Am Tag der Bundestagswahl stimmen Wähler im Kreis Pinneberg über zwei Bürgerbegehren ab. Entscheide nehmen zu

Kreis Pinneberg. Sollen die Städte Uetersen und Tornesch zu einer Kommune verschmelzen? Wird die letzte unbebaute Fläche am Rantzauer See in Barmstedt einem Neubaugebiet weichen? Kann das geplante Gaskraftwerk in Wedel in seinen Ausmaßen begrenzt werden? Wie stehen die Einwohner in Schenefeld zum Erhalt ihrer Grünflächen? Aktuell gibt es im Kreis Pinneberg vier Bürgerbegehren. Über zwei, die Fusionspläne von Uetersen und Tornesch sowie die Bebauung der Lillschen Wiese in Barmstedt, entscheiden die Bürger am Sonntag, 22. September, zeitgleich mit der Bundestagswahl.

„Die Leute wollen nicht mehr alles, was in ihrer Stadt passiert, ihren gewählten Stadtvertretern überlassen“, erklärt Franz-Josef Sitta, der das Bürgerbegehren in Barmstedt initiiert hat, diese Entwicklung. „Das finde ich richtig gut.“ Landesweit sind es zurzeit etwa 20 solcher Volksbegehren, die kommunalpolitische Entscheidungen mitbeeinflussen oder verändern wollen, schätzt Claudine Nierth. Genauere Zahlen hat auch das Innenministerium nicht. Doch Nierth muss es wissen. Die Sprecherin des Bundesverbandes für Mehr Demokratie, die in Elmshorn lebt, hat zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen. Ihr Verein, der auch bundesweite Volksentscheide fordert, hat den Kieler Landtag dazu bewegt, die Beteiligungshürden von kommunalen Bürgerbegehren zu verringern.

Dieser hat mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW Anfang 2013 beschlossen, dass nicht mehr zehn Prozent der Wahlberechtigten eines Bürgerentscheids (alle EU-Bürger ab 16 Jahren) die Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützen müssen, damit es zum Entscheid kommt. Und auch die Zahl der Bürger, die am Entscheid teilnehmen müssen, damit dieser Erfolg hat, ist jetzt nach der Einwohnerzahl gestaffelt, nachdem zuvor verlangt wurde, dass mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten mitmachen müssten.

Jetzt variiert das Quorum für die Unterschriften zwischen vier und zehn, das für den Bürgerentscheid zwischen acht und 20 Prozent. Dabei gilt: Je höher die Einwohnerzahl, desto kleiner die Prozentquote der zu beteiligenden Bürger. Für die drei größten Städte im Kreis Pinneberg, Elmshorn, Pinneberg und Wedel, gilt beispielsweise neuerdings, dass sieben Prozent das Bürgerbegehren unterstützen müssten, um es formal zuzulassen. Der Bürgerentscheid wäre dort erfolgreich, wenn 14 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen abgeben und die Mehrheit davon das Bürgerbegehren unterstützt.

Von einer Flut an Bürgerbegehren könne aber noch lange keine Rede sein, sagt Claudine Nierth. „Das wäre schön im Sinne direkter Demokratie.“ Auch mit dem neuen Landesgesetz, das nun die Aufstellung von Bebauungsplänen durch Bürgerentscheide verhindern kann, würden höchstens ein bis zwei Prozent aller politischen Entscheidungen in die Hände der Bürger gelegt. In der Pinneberger Kreisverwaltung kann man die Trendwende dagegen erkennen. „Besonders in diesem Jahr wurden mit vier so viele Begehren angemeldet, wie wir sie in den letzten Jahren nicht hatten“, so Kreissprecher Marc Trampe. 2012 waren es zwei Verfahren. Davor gab es lange nichts. Trampe erklärt sich den Anstieg so: „Es zeigt, dass sich die Bürger mehr mit dem Geschehen vor Ort auseinandersetzen und sich über die Wahl hinaus einbringen wollen.“

Das Bundesland mit den meisten Bürgerentscheiden sei Bayern, sagt Claudine Nierth. 2000 kommunale Volksentscheide habe es dort bisher gegeben. Besondere Aufmerksamkeit erlangte, als die Bayern 2010 für ihr Bundesland das schärfste Rauchverbot in Deutschland durchsetzten. Zudem könne der Bürger in Bayern, anders als jetzt in Schleswig-Holstein, auch die Detailplanung eines B-Planes über den Bürgerentscheid beeinflussen, so Nierth. Die Gesetzesnovelle in Schleswig-Holstein habe nun den Nachteil, dass immer wieder rechtlich geprüft werden müsse, ob das Bürgerbegehren zum jetzigen Zeitpunkt des B-Plan-Verfahrens noch zulässig sei. „Aber da sind wir mitten im Prozess.“ Sie geht davon aus, dass es bald rechtskräftige Urteile geben wird, die Präzedenzfälle schaffen.

Die Erfahrungen in vielen Bundesländern zeigten, dass auch dieser Prozess immer bürgerfreundlicher wird, so Nierth. „Der Spieß dreht um.“ So seien es vielerorts die Investoren selbst, die von sich aus einen Bürgerentscheid fordern, bevor sie einen Euro auf den Tisch legten. Dies sei beispielsweise beim Bau der Arena von Bayern München so gewesen, weil der Investor vorher gesichert wissen wollte, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter diesem Bauprojekt steht. Bauprojekte, denen ein Bürgerentscheid vorausgeht, würden von den Bürgern viel mehr akzeptiert.

Nierth: „Da, wo die Tür zu mehr Bürgerbeteiligung geöffnet wird, steigt das Interesse der Bürger merklich an. Es belebt unsere Demokratie.“