Der Weiße Ring im Kreis Pinneberg hat allein im vergangenen Jahr 132 Menschen betreut, die Opfer von Gewalttaten geworden sind.

Kreis Pinneberg. 132 Opfer von Straftaten haben vergangenes Jahr im Kreis Pinneberg Hilfe beim Weißen Ring gesucht. "Unsere Arbeitsbelastung ist stark angestiegen", sagt Dietrich Anders, Leiter der Pinneberger Außenstelle der Opferhilfeorganisation. 2011 bearbeiteten die neun ehrenamtlichen Mitarbeiter "nur" 96 Fälle.

Hinter jedem Fall verbirgt sich ein Mensch, der Opfer einer Straftat geworden ist. Wie zum Beispiel Helene David. Ihren richtigen Namen und ihren Wohnort will die Altenpflegerin nicht preisgeben. Ganz öffentlich über ihr Schicksal zu reden, ist ihre Sache nicht. "Eines weiß ich. Ohne die Hilfe des Weißen Rings hätte ich es nicht geschafft", sagt die grauhaarige Frau leise.

Die Mittsechzigerin hat es nicht leicht. Ihr Mann leidet an Demenz, fällt unter die Pflegestufe II, benötigt ständige Betreuung. Früher kümmerte sich auch ihre einzige Tochter mit um den Vater. Doch seit dem 20. März 2011 ist die 43-Jährige tot. "Mein Schwiegersohn hat meine Tochter erstochen. Und meinen fünfjährigen Enkelsohn auch", sagt Helene David und wischt sich die Tränen aus dem Auge.

Die Bluttat in dem Wohnblock an der Oberst-von-Stauffenberg-Straße in Pinneberg zerstörte das Leben der Mittsechzigerin. "Ich weiß bis heute nicht, was genau passiert ist." Ihr Schwiegersohn, der zur Tatzeit unter psychischen Problemen litt, nahm sich wenig später in der Untersuchungshaft das Leben und damit alle Antworten ins Grab. Dafür nahm sich Beatrix Kaiser, 67, vom Weißen Ring des Falles an. "Frau Kaiser war meine Rettung", sagt Helene David über die pensionierte Sozialarbeiterin, die ehrenamtlich in der Opferhilfe arbeitet.

Sie kümmerte sich um die Wohnung, die zum Tatort wurde. Die Räume wurden gereinigt, der Haushalt aufgelöst. Auch die Beerdigung der Toten organisierte der Weiße Ring. "In erster Linie haben wir uns um die ärztliche Versorgung der traumatisierten Familie gekümmert", so Beatrix Kaiser. Sie kämpfte auch dafür, dass Helene David eine Kur antreten, ihr Mann als Begleitperson mitfahren konnte und vor Ort betreut wurde. "Fast ein Jahr hat es gedauert, bis das möglich wurde."

Mehrfach die Woche trafen sich die beiden Frauen. "Es war ein Verarbeiten im Gespräch", sagt Beatrix Kaiser. Helene David fügt hinzu: "Wir hatten von Anfang an Vertrauen zueinander." Vier Wochen nach der Tat ging die Mittsechzigerin erstmals wieder arbeiten. "Das hat mich abgelenkt."

Knapp zwei Jahre danach hat sie die Ereignisse einigermaßen verarbeitet "Albträume habe ich jetzt keine mehr." Aber verwunden hat Helene David den Tod von Tochter und Enkelsohn nicht. "Die Schuldgefühle bleiben, ich frage mich ständig, ob ich nicht mehr hätte tun können." Schließlich seien ihr die psychischen Probleme ihres Schwiegersohnes bekannt gewesen. "Aber meine Tochter wollte alles immer alleine schaffen." Die Namen der Toten kann die Frau bis heute nicht aussprechen. "Das ist für mich wie ein Stich ins Herz." Täglich geht Helene David auf den Friedhof. "Das holt einen ständig ein. Meine Tochter wäre jetzt 45. Und ich war doch so stolz auf meinen Enkel."

Heute kommt Beatrix Kaiser nicht mehr regelmäßig. Die beiden Frauen telefonieren jedoch noch häufig miteinander. "Es ist selten, dass uns ein Fall so stark beschäftigt", sagt Außenstellen-Chef Dietrich Anders. Wichtig sei eines: "Die Mitarbeiter dürfen mitempfinden, aber nicht mitleiden." 20 bis 30 Stunden wenden sie durchschnittlich im Monat für ihr Ehrenamt auf. Der Weiße Ring hilft den Opfern, in dem er sie begleitet. Etwa zu Vernehmungen bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Oder auch beim Gang ins Gerichtsgebäude, wenn sie ihrem Peiniger während des Prozesses Auge in Auge gegenüberstehen.

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter stammen aus allen Berufsschichten. Die meisten sind inzwischen in Rente. Sie erhalten die notwendigen Kenntnisse in Seminaren. "Wir haben auch festgelegt, dass Neulinge mindestens drei Fälle als zweite Person begleiten müssen", sagt Anders. Einmal im Monat kommen alle Helfer zu einem Treffen zusammen, bei dem die Fälle und die weitere Vorgehensweise besprochen werden. Die Fallstatistik zeigt: Die meisten Hilfesuchenden haben körperliche Übergriffe erdulden müssen.

Helene David gehört nicht dazu. Aber sie gehört zu den Menschen, die sich für die geleistete Menschen erkenntlich zeigen. Sie hat den Wagen ihrer toten Tochter verkauft und den Erlös der Hilfsorganisation gespendet. "Ich habe wahnsinnig viel Hilfe und Liebe vom Weißen Ring erfahren. Frau Kaiser war immer für uns da. Ich bin immer noch froh, wenn ich nur ihre Stimme höre."

Der Kontakt mit dem Weißen Ring ist über das kostenfreie Opfer-Telefon 116 006 täglich von 7 bis 22 Uhr möglich, ebenso über 0151/55 164 637 oder über 04101/408 692. Die E-Mail-Adresse lautet weisser-ring.kreis-pinneberg@gmx.net