Prof. Utz Schliesky, Direktor des schleswig-holsteinischen Landtags, über die Attraktivität des Mandats und sein Plädoyer für eine grundlegende Verwaltungsreform

Hamburger Abendblatt:

Wie groß sind die Gestaltungsmöglichkeiten eines Kreistagsabgeordneten insbesondere im Vergleich zu denen eines Gemeinde- beziehungsweise Stadtvertreters?

Utz Schliesky:

Die Gestaltungsmöglichkeiten sind heutzutage eher gering, weil die Kreise kaum noch Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen können. Damit schwindet der Spielraum.

Worin liegen die Unterschiede?

Schliesky:

Der große Unterschied liegt darin, dass die Kreise immer stärker staatliche Aufgaben wahrnehmen, für deren Wahrnehmung nicht der Kreistag, sondern der Landrat verantwortlich ist. Zu dem geringeren politischen Gestaltungsspielraum kommt der Geldmangel: Auch wenn die finanzielle Lage der Kommunen höchst unterschiedlich ist, so gibt es doch durchaus Gemeinden, in denen noch nennenswerte Gestaltungsspielräume bestehen. Diese fehlen den Kreisen in der Regel.

Trotzdem scheint es, als seien die Kreistagsmandate unter ehrenamtlichen Politikern sehr begehrt. Warum?

Schliesky:

Die Attraktivität lässt durchaus nach, denn die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten wirken sich auch auf die Bereitschaft zur Übernahme eines Mandates aus. Allerdings bilden gerade in einem ländlich geprägten Bundesland die Kreistage die Rekrutierungsebene für die Landespolitik. Insoweit besteht eine gewisse Attraktivität.

Oft sind Kreistagsabgeordnete zugleich Gemeinde- bzw. Stadtvertreter, vereinzelt aber auch Mitglied im Land- oder Bundestag. Eine sinnvolle Ergänzung oder ein Interessenkonflikt?

Schliesky:

Ich halte das für eine sinnvolle Ergänzung, denn bei allen diesen Mandaten geht es um die Verwirklichung des Gemeinwohls. Wenn man das im Blick behält, das immer einen Ausgleich verschiedener Interessen darstellt, sind solche Doppelmitgliedschaften wünschenswert. Sie bieten eine gute Gelegenheit, im Interesse einer Region auf einer höheren politischen Ebene tätig zu sein. Ein Bundesstaat und auch die Europäische Union leben davon, dass die Sichtweisen der Menschen vor Ort auf höheren politischen Ebenen authentisch eingebracht werden können, um abgehobene und lebensfremde Entscheidungen zu vermeiden.

Wie zukunftsfähig ist die Struktur der Kreise in ihrer heutigen Form?

Schliesky:

Die Kreise sind ihrer Idee nach aus meiner Sicht unverzichtbar, weil die ihrer Schaffung zugrunde liegenden Gedanken – die Ergänzungs- und Ausgleichsfunktion für leistungsschwächere Gemeinden und die Wahrnehmung übergemeindlicher Aufgaben, die vor Ort nicht mehr erfüllt werden können – noch heute gültig sind. Nur leider sind die Kreise heute kaum in der Lage und manchmal auch nicht willens, diese Aufgaben wahrzunehmen. Daher halte ich die heutigen kommunalen Verwaltungsstrukturen in Schleswig-Holstein insgesamt für überhaupt nicht zukunftsfähig und auf Dauer auch nicht für finanzierbar.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Schliesky:

Mein Vorschlag: Eine grundlegende Strukturreform unter Erhalt der kleinteiligen politischen Gemeindestruktur durchzuführen und nur noch eine hauptamtliche Verwaltungsebene einzurichten. Das würde die Zusammenfassung der Verwaltungen von Kreisen, kreisangehörigen Städten, Ämtern und Gemeinden bedeuten und dazu führen, dass die Zahl der Kommunalverwaltungen von gut 130 auf etwa 40 reduziert werden könnte.