Neues Buch beschreibt Geschichte Helgolands zwischen den Weltkriegen. Vom Machtkampf unter den Insel-Nazis bis zum Homosexuellenprozess.

Helgoland. Ob Schmugglerparadies zu Zeiten der Kontinentalsperre, rosige Zeiten als mondänes Seebad, Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg oder Naturparadies - über Helgoland sind im Laufe der Jahre viele Bücher geschrieben worden. Ein Kapitel der Inselgeschichte wurde bislang allerdings kaum beleuchtet: die Zeit zwischen den Weltkriegen. Eckhard Wallmann hat diese Lücke jetzt mit seinem neuen Buch "Eine Kolonie wird deutsch" geschlossen.

Dem Autor, der als Pastor von 1989 bis 2003 auf der Insel arbeitete, wurde nach vielen Gesprächen vor allem mit älteren Insulanern klar, dass die Zeit zwischen den beiden Kriegen auf der Insel weitgehend unaufgearbeitet und unerforscht war. Wer etwas wusste, sagte es nicht oder konnte es vielleicht auch nicht erzählen. Wallmann dokumentierte seine Gespräche und tauchte auf der Suche nach Spuren und Dokumenten tief ab in Geschichtsarchive. Besonders aufschlussreich waren die Akten des Obersten Parteigerichts der NSDAP, die im Bundesarchiv lagern. Aber auch die Archive des KZ Kuhlen, in Cuxhaven, Schleswig und anderswo hat er besucht und so ein Stück Geschichte zusammengestellt, das nicht nur für Insulaner höchst interessant ist.

So beschreibt Wallmann akribisch anhand von Archivnotizen und Zeitungsartikeln der damaligen Zeit, wie hitzig die politischen Grabenkämpfe der Insulaner bis zur Machtübernahme der Nazis abliefen. Er zeigt auch auf, wie sehr Helgoland aufgrund seiner Lage an der Grenze des Deutschen Reiches in den Blick der "großen" Politik in Preußen und Berlin geriet. Höchst misstrauisch wurden von dort die Bemühungen der Helgoländer beobachtet, nach den Ersten Weltkrieg wieder englisch oder auch dänisch zu werden - oder war alles gar nicht so gemeint? Warum wurde dann aber extra für Helgoland die Weimarer Verfassung geändert?

Dann gab es den "Club von Helgoland" (CvH), eine Vereinigung von Hochadligen, einigen jüdischen Bankiers und weiteren Helgolandfreunden, zu denen auch die Schauspieler Hans Albers und Emil Jannings zählten. Vorsitzender war Bernhard Prinz zur Lippe-Biesterfeld, der Großvater der heutigen niederländischen Königin. Insulaner gab es nicht unter den Mitgliedern. Über die Ziele des Clubs gab es die wildesten Spekulationen von separatistischen Helgoländern und den frühen Nationalsozialisten, die sich im Kampf gegen den Club auf der Insel formierten. Spuren dieser Kampagne sind bis heute geblieben, wie Wallmann schreibt. Der Spruch "Die Juden wollten Helgoland kaufen" werde bis heute unter alten Helgoländern erzählt.

Die Beschreibungen Wallmanns über die Lokalpolitik und die Zitate aus lokalen und überregionalen Medien zeigen auf, wie verworren die Verhältnisse waren und wie sich langsam, aber sicher der Einfluss der örtlichen NSDAP durchsetzte - in der aber letztlich auch unglaubliche Machtkämpfe tobten. Interessant: Am 16. Juli 1928 unternahm Joseph Goebbels mit Adolf Hitler und Familie einen Ausflug von Hamburg nach Helgoland. In seinem Tagebuch notierte der spätere NS-Propagandaminister: "Zu Fuß über das Hochland. Dort standen die Geschütze. Drüben liegt England. Tempi passati." Mitbekommen haben die Helgoländer allerdings nicht, wer sie damals besuchte. Dafür war der Auftritt Hitlers umso pompöser, als er 1938 die "Festung" besuchte und mit dem örtlichen Parteichef, dem Biologen Karl Meunier, durch die Straßen der Insel zog.

Wallmann beschreibt, warum die Biologische Anstalt zum Machtzentrum der NSDAP auf Helgoland wurde, außerdem geht er auf den großen Homosexuellen-Prozess im Jahr 1938 ein, in dem mehr als 40 Helgoländer angeklagt waren. Homosexualität galt unter den Nazis als Verbrechen.

Zwecks Aufklärung kam ein ganzes Kommando der Staatlichen Kriminalpolizei Hamburg auf die Insel. Im Visier hatten sie auch eine sehr große Gruppe von Jungen, wohl einen ganzen Klassenjahrgang, sie wurden intensiv nach ihren homosexuellen Erlebnissen befragt. Nur wenige Tage nach dem Verhör wurden viele von ihnen in ein Jugendheim zur Umerziehung nach Bad Segeberg gebracht. Täglich wurde danach ein erwachsener Helgoländer verhört, viele wurden verhaftet und nach Cuxhaven gebracht. Ein Beschuldigter erhängte sich. Der Prozess gegen Homosexuelle auf Helgoland galt als zweitgrößter seiner Art im Dritten Reich. 38 Männer wurden angeklagt, fast alle verurteilt. Hauptgutachter war der später berühmte Psychiater Hans Bürger-Prinz. Heute erscheint der überwiegende Teil der Anklagen als skandalöser Eingriff in die Privatsphäre, schreibt Wallmann. Nur sehr wenige der Beschuldigten würde man heute überhaupt als homosexuell bezeichnen. Der Prozess, von dem viele Familien betroffen waren, habe dazu geführt, dass unter Helgoländern wenig über das Dritte Reich gesprochen wurde, resümiert er.

Der heute in Norderstedt lebende Pastor hat mit seinem Buch nicht nur eine zeitgeschichtliche Lücke gefüllt, übrigens dank der Hilfe vieler Insulaner. Ein hochkomplexer historischer Stoff, der dem interessierten Leser kaum eine Atempause gönnt und daher eine zweite Lektüre mühelos verträgt. Wallmann, der das Buch bereits im Nordseemuseum auf Helgoland präsentiert hat, dürfte mit dem Buch "Eine Kolonie wird deutsch" bei der großen Mehrheit der Insulaner auf Anerkennung gestoßen sein. Zu Recht.

Das Buch "Eine Kolonie wird deutsch" (ISBN 978-3-88007-376-0) von Eckhard Wallmann ist im Verlag des Nordfriisk Instituut, Bredstedt, erschienen und kostet 12,80 Euro.