Konzern errichtet Wände in Thesdorf, Bewohner des Neubaugebiets Düpenau Eck sollen leer ausgehen. Das wollen sie nicht hinnehmen

Pinneberg. Anfangs ist es nur ein leises Rauschen. Doch als der Güterzug aus Hamburg näher kommt, wächst das Geräusch zu einem Lärmorkan, in dem die Worte von Kadir Tokus verloren gehen. „So leben wir hier“, brüllt er. Dann geht er in Deckung, sucht Schutz vor Steinen, die aus dem Gleisbett geschleudert werden könnten. Nein, Kadir Tokus hat sich nicht freiwillig zu nah an die Gleise gewagt. Er steht in seinem eigenen Garten. Der grenzt direkt an eine der meistbefahrenen Bahnstrecken Deutschlands.

280 Züge donnern täglich vorbei. Gleich nebenan baut die Bahn AG derzeit Lärmschutzwände. Die Pfeiler stehen bereits. Doch Tokus und seine Nachbarn sollen leer ausgehen. Ihre 2014 neu bezogenen Reihenhäuser werden komplett ausgespart. Der Grund: Gebäude, die nach 1974 errichtet wurden, finden keine Aufnahme in das Lärmschutzprogramm des Bundes. Die Bewohner der Häuser im Neubaugebiet Düpenau Eck wollen kämpfen. Zur Not vor Gericht. „Eine Sammelklage gegen die Bahn ist denkbar“, sagt Bert Bargholz, der seit 2014 ebenfalls am Gleis wohnt.

200.000 Euro haben die Familien, die in die Reihenhäuser eingezogen sind, für jeweils 111 Quadratmeter Wohnfläche und den kleinen Garten hingeblättert. In der Hoffnung, dass für Schutz vor Lärm und herumfliegenden Teilen noch gesorgt werde. Während eines Info-Abends sei dergleichen versprochen worden. „Mir wurde persönlich bestätigt, dass eine Wand installiert wird“, so Tokus. „Die Pläne wurden kurzfristig geändert.“ Tokus und seine Nachbarn haben Angst um ihre Kinder. Ein als Begrenzung zu den Gleisen aufgestellter Zaun stelle für die kein Hindernis dar. Zudem sei kürzlich ein Metallteil von einem Zug durch die Luft geschleudert worden – und habe sich in einen Schuppen gebohrt. „Das ist lebensgefährlich“, sagt Tokus.

Die genervten Anwohner des Düpenau Ecks haben sich schon vor Wochen an Verkehrsminister Alexander Dobrindt gewandt. Eine Antwort? Fehlanzeige. Der Pinneberger SPD-Bundestagsabgeordnete Erst Dieter Rossmann forderte die Bahn ebenfalls zum Umdenken auf. Er hat sich mit einem Brief an die Konzernbeauftragte für Schleswig-Holstein und Hamburg, Manuela Herbort, gewandt. Und appelliert, Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Für den ausgesparten Bereich sei ursprünglich offenbar Lärmschutz vorgesehen gewesen. Die Anwohner hätten in der Folge von Rodungsarbeiten an ihren Grundstücksgrenzen zudem davon ausgehen können, dass die Wände auch in ihrem Bereich errichtet werden. Die Bahn hatte kürzlich Brombeersträucher zwischen Häusern und Gleisen entfernt. Die Gewächse hatten den Anwohnern zuvor als Sicht- und Lärmschutz gedient.

Pinnebergs Bürgermeisterin Urte Steinberg will sich ebenfalls für die Interessen der 19 betroffenen Haushalte am Düpenau Eck stark machen. Am Dienstag verschaffte sie sich selbst vor Ort einen Eindruck, wie Rathaussprecher Marc Trampe bestätigte. „Wir werden in einem Schreiben an die Bahn für eine Lösung werben.“ Zumindest einen Kompromiss strebe die Stadt an. „Denkbar wäre, die Bepflanzung wieder herzustellen“, so Trampe. Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis macht den Anwohnern des Düpenau Ecks derweil keine Hoffnung auf ein Einlenken seines Konzerns. „Es wird in dem betreffenden Bereich definitiv keine Lärmschutzwand geben“, sagte er am Dienstag. Rossmann habe bereits Antwort auf sein Schreiben erhalten. Seitens der Stadt sei bislang noch nicht schriftlich protestiert worden. Dass während einer öffentlichen Info-Veranstaltung von einer durchgezogenen Schutzwand die Rede gewesen sei, bestreitet Meyer-Lovis nicht. Allerdings sei die Bahn von der Stadt Pinneberg mit veraltetem Kartenmaterial ausgestattet worden. „Da waren die Neubauten gar nicht eingezeichnet“, so der Konzernsprecher.

Das Areal an den Bahngleisen hatte schon 2011 für Schlagzeilen gesorgt. Seinerzeit waren Anwohner für den Erhalt eines Mini-Walds auf die Straße gegangen. Sie scheiterten mit ihrem Protest. Wo einst Hunderte Bäume standen, zog der Bauträger NCC anschließend seine Wohnhäuser hoch.

Kritische Nachfragen, wie man ein Wohngebiet direkt an den Bahngleisen überhaupt genehmigen könne, waren von den der Mehrheit der Politiker aus der Kreisstadt ignoriert worden. Joachim Dreher, Fraktionschef der Grünen, hatte schon damals darauf hingewiesen, dass in dem B-Plan die Reihenhäuser an den Gleisen quasi als Lärmschutz für die dahinter angeordnete Bebauung dienten – und das als zynisch beklagt.