Die Abgeordnete Valerie Wilms ist gegen die Koalitionszusage an die SPD auf Bundesebene. Sie sagt: “Rot-Grün ist unrealistisch“.

Wedel. Während sich Parteichefin Claudia Roth auf dem SPD-Parteitag feiern ließ, rumort es an der grünen Basis. Von den 2600 Änderungsanträgen dürfte dies der brisanteste auf der Bundesdelegierten-Konferenz der Grünen werden, die am Freitag in Berlin beginnt: Eine starke Gruppe von Realos aus Hessen und Bayern fordert, die Vorfestlegung auf eine Koalition mit der SPD nach der Bundestagswahl am 22. September aus dem Wahlprogramm der Grünen zu streichen.

Valerie Wilms, 59, unterstützt diese Initiative. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Wedel sagt: "Rot-Grün ist unrealistisch." Ihre Partei müsse sich alle Optionen, auch eine Koalition mit der CDU, offenhalten. "Die grüne Partei ist kein Anhängsel oder eine Schwesterpartei von einer sogenannten Volkspartei. Die grüne Partei ist die Partei, die Werte erhalten will und jeden dazu einlädt, dabei mitzumachen."

Was die Anti-SPD-Antragsteller um Dieter Janecek aus München und Tom Koenigs aus Gießen, die zum Kern der Realos gehören, aufregt, ist dieser Satz in der Präambel des Wahlprogramms, wie sie der Bundesvorstand an diesem Wochenende den 800 Delegierten zur Abstimmung stellt: "Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD, weil wir in diesem Regierungsbündnis die besten Chancen sehen, den grünen Wandel umzusetzen." Diese Aussage soll ersatzlos gestrichen werden. Wilms: "Der Antrag ist in der Sache sinnvoll."

Eine aktuelle Umfrage des Emnid-Instituts, wie sie das Magazin Focus veröffentlichte, besagt, dass 45 Prozent der Grünen-Wähler eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD wünschten, 49 Prozent dagegen nicht. Damit stehe sie ja auf der Seite des Mehrheitswillens, sagt Valerie Wilms.

Schon allein der Niedergang der SPD-Umfragewerte lasse eine rot-grüne Koalition immer unwahrscheinlicher werden, argumentiert die Wedeler Abgeordnete. Sie selbst rechnet für dieses Lager zurzeit mit einem Ergebnis von um die 40 Prozent - zu wenig, um Kanzlerin Merkel zu stürzen. "Wir sollten Koalitionsverhandlungen erst nach der Wahl machen", fordert Valerie Wilms, die seit vier Jahren dem Bundestag angehört. "Es gibt keine Koalition in der Opposition."

Entscheidend seien aber die inhaltlichen Themen, betont die Abgeordnete aus Wedel. So liegen die Grünen bei der Frauenquote und dem Mindestlohn zwar auf einer Linie mit der SPD. In der Renten- und Energiepolitik gebe es aber erhebliche Differenzen. "Bei der Rente mit 67 will die SPD wieder zurückrudern. Dabei brauchen wir jeden Arbeitnehmer. Die Zeiten, wo es mit 50 den goldenen Handschlag gab, sind längst vorbei. Wir Grünen hängen keinen Träumereien nach." Und bei der Energiepolitik habe die SPD keine langfristige Strategie. "Sie setzt immer noch auf die Kohle-Nummer."

Zwar gebe es auch zur CDU/CSU unterschiedliche Positionen, was die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder die Forderung nach einem starken, autoritären Staat in der Innenpolitik angeht. "Aber sonst hat die CDU/CSU das Tableau der trennenden Themen weitgehend abgeräumt", sagt Wilms. "Der Atomausstieg ist besiegelt." Nun komme es darauf an, eine breit getragene Lösung für ein Atommüll-Lager zu finden. Ihr Parteifreund, der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck, habe dazu gerade einen Vorschlag gemacht und Brunsbüttel ins Spiel gebracht. "Das ist aber nicht Sache eines Bundeslandes. Da müssen wir alle Farbe bekennen. Das ist unser Atommüll, für den die Gesellschaft eine Gesamtverantwortung übernehmen muss, die die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet."

Rot-Grün habe nur noch eine Chance, wenn sich die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Steinbrück berappelt. "Das ist eher unwahrscheinlich", sagt Valerie Wilms.

Wilms hat gute Erfahrungen mit einer schwarz-grünen Koalition gemacht

Mit einer schwarz-grünen Koalition hatte sie bereits Erfahrung im Wedeler Stadtparlament nach der Kommunalwahl 2008 gemacht. Das habe sehr gut funktioniert. Und das für viele Überraschende war: "Die Wähler haben uns das nicht übel genommen." Im Gegenteil. Ein Jahr später konnten die Grünen auf Kreisebene ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2005 von 9,1 auf 12,1 Prozent steigern und 4360 zusätzliche (plus 25 Prozent) Wähler mobilisieren.

Die Angst, der Wähler würde eine offene Koalitionsaussage der Grünen abstrafen, sei also unbegründet. "Wir Grünen sind auf keinen Fall ein Wahlanhängsel der SPD wie es die FDP bei der CDU ist, die sich an die Union verkauft hat." Die Grünen stünden für klare Werte in der Ökologie- und Wirtschaftspolitik, betont Valerie Wilms. "Wachstum um jeden Preis gibt es nicht mehr. Die Wirtschaftspolitik hat ökologische Grenzen. Wir laden jeden dazu ein, dabei mitzumachen."