Besuch im alten Steinkohlekraftwerk an der Elbe. Eine neue Anlage soll 2016 den aus den 1960er Jahren stammenden Meiler ersetzen.

Wedel. Als wäre die Zeit stehen geblieben. Der Kantine des Wedeler Kraftwerks haftet der grün-gelb-braune Charme der 1960er Jahre noch deutlich sichtbar an. Bis zu 100 Angestellte des Energieunternehmens Vattenfall bekommen in den Räumen im Verwaltungstrakt mit Blick über das weitläufige Betriebsgelände und die Elbe etwas Essbares auf den Tisch. Auch in anderen Teilen der Anlage, die derzeit 25.000 Hamburger Haushalte mit Fernwärme versorgt und bei optimaler Auslastung auch bis zu 15 Prozent des Hamburger Strombedarfs decken kann, finden sich Relikte an die alte Zeit. Zum Beispiele die blaue Siemens-Turbine, die bereits seit Start der Anlage vor fast 50 Jahren lautstark ihren Dienst in der riesigen unter Denkmalschutz stehenden Fabrikhalle verrichtet.

Doch nicht alles läuft noch so rund wie die alte Dampfturbine. In den vergangenen Wochen muckte die Anlage mehrmals, aufgrund von Störungen fielen sogar beide Heizblöcke aus, in Hamburger Haushalten blieb die Heizung kalt. Auch am vergangenen Wochenende mussten die Handwerker wieder ran. Die Sicherheitsventile am Heizblock 1 bereiteten Probleme, die Anlage konnte nur mit halber Kraft fahren. Dass es mit dem alten Meiler so nicht weiter gehen kann, ist wohl auch der einzige Punkt, in dem sich Befürworter und Kritiker des geplanten Ersatzbaus einig sind. Die Dimension des neuen Gaskraftwerks, das zur Genehmigung bereits beim Kieler Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume liegt, ist dagegen sehr umstritten. Eine Bürgerinitiative, der auch viele Wedeler Anwohner angehören, hat sich bereits formiert und droht mit Klage.

Klar ist, dass die Tage, an denen mit Steinkohle am Wedeler Elbufer Energie erzeugte wird, gezählt sind. Die Lebenszeit des Wedeler Steinkohlekraftwerks ist abgelaufen. Mit der Heizperiode 2016/17 läuft die Laufzeitverlängerung aus. Wenn es nach den Plänen Vattenfalls geht, dann soll im kommenden Jahr auf dem nördlichen Teil des Geländes ein neues Gas- und Dampfturbinenkraftwerk entstehen und 2016 ans Netz gehen. Dann würden im alten Steinkohlekraftwerk die Lichter ausgehen. Zumindest zeitweilig.

Die lichtdurchflutete Fabrikhalle, in die heute niemand ohne Anmeldung und Schutzbekleidung hinein darf, könnte in einigen Jahren Kunst und Kultur eine ungewöhnliche Bühne bieten. Was genau aus dem architektonischen Kleinod des Architekten Bernhard Hermkes werden soll, von dem auch die Grindelhochhäuser und die Kennedy-Brücke stammen, entscheidet sich durch einen Wettbewerb. Das alte Kraftwerk Bille wurde nach der Stilllegung in eine Oldtimer-Erlebniswelt umgewidmet.

Noch gibt es keinen Terminplan, wann das Nutzungskonzept für Wedel stehen soll. Klar ist laut Vattenfall-Sprecher Stefan Kleimeier nur, dass erst der Gestaltungswettbewerb für das neue Gas- und Dampfturbinenkraftwerk auf den Weg gebracht wird, bevor man sich um die alte Halle kümmert. Der Außenfassade der neuen Anlage widmet sich am 18. April eine Jury. Vertreter der Stadt Wedel, von Vattenfall und Architekturexperten werden aus den acht teilnehmenden Architektenbüros einen Sieger auswählen.

Jemand, der fast jede Ecke in dem alten Meiler kennt, ist Sabine Tolmin. Die technische Angestellte führt seit Jahren Besuchergruppen durch das Kraftwerk an der Elbe. Mehr als 100 dieser Besichtigungen hat Tolmin bereits absolviert. Im Eilschritt geht sie vorbei an der ratternden Dampfturbine, zahlreiche Stufen hinab zur Steinkohlmühle, vorbei an dem Kessel, der nur noch in Wedel in seiner ursprünglichen Form zu sehen ist. "Hier sieht man noch den freistehenden Brennkessel. In den heutigen Anlagen ist er immer mit Blech umkleidet", so Tolmin. In ihm wird die Steinkohle erhitzt, die zuvor per Schiff aus Kolumbien oder Venezuela nach Wedel gebracht und im Labor auf ihre Zusammensetzung untersucht wurde. Das Wasser stammt aus der Elbe. An einem Wintertag mit 6,8 Grad Celsius Außentemperatur und einer durchschnittlichen Laufleistung rauschen 24.000 Tonnen Kühlwasser pro Stunde durch die Leitung - mit 0,3 ins Kraftwerk, mit etwa 3,7 Grad Celsius zurück. An den Bildschirmen in der Warte überwachen zehn Angestellte pro Schicht Temperatur, Entnahmemengen, Störfälle und Filtersysteme.

Entstaubung, Entstickung, Entschwefelung: "Da kommt fast nichts mehr an Schadstoffen mit den Rauchgasen raus", sagt Tolmin mit Blick auf den 151 Meter hohen Schornstein, der noch in Funktion ist. Der zweite der riesigen Türme, der näher an der Elbe steht, ist bereits seit Jahren gar nicht mehr in Betrieb. "Damit die Anlage auf dem neusten Stand ist, wird sie jedes Jahr mehrere Wochen lang überprüft und überholt", so Kleimeier. Laut den aktuellen Messergebnissen entspricht der alte Meiler sogar den neuen europaweiten Emissions-Standards, die ab 2017 greifen.