Etwa 25.000 Menschen im Kreis Pinneberg können nicht richtig lesen und schreiben. Die örtlichen Volkshochschulen wollen dagegen nun intensiver vorgehen und unterstützen.

Wedel/Tornesch. Der Vorsitzende des Deutschen VHS-Verbandes, Ernst Dieter Rossmann, appelliert an die Kommunen, die Volkshochschulen (VHS) finanziell gut auszustatten. "Die Bildungsangebote der Volkshochschulen sind enorm wichtig für Deutschland. Wenn hier gespart wird, geht dies nicht nur zu Lasten der Betroffenen, sondern auch zu Lasten des Bildungsklimas in Deutschland", sagt Rossmann. Gerade angesichts des Fachkräftemangels sei es wichtig, Lernangebote auch für finanzschwächere Familien zu sichern, um eine breite Basis an dringend benötigten Fachkräften auszubilden.

Rossmann appelliert nicht ohne Grund an die Kommunen. "Bei vielen Städten und Gemeinden sind die Haushaltskassen leer", sagt der Verbandsvorsitzende. Wenn gespart werde, dann meist zu Lasten der Bildung. Diese sei aber das Fundament für die Wirtschaft. Programme, wie etwa die Alphabetisierungskurse, die die Volkshochschulen in Wedel, Elmshorn, Schenefeld, Pinneberg und ab September auch in Tornesch anbieten, stünden ohne eine gute finanzielle Ausstattung der Bildungseinrichtungen auf wackeligen Beinen. Diese Basissprachkurse seien aber dringend notwendig.

Cornelia Meyer-Schwab, Leiterin der VHS in Wedel, und ihre Tornescher Kollegin Inga Pleines teilen Rossmanns Ansicht. "Wir haben eine enorme Verpflichtung, auch wegen der Leo-Studie zur Analphabetenquote, die Deutschland vor zwei Jahren aufgeschreckt hat", sagt Meyer-Schwab. 7,5 Millionen Menschen in Deutschland gelten als Analphabeten. 57 Prozent von ihnen sind erwerbstätig, viele im Niedriglohnsektor. Die Zahl derer, die außerdem einfache Texte nicht fehlerfrei formulieren können, werde laut Rossmann auf zwölf Millionen geschätzt.

In ganz Deutschland gibt es Alphabetisierungskurse an Volkshochschulen, doch die können lediglich 20.000 Menschen pro Jahr Hilfe bieten "Diese Zahl ist erschreckend niedrig im Vergleich zu 7,5 Millionen Analphabeten", sagt Rossmann. Die Folge: Manch ein Bewerber ist für eine Stelle wie etwa einen Pflegeberuf fachlich qualifiziert, kann aber nicht eingestellt werden, weil die Person keine fehlerfreien, verhandlungssicheren Briefe schreiben kann.

Die berufliche Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen sowie die Bekämpfung des Analphabetismus, denen sich die Tornescher und die Wedeler VHS nun in besonderem Maße widmen wollen, kosten Geld. 20 Millionen Euro habe die Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren bundesweit für solche Aktionen zur Verfügung gestellt. "Das ist viel zu wenig. Es muss viel stärker gefördert werden, und zwar auf allen Ebenen", sagt Rossmann. Er fordert daher einen Alphabetisierungspakt von Bund, EU, Land und Kommunen, damit das Thema langfristig und auch konsequent angegangen werde.

Jeder Euro, der in die Sprachförderprojekte der VHS fließe, sei gut angelegt. Darauf weist auch Meyer-Schwab ausdrücklich hin. "Die Integrationsangebote werden in einem zusammenwachsenden Europa, in dem die Menschen zunehmend auch über Ländergrenzen mobil sein müssen, immer wichtiger. Auch der Erwerb interkultureller Kompetenzen und beruflicher Anschlussqualifizierungen ist vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung", sagt Meyer-Schwab. Den Volkshochschulen komme daher, so Rossmann, als größte bundesdeutsche Bildungseinrichtung eine besondere Rolle zu, um Schlüsselkompetenzen und Berufsabschlüsse zu vermitteln.

Das ist aber nicht leicht. "Vielen Menschen ist es peinlich, dass sie nicht lesen und schreiben können. Sie verstecken sich", sagt Pleines. Dabei seien diese Menschen oft immens kreativ und leistungsfähig. "Wir wollen sie nicht verurteilen für ihre Lese- und Schreibschwäche. Wir wollen helfen. Und daher hoffen wir auch, dass die Bürger den betroffenen Menschen über Mund-zu-Mund-Propaganda von unserem Angebot erzählen", sagt sie.

In Tornesch beginnt der erste Kursus für Alphabetisierung und Grundbildung am 10. September und geht über zehn Abende (Anmeldung unter Telefon 04122/40 15 40). Pleines hofft, dass dann die ersten Mutigen auch den Schritt in die VHS wagen.

Meyer-Schwab glaubt, dass die Volkshochschulen sich angesichts dieser Herausforderungen auch künftig anders aufstellen müssen. "Wir wollen flexiblere Bildungsangebote", sagt die VHS-Leiterin. Die VHS dürfe nicht mehr darauf vertrauen, dass die Bürger zur VHS kommen , wenn diese Fortbildungs- und Alphabetisierungprogramme anbiete. "Wir müssen auch andersherum agieren. Wir wollen beispielsweise den Weg zu den Betrieben in Wedel suchen, um Fortbildungskurse und andere Angebote direkt dort anbieten zu können, wo sie benötig werden", sagt Meyer-Schwab. Für das Jahr 2014 sollen die ersten Angebote stehen.

Auch die Öffnungszeiten will die VHS Wedel künftig flexibler handhaben und mehr Wochenendkurse anbieten. Kooperationen mit anderen Volkshochschulen sollen zudem ausgebaut werden. "Im August wird es ein Treffen der Kreisvolkshochschulen geben, um zu sehen, wo besser und weiter kooperiert werden kann", sagt die VHS-Leiterin.