den Uetersener Friedhof betritt, nimmt die wenigen Rasenflächen zwischen den Gräbern kaum wahr. Bei der neuen Kapelle werden die Lücken schon größer und hinter dem Gebäude sind dann nur noch wenige Gräber zwischen den weiten Grasflächen zu finden. „Wir haben es mit einer dramatischen Veränderung der Bestattungskultur zu tun, die uns vor Probleme stellt“, sagt Friedhofsverwalter Helmut Keßler.

Vor 20 Jahren waren 75 Prozent der Beerdigungen in Uetersen Erdbestattungen und 25 Prozent Urnenbestattungen. Heute sind es 75 Prozent Urnenbestattungen. Hinzu gekommen sind alternative Bestattungsformen, etwa im Wald. Deutlich häufiger genutzt werden auch Seebestattungen. Keßler erklärt, dass alle Friedhöfe, egal ob konfessionell oder von Kommunen betrieben, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hätten.

Friedhöfe verzeichnen drastische Einnahmerückgänge

Die Veränderungen haben nämlich zu drastischen Einnahmenrückgängen geführt. Gräber werden aufgelöst, doch die Fläche müsse weiter gepflegt werden. In Uetersen hat die Friedhofsverwaltung auf die neuen Rahmenbedingungen reagiert. So wurde ein anonymes Urnenfeld geschaffen, zudem wird ein Rasenurnengrab angeboten. Dort haben zwei Urnen Platz, ein Grabstein weist auf die Verstorbenen hin.

„Die Grabpflege wird immer häufiger als belastend empfunden“, erklärt Keßler die Gründe für die Veränderungen der Bestattungskultur. In der Großelterngeneration ging es noch am Sonntagvormittag in den Gottesdienst und anschließend zum Grab der Vorfahren. Heute wohnten manche Verwandte nicht mehr am Ort oder sie würden sich nicht für das Grab interessieren. Manchmal veranlassten Menschen bereits vor ihrem Tod, dass sie anonym bestattet werden wollen, weil sie die Nachfahren nicht mit der Grabpflege belasten möchten. Es komme vor, dass Verwandte schon nach zehn, 15 Jahren bei der Friedhofverwaltung anfragen, ob ein Grab aufgelöst werden könne. In Uetersen wurde die Lösung gefunden, dass ein Grab nach 20 Jahren eingeebnet werden kann, die Angehörigen jedoch die weitere Pflege für die restliche Nutzungszeit bezahlen müssen.

Keßler verwaltet nicht nur den Uetersener und den Tornescher Friedhof, er unterstützt zudem die Kirchengemeinde Seester. Er arbeitet auch als einer von drei ehrenamtlichen Friedhofsberatern der evangelisch-lutherischen Kirche im Kreis Pinneberg. Er kennt sich aus, weiß jedoch von keinerlei Plänen, freie Friedhofsflächen umzuwidmen, etwa für den Wohnungsbau oder als Park. Der wichtigste Grund dafür sei ein emotionaler. „Die Menschen würden protestieren, wenn sie wüssten, das Wohnungen gebaut werden sollen, wo ihre Vorfahren beerdigt wurden“, sagt Keßler. Als Beispiel führt er den Sturm der Entrüstung an, den das Schreddern von historischen Grabsteinen im Cäcilie-Bleeker-Park durch den Uetersener Bauhof auslöste.

Ein weiterer Grund: Selbst wenn die Nutzung des Grabes ausgelaufen und die Oberfläche mit Gras eingesät worden ist, können sich im Erdreich immer noch Überreste der Verstorbenen befinden. Sie müssten aufwendig und kostenintensiv umgebettet werden.

Dass die Menschen heutzutage einen anderen Bezug zu Friedhöfen haben als früher, weiß auch Andreas Hinrich, der zusammen mit seinem Cousin Ralf das Uetersener Unternehmen Hinrich Bestattungen leitet. „Die Branche ist in Bewegung“, erklärt Andreas Hinrich. Da sei zum einen der Trend zum pflegeleichten Grab. Zudem wollten die Menschen immer häufiger individuelle Lösungen.

Anfang des Jahrtausends hatte sein Unternehmen noch seinen Sitz in der Meßtorffstraße, und zwar unter deutlich beengteren Bedingungen als heute an der Reuterstraße. „Wir merkten, dass vielfach nicht mehr nur zwei Personen zu den Beratungsgesprächen kamen, sondern ganze Familien mit sechs bis acht Personen“, erinnert er sich. Mit dem Umzug vor elf Jahren wurde auch ein Abschiedsraum geschaffen. Der ist so gut angenommen worden, dass er 2016 noch einmal erweitert wurde. Jetzt bietet er bis zu 30 Trauernden Platz. Verwandte und Freunde können dort zusammen kommen, um sich am offenen oder geschlossenen Sarg zu verabschieden. Über einen Beamer können Bilder an die Wand projiziert werden, manchmal werden Fotoalben mitgebracht. Es gibt Kaffee oder Wasser. „Die Trauernden kommen so ins Gespräch“, sagt Hinrich. Solche Abschiede könnten schon mal zwei Stunden dauern.

„Wir sehen es als Alternative, nicht als Konkurrenz zu den Bestattungsmöglichkeiten der Kirche“, sagt Hinrich. So könnten sich etwa kleinere Gruppen bei einer Trauerfeier in einer großen Kirche fehl am Platz vorkommen. Frühzeitig seien die Pastoren aus der Umgebung eingeladen und ihnen das Projekt vorgestellt worden. Wenn der Kunde es wünscht, kann nun ein Pastor während der Abschiedsfeier beim Bestatter sprechen. Die Kirchenvertreter hätten sich offen für diese Möglichkeit gezeigt.

Immer häufiger wollten die Trauernden auch nur einfach am Grab stehen, ohne Rede oder Feierlichkeit, erklärt Hinrich. Er rät allerdings von dieser Form ab. „Eine Trauerfeier ist ein wichtiger Bestand, um innerlich von dem Verstorbenen Abschied nehmen zu können“, sagt er. Sie könne kurz, jedoch einprägend und individuell sein. So berichtet Hinrich von einer Bestattung am offenen Grab. Es war dunkel, die Szenerie sei durch Fackeln beleuchtet, nur eine kurze Rede gehalten worden. Danach wurde etwas abseits ein Grappa gereicht, den der Verstorbene früher gern ausgeschenkt hatte. Ein Abschied, der bei den Trauergästen in Erinnerung geblieben sein dürfte.

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