Die Integration von lernbehinderten Kindern im Kreis Pinneberg schreitet voran. Gute Erfahrungen mit Förderzentren gemacht.

Kreis Pinneberg. Den Kindern gefällt es. Dass sie in Mathe, Deutsch und Englisch immer von zwei Lehrerinnen unterrichtet werden, findet Lina, 10, toll. "Zu zweit können uns die Lehrer mehr helfen", sagt sie, und alle Klassenkameraden stimmen ihr lautstark zu. Die Schülerin der 4 b der Grund- und Gemeinschaftsschule Pinneberg geht in eine der acht Integrationsklassen an ihrer Schule. 39 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf seien unter seinen 690 Schülern in 30 Klassen, sagt Schulleiter Thomas Gerdes. Seit 2009 werden sie mit Regelschulkindern in einer Klasse unterrichtet.

Inklusion heißt der Fachbegriff, der im Schulgesetz und völkerrechtlich vorgeschrieben ist. So steht im Schulgesetz seit 2007: "Das Ziel einer inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund." Die UN-Charta von 2007 fordert, dass den Behinderten alle Menschenrechte und Teilhabechancen wie den Nichtbehinderten eingeräumt werden müssten, ohne jede Diskriminierung.

Seitdem sind die Förderschulen ein Auslaufmodell. Der Kreis Pinneberg ist nun in sieben Förderzentren aufgeteilt, die fünf bis 13 Grund- und zwei bis vier weiterführende Schulen betreuen. Die 200 Sonderpädagogen im Kreis unterrichten an mehreren Schulen die sogenannten I-Klassen. Das größte Förderzentrum mit 32 Lehrkräften für 16 Schulen mit etwa 4600 Schülern leitet Astrid Zimmermann-Vollstedt. Ihr Credo lautet: "In der Integration verlieren viel mehr Kinder im Laufe der Schulzeit den Förderbedarf, als es bei den herkömmlichen Förderschulen der Fall war." Das stigmatisierte diese Kinder oft, die ja nach dem Volksmund auf die "Doofenschule" gingen. Heute lernten alle Kinder gemeinsam und damit auch voneinander. "Die Inklusion ist für das soziale Lernen der Kinder von unschätzbarem Wert."

Letztlich war es der Wunsch vieler betroffener Eltern, dass ihre Kinder mit Lernproblemen nicht mehr ausgegrenzt und zum Teil 50 Kilometer vom Wohnort entfernt in einer Spezialschule unterrichtet werden sollten, sagt Schulrat Dirk Janssen über den Systemwandel. Diese Integrationsbewegung erfasste hierzulande zunächst die Kindergärten, danach die Schulen.

Das entsprach nicht nur einem veränderten Menschenbild. Es gab dafür auch handfeste Gründe. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung offenbarte 2009, dass Deutschland mit seinem Sonderweg von speziellen Bildungssystemen für behinderte Kinder auf dem Holzweg ist. Demnach schafften vier von fünf Förderschülern keinen Hauptschulabschluss. Ihre schulische Ausgrenzung führte sie also in eine Sackgasse.

Der Umbau des Schulwesens zur Inklusion ist aber noch nicht abgeschlossen, wie Schulrat Janssen belegt. So würden heute zwei Drittel aller Kinder mit erhöhtem Förderbedarf im Kreis Pinneberg auf eine Regelschule gehen. Das sei besser als im Landesdurchschnitt. Aber im internationalen Vergleich hat dies Entwicklungsland-Charakter. EU-weit werden 98 Prozent der Kinder heute integrativ beschult.

An den Unterricht stellt Inklusion neue Anforderungen. "Mit der Situation, alle Kinder schlagen dasselbe Buch auf und lesen zusammen, ist es nun vorbei", berichtet Lisa Kanitz vom Förderzentrum Pinneberg. Der Unterricht muss differenziert werden auf die unterschiedlichen Entwicklungsstände der Kinder. Während die einen schon selbstständig Texte schrieben, würden andere das Thema zeichnen und mit den Worten beschriften, die sie schon kennen, sagt Kollegin Anna Cleve. "Für die Kinder ist das selbstverständlich geworden. Sie begreifen, dass manche Menschen schnell rechnen und andere schnell laufen können". Die weiterentwickelten Kinder könnten ihren Mitschülern helfen, ihnen die Aufgaben erklären und selbst eine Art Lehrerfunktion in der Klasse übernehmen. "Für die Kinder ist es eine totale Bereicherung, wenn sie so sozial lernend gemeinsam aufwachsen", sagt Anna Cleve.

Auch die Lehrer hätten sich gut umgestellt, wissen Cleve und Kanitz von ihren Kollegen im Förderzentrum, wo sie dem Personalrat angehören. Der Regelschullehrer und der Sonderpädagoge, der die lernschwächeren Kinder in Teilzeit betreut, sprechen sich ab, wie sie den Unterricht gestalten wollen und halten dies in Vereinbarungen fest, die alle halbe hinterfragt werden. Oft vertauschten beide auch die Rollen.

Das scheint zu klappen. Dafür spricht auch eine weitere Statistik, die Schulrat Janssen anführt. So würden heute bei der Einschulung die Unterschiede zwischen den Kindern bis zu drei Jahren betragen. "Einige können schon lesen und schreiben, bevor sie in die Schule kommen. Andere haben noch nie ein Buch in der Hand gehabt." Die flexible Gestaltung, die es ermöglicht, dass Kinder die ersten zwei Grundschuljahre in drei Jahren absolvieren können, führe dazu, dass am Ende der zweiten Klasse kreisweit noch etwa fünf Prozent der Kinder einen erhöhten Förderbedarf haben, der sie dann in eine I-Klasse bringt. Ein Erfolgsmodell, das Janssen auch der Inklusion vorhersagt. "Wenn wir wollen, dass alle Menschen miteinander leben können, müssen wir das auch leben."