Nadine Wilke-Schalhorst ist Rechtsmedizinerin in Hamburg, wo auch Fälle aus dem Kreis Pinneberg untersucht werden

Hamburg/Elmshorn . Tief unten bei den Leichen ist es kalt. Die Kühlräume im Keller des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) wirken steril und kahl, Wände und Fußböden sind mit weißen Kacheln gefliest. An der Wand steht ein heller Holzsarg, ein Raum weiter liegt ein alter Mann auf der Metallliege – tot. Sein Körper ist bis zur Brust in ein weißes Tuch gehüllt, sein Kopf ist nach rechts gedreht, er sieht friedlich aus.

Hier unten blüht Nadine Wilke-Schalhorst geradezu auf. Die Rechtsmedizinerin liebt Krimis, nicht nur in Romanen. Ihr Arbeitsplatz könnte die Kulisse des neuen Fernseh-Tatorts sein, doch hantiert die Ärztin nicht mit blass geschminkten Schauspielern. Nadine Wilke-Schalhorst ist seit sechs Jahren Rechtsmedizinerin. Im Untergeschoss des Hamburger Krankenhauses trifft sie in ihrem grünen Kittel Tag für Tag auf Verstorbene, deren Todesursache näher untersucht werden muss.

Auch gerichtlich angeordnete Obduktionen aus dem Kreis Pinneberg, werden am Universitätsklinikums in Eppendorf durchgeführt. „Es ist mein absoluter Traumberuf“, sagt Nadine Wilke-Schalhorst. „Ich obduziere gerne. Das mag jetzt ein wenig verrückt klingen, aber ich bin völlig normal und liebe das Leben in vollen Zügen.“

Das Licht der Deckenlampen im Leichenkeller ist grell, außer den Stimmen der Mitarbeiter sind im Untergeschoss keine Geräusche zu hören, Es ist still, fast totenstill. Rund 100 Leichname können in den vier bis sechs Grad kalten Kühlfächern lagern. Jeden menschlichen Körper, der in diese Hallen gebracht wird, nimmt Nadine Wilke-Schalhorst genau unter die Lupe. „Meine Aufgabe ist es anhand der sicheren Todeszeichen festzustellen, woran der Mensch gestorben ist“, sagt die Rechtsmedizinerin. „Wie lange das Sezieren dauert, ist immer abhängig von der Vielfalt der Verletzungen.“

Doch wie lässt es sich mit der täglichen Konfrontation mit dem Tod leben? Das Credo der Ärztin: Emotionen während der Arbeit nicht zulassen. „Bei der Obduktion fühle ich nichts“, sagt die verheiratete Mutter eines viereinhalbjährigen Sohnes. „Ich weiß nicht, was für ein Mechanismus das ist, aber es hilft weder den Lebenden noch den Toten, wenn ich weinend zusammenbreche.“ Was nicht heißt, dass sie keine Empathie empfinde. „Wenn das wegfallen würde, wäre ich falsch im Beruf“, sagt die Medizinerin. Die Arbeit im Leichenkeller sei für sie einfacher als die im Krankenhaus. „Der Unterschied zu der Klinik ist, dass ich den Tod sehe, aber nicht das Sterben, das ist viel schlimmer.“

Im Jahr 2014 sind 3959 Leichen in die Hamburger Klinik eingeliefert worden, 1100 davon wurden seziert. Dieses Jahr sind bereits 78 Leichen auf den Seziertisch von Nadine Wilke-Schalhorst gelandet. Je nach Aufwand kostet eine Obduktion 300 bis 500 Euro. Die Kosten für diese Untersuchungen trägt die öffentliche Hand.

Ob Opfer von Verkehrsunfällen, Sexualstraftaten, anderen Delikten oder Suiziden, Nadine Wilke-Schalhorst hat schon sehr viel gesehen.

„Man hat schon mit den Abgründen zu tun, nach jahrelanger Arbeit wundert einen nichts mehr“, sagt sie. Zu ihrem Arbeitsalltag gehören neben dem Sezieren von Menschen auch die Bearbeitung von Gerichtsgutachten, die Durchführung von postmortalen Gewebespenden und Schulungen.

Zudem gibt sie ehrenamtlich Gewaltopfern rechtsmedizinische Hilfe. Dafür hat die 37-Jährige in enger Kooperation mit dem Verein Wendepunkt Elmshorn zwei Untersuchungsstellen im Kreis Pinneberg aufgebaut. „Ich habe also mit Lebenden und Toten zu tun“, so Wilke-Schalhorst. „Jedes Opfer von Gewalt, unabhängig von der Art und Schwere der Verletzung, soll die Möglichkeit auf eine gerichtsverwertbare Dokumentation haben.“ Im Regio Klinikum in Pinneberg und im der Elmshorner Wendepunkt-Beratungsstelle hilft die Rechtsmedizinerin Gewaltopfern, nimmt Untersuchungen vor, sichert biologische Spuren, erstellt Gutachten und steht zur persönlichen Beratung zur Verfügung. Eine polizeiliche Anzeige ist für die Hilfeleistung keine Voraussetzung.

Die Ärztin hilft ehrenamtlich Gewaltopfern aus dem Kreis Pinneberg

Im vergangenen Jahr hat 2014 Nadine Wilke-Schalhorst 60 Patienten untersucht. „Ich versuche die Leute zu motivieren, die Verletzungen zeitnah dokumentieren zu lassen. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Opfer“, sagt die Ärztin. Der Kreis Pinneberg und der Lions Club unterstützen diese Arbeit finanziell. Bis 2016 sei das Programm finanziell gesichert.

In ihrem Eppendorfer Büro im ersten Stock kommt Nadine Wilke-Schalhorst zur Ruhe. „Mein Beruf verbindet mich mit den Toten. Man wird immer wieder auf den Boden zurückgeholt“, sagt die Medizinerin. Umso mehr schätzt sie die Zeit mit ihrer Familie. „Es kann einfach schnell zu Ende sein.“