Beamtin Martina Weisser aus Wedel über Aufgaben, Probleme und Vorurteile

Behörde oder Verwaltung: Das klingt für die meisten nach Papiertigern, Aktenwälzern und Paragraphenreitern, die hinter Schreibtischen verschanzt in schmucklosen Büros sitzen, endlos Formulare fordern und ausfüllen. Unterbrochen werden sie dabei höchstens von den Kaffee- und Mittagspausen oder dem Schlussgong. Eine, die über solche Vorurteile und Beamtenwitze à la Baumann&Clausen herzlich lachen kann, ist Martina Weisser. Die Wedeler Rathausmitarbeiterin ist seit 42 Jahren im Dienst und weiß, was Verwaltung wirklich bedeutet.

„Das ist unsere Bibel“, sagt Martina Weisser und zeigt auf die Gemeindeordnung, die vor ihr auf dem Schreibtisch liegt. Was in dem dicken Wälzer steht, ist für die Rathausmitarbeiter sowie für die Kommunalpolitiker, die zur Selbstverwaltung zählen, Gesetz. In der schleswig-holsteinischen Ausgabe sind alle Aufgaben festgehalten, die das Land an die Städte und Gemeinden delegiert und welche sie freiwillig auch übernehmen können wie beispielsweise die Überwachung des ruhenden Verkehrs (sprich das Knöllchenverteilen). In der Gemeindeordnung ist auch geregelt, welche Rechte und Pflichten die Politiker haben und welche der Bürgermeister als oberster Chef der Verwaltung. Zudem ist die „Verwaltungsbibel“ auch ein bisschen der Rathausknigge, der Umgangsregeln zwischen Politik und Verwaltung festlegt. Letztlich haben die Kommunalpolitiker die Entscheidungshoheit. Die Verwaltungsmitarbeiter stehen beratend zur Seite und führen die getroffenen Beschlüsse aus.

Martina Weisser hat beide Seiten kennengelernt. Sie war selbst einmal in der Kommunalpolitik aktiv. Damit war Schluss, als die Wedelerin 1990 aus der Hamburger Sozialbehörde ins Rathaus ihrer Heimatstadt wechselte. Drei Wahlperioden hat sie seitdem auf der Verwaltungsebene erlebt. Eine Entscheidung, die sie nie bereut hat. „Ich gehöre nicht zu denen, die es bereuen, in den öffentlichen Dienst gegangen zu sein. Das was ich mache, ist genau das, was ich immer machen wollte.“

Ihr Büro im ersten Stock des Rathauses ist bunt und lebensfroh. Auf der Fensterbank quetschen sich zahlreiche kleine Flaschen mit mitgebrachtem Urlaubssand. An den Wänden ist zwischen den Werbeplakaten für den Ochsenmarkt, das Hafenfest und zahlreichen Konzertveranstaltungen in Wedel kaum noch ein freier Platz zu finden. Unter dem Schreibtisch versteckt sich ein kniehoher Elefant. So ungewöhnlich wie ihr Zimmer sind auch die Aufgaben der 59-Jährigen. Sie selbst sieht sich als Scharnier zwischen Politik und Verwaltung. Denn sie schreibt die Sitzungsprotokolle für das wichtigste Gremium der Stadt, die Ratsversammlung. Zudem ist sie dem Haupt- und Finanzausschuss zugeordnet, Mitglied im Nachbarschafts- und Polizeibeirat sowie im Verein Wedel Marketing aktiv.

Doch vor allem ist Weisser Leiterin des Stadt- und Verwaltungsmarketings, eine Stelle, die sie selbst mitaufbaute und die nur wenige Städte haben. Weisser präsentiert die Stadt nach innen und außen. Zu ihr kommen Veranstalter mit neuen Ideen, mit Plakatwünschen und Sponsoring-Ideen. Über ihren Schreibtisch laufen Anfragen für Banner genauso wie Spenden an die Stadt. Als die Idee des Hafenfestes geboren wurde, organisierte sie die Großveranstaltung von 2000 bis 2004. „An Langeweile leide ich nicht“, sagt sie, während es wieder an der Tür klopft. Wo und seit wann hängen die Plakate fürs Wedeler Weinfest, wer kommt für die Kosten auf? Fragen, die nebenbei geklärt wurden.

Weisser ist eine von 360 festen Mitarbeitern der Wedeler Stadtverwaltung. Hinzukommen 90 Honorarkräfte, die zum Beispiel in den Jugendeinrichtungen arbeiten und für die Schulkindbetreuung angeheuert wurden. Die Verwaltung untergliedert sich ähnlich wie viele Stadtverwaltungen in drei große Fachbereiche. Unter den Bereich Bürgerservice fallen das Ordnungsamt, die Feuerwehr, das Standesamt, die Schulen und Weiterbildungseinrichtungen sowie die Sozialhilfe. Zur zweiten Kategorie Bauen und Umwelt gehören das Gebäudemanagement, der Umweltschutz, das Bauamt, die Stadtplanung und der Bauhof. Unter die Rubrik Innerer Service fallen die Finanzen (der Haushalt 2014 umfasst rund 70 Millionen Euro), die Wirtschaftsförderung sowie die Personalabteilung. Über allem thront der von den Bürgern direkt gewählte Bürgermeister, in diesem Fall Niels Schmidt. Er leitet die Verwaltung der 32.000 Einwohner großen Stadt.

Wedel hat aufgrund der Größe ein eigenes Bauamt und einige andere Aufgaben und Pflichten als kleinere Ortschaften. So ist auch in vielen Fragen gleich das Innenministerium des Landes als übergeordnete Behörde zuständig. Für Kommunen unter 20.000 Einwohnern ist der Kreis Pinneberg die übergeordnete Instanz. Eine Verwaltung muss seit 2007 mindestens 8000 Einwohner umfassen, was seinerzeit zu einigen Ämterfusionen wie dem Amt Pinnau aus den Ämtern Pinneberg und Bönningstedt oder Amtsanschlüssen wie Appen an das Amt Moorrege führten. Gemeinden ab 4000 Einwohner können sich einen hauptamtlichen Bürgermeister wählen, alle anderen werden ehrenamtlich geleitet. Ausnahme: Helgoland mit nur 1300 Einwohnern.

Ungewöhnlich ist in Wedel auch die Ausstattung. Nicht nur die Anzahl der Mitarbeiter ist groß, die Stadt leistet sich eine fast immer offene Rathaustür. Die Information im Erdgeschoss ist täglich besetzt, und zwar auch über die normalen Öffnungszeiten hinaus. Auf der Homepage der Stadt sind alle Mitarbeiter mit Namen und Funktion und Durchwahl veröffentlicht. Die Behördennummer 115, die über das Callcenter des Kreises läuft, sucht man hier vergebens. „Wir nehmen an der 115-Aktion teil, aber wir protegieren das nicht, weil wir unser System mit direkten Ansprechpartnern individueller und schneller finden“, sagt Martina Weisser. „Unsere Behörde entspricht nicht dem Klischee. Wir sind offener und bunter. Auch manche Beamtenwitze sind älter als das Meer.“

Alle Folgen der Serie finden Sie im Internet unter www.abendblatt.de/serie