Menschen des Jahres: Ob Schul- oder Leistungsbasketball - Der Trainer der Zweitliga-Herren ist für den SC Rist ein Riesengewinn.

Wedel. Es gibt Trainer, die sich in erster Linie über Lautstärke definieren. Je nach Mannschafts-Sportart wird 40, 60 oder 90 Minuten lang vom Spielfeldrand instruiert, Kritik verteilt und Lob ausgesprochen. Dazu kommt eine eindeutige Körpersprache zur Verstärkung der verbalen Vorgaben und ein Mienenspiel, das auch den Zuschauern nicht selten alles über Spielstand und Siegchancen des Teams verrät.

Alle zuvor geschilderten Verhaltensmuster treffen auf Sebastian Gleim nicht zu. Vor vier Monaten übernahm der erst 28 Jahre alte Trainer beim SC Rist, dem gemessen an seinen aktiven Mitgliedern sechstgrößten Basketballverein Deutschlands, außer etlichen weiteren Aufgaben das Coaching der Zweitliga-Herrenmannschaft (Pro B Nord). Der gebürtige Hesse kommt mit wenigen präzisen Worten und sparsamen Gesten aus, und er hat damit Erfolg: Zur Jahreswende ist den Wedeler Basketballern (Tabellendritter) mit einer Bilanz von zehn Siegen und nur drei Niederlagen die Teilnahme an den Playoffs so gut wie sicher.

Auf eine derartige Erfolgsbilanz hätte im Sommer wohl kaum jemand beim SC Rist zu hoffen gewagt. Nur wenige Wochen verblieben dem viel beschäftigten Coach und Jugendkoordinator Gleim nach seiner Amtsübernahme, um das Topteam des Klubs auf die Pro-B-Saison vorzubereiten. Kurz zuvor hatte sich die sportliche Leitung aufgrund unterschiedlicher Auffassungen bei der Kaderzusammenstellung vom langjährigen Headcoach Özhan Gürel getrennt.

Möglich macht den Erfolg wohl in erster Linie die Begeisterung des gebürtigen Hessen für den nach Eishockey schnellsten Mannschaftssport der Welt. Ebenso wie sein älterer Bruder Christian versuchte er sich im heimischen Bad Hersfeld in verschiedenen Ballspielen, fand über Handball zum Basketball, für Sebastian Gleim schlicht "der schönste Sport, den es gibt". 1999 rief der heutige Erfolgscoach mit 15 Jahren in seiner Heimatstadt die erste Schul-AG ins Leben, zwei Jahre später war er Inhaber der Trainer-D-Lizenz. Dem Schulabschluss folgte eine Ausbildung zum Physiotherapeuten inklusive Praktikum bei den Paderborn Baskets und 2005, nur einen Tag nach dem Examen, der Umzug von Bad Hersfeld nach Bremerhaven. Dort betreute er insgesamt fünf Nachwuchsteams der Eisbären und assistierte zudem Bundesliga-Headcoach Hamed Attarbashi aus Hamburg. Während eines B-Lizenz-Lehrganges lernte er Özhan Gürel kennen, der ihn 2009 als Assistenztrainer des Pro-B-Teams zum SC Rist holte.

Eine Vollzeitbeschäftigung war der Job in Wedel für Sebastian Gleim schon vor der Übernahme der Zweitliga-Crew. Seit 2011 betreut der Hesse im Zuge einer Schulkooperation gemeinsam mit Thomas Koch fünf Ganztags-Einrichtungen in Wedel, darunter drei Grundschulen (Albert-Schweitzer-, Moorweg- und Altstadtschule). Auf dem Lehrplan stehen Kennenlern-Stunden, Schulwochen und andere Projekte.

Dazu kommen ein Rookie-Coaches-Projekt, in denen schon 13 Jahre alte Mädchen und Jungen eine Trainerausbildung erhalten, und die Organisation des alljährlichen Jugendtages beim SC Rist. All das soll unter Gleims Tätigkeit als Pro-B-Headcoach nicht leiden. "Wir müssen das, was wir bis jetzt erreicht haben, weiterentwickeln und auf noch mehr Schultern verteilen", sagt der Trainer, für den die Zweitliga-Crew nicht zuletzt deshalb Priorität hat, weil mit ihr viele andere Basketball-Projekte in Wedel und der gesamten Metropolregion stehen und fallen. Schon jetzt müsse sich der Klub nach der Decke strecken. "Sogar die Hälfte der Regionalliga-Teams dürfte einen höheren Etat haben als der SC Rist, wir sind eben keine Basketball-Akademie", sagt Gleim. Dafür habe der Wedeler Klub andere Qualitäten. "Wir sind ein familiärer Verein, in dem sich Kinder und Jugendliche wiederfinden können."

Aus den begrenzten Möglichkeiten versucht Sebastian Gleim, der einräumt, morgens nach dem Aufwachen häufig als erstes an Basketball zu denken, das Beste zu machen. "Trainer zu sein bedeutet mehr als täglich sechs Stunden in der Halle zu stehen." Zum Tagesablauf gehörten vielmehr auch Gespräche mit Spielern und Eltern, vor allem aber die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. Die ist vor Pro-B-Spielen besonders aufwendig. Akribisch erforscht Gleim beim Video-Studium Stärken und Schwächen der Gegner.

"Ich verliere ungern, gehe nur in ein Spiel, wenn ich meine, optimal vorbereitet zu sein." Die Wahl der zielführenden Taktik sei dabei ein Faktor, das A und O aber die Ausführung. Die Art und Weise, wie Sebastian Gleim sein Team auf Pro-B-Begegnungen einstellt, wird auch von den Spielern honoriert. "Er bereitet uns auf jede Partie so vor, als ginge es um die Champions League", so Teamkapitän und Publikumsliebling Harold August Johnston. Dabei erwarte der Coach viel von seinen Jungs. "Sebastian achtet auch auf Kleinigkeiten, nimmt jedes Spiel sehr ernst."

Privat ist Gleim bei weitem nicht so introvertiert, wie er auf Außenstehende am Spielfeldrand wirkt. "Ich lache viel und gern", sagt der Musik- und Filmfan, der zu Hause aus einer jeweils mehr als tausend Exemplare umfassenden CD- und DVD-Sammlung wählen kann. Mindestens 200 Filme befassen sich mit dem Thema Sport. "Ich sammle alles, was in diesem Genre auf den Markt kommt, aber Basketballfilme sind rar gesät", sagt Gleim, dessen Kollektion die Hollywood-Produktionen "Weiße Jungs bringen's nicht" (mit Woody Harrelson und Wesley Snipes) und Spike Lees "Spiel des Lebens" (mit Denzel Washington) ebenso umfasst wie Sönke Wortmanns Fußball-Epos "Das Wunder von Bern". Musikalisch bevorzugt Gleim wie auf der Trainerbank die leiseren Töne, hört am liebsten Soul und Rhythm' n' Blues.

Für derartige Freizeitbeschäftigungen bleibt dem Coach wegen seiner vielfältigen Aufgaben und des dicht gedrängten Pro-B-Spielplans aber immer weniger Zeit. Statt selbst Basketball zu spielen, läuft Gleim mehrmals pro Woche längere Strecken, am liebsten von seiner Wohnung in der Wedeler Innenstadt zum Rissener Leuchtturm und zurück. Seltener geworden sind auch die Stunden mit Freundin Lena, die beim Niendorfer TSV Volleyball spielt. Alles in allem aber ist sich Sebastian Gleim sicher, die richtige Berufswahl getroffen zu haben. "Ich wusste schon mit 17, dass ich Trainer werden wollte."

Für die Chance, diesen Wunsch zu realisieren, ist Gleim nicht nur dem SC Rist, sondern auch dem Deutschen Basketball-Bund (DBB) dankbar. Schon dreimal, in Montenegro, Tschechien und Litauen, gehörte er zuletzt bei U16-Europameisterschaften der Jungen zum Stab von U16-Bundestrainer Harald Stein - für Sebastian Gleim jedes Mal wieder etwas ganz Besonderes. "Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal Teil eines Nationalteams zu sein."