Bürger gedenken dem SPD-Mann Heinrich Boschen und weiteren Opfern der NS-Diktatur. Seit 2009 erinnert ein Stolperstein an Boschen.

Kreis Pinneberg. Mehr als 15.000 Stolpersteine erinnern deutschlandweit an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch in Tornesch, Pinneberg, Elmshorn, Quickborn und Helgoland sind die Gedenktafeln aus Messing vor den Wohnorten der Verfolgten in das Straßenpflaster eingelassen. In Uetersen sind weitere geplant.

In Pinneberg erinnert seit 2009 ein Stolperstein an Heinrich Boschen. Was der Stein nicht erzählt, haben Dieter Schlichting und Hildegard Kadach in ihrem Buch "Drei Leben gegen die Diktatur" zusammengetragen. Heinrich Boschen wurde am 21. August 1884 in Bremen geboren. Der gelernte Maurer trat 1906 nach der Militärausbildung der SPD bei. Er heiratete die Fabrikarbeiterin Emilie Bobka in Pinneberg. Das Paar zog in die Bahnhofstraße 13. Ihr Sohn Heinrich wurde 1907 geboren. Boschen musste den Ersten Weltkrieg von Anfang bis Ende mitmachen. Von den 2946 Mann seiner Einheit, die mit ihm am 6. August 1914 nach Belgien ausrückten, kehrten nur 439 zurück. Das Erlebte machte Boschen zum Kriegsgegner.

Kaum vom Militär entlassen, engagierte er sich weiter für seine Partei. Bei den ersten Pinneberger Kommunalwahlen nach dem Krieg am 2. März 1919 kandidierte er für die SPD. Am 9. Juni 1922 wurde er erstmals Stadtverordneter, später für mehrere Jahre zum Vorsitzenden. Bei der Krankenkasse AOK Pinneberg brachte er es zuletzt zum stellvertretenden Geschäftsführer.

Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten alle Lebensbereiche nach ihrem Sinne auszurichten. Zunächst wurde die KPD zerschlagen. Tausende Funktionäre kamen in die ersten Konzentrationslager. Am 22. Juni 1933 erging das Verbot der SPD. Die Pinneberger AOK wurde von SA- und SS-Leuten besetzt, Heinrich Boschen entlassen, sein Gehalt einbehalten. Die Familie war fortan auf die Wohlfahrt angewiesen. Da 16 Angestellte der AOK Pinneberg mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 eingezogen wurden, wurde Boschen als Hilfsangestellter zurückgeholt. Der Kriegsgegner kam ausgerechnet durch den Krieg wieder in Arbeit.

Zu seinem Sohn und den vier Enkeln hatte er ein herzliches Verhältnis. Anfang der 1940er-Jahre wurde sein Junge zum Heimatdienst in Neumünster eingezogen. Bei einem Lokalbesuch wurde ihm seine Pistole entwendet. Sein Vater beschaffte ihm dasselbe Modell, um den Diebstahl zu vertuschen. Bei einem Appell fiel jedoch die falsche Waffennummer auf. Heinrich Boschen junior wurde an die Ostfront strafversetzt und fiel 1944.

Am 23. August 1944 verhafteten Polizisten unter Beteiligung des NSDAP-Ortsgruppenleiters Alfred Krömer im Auftrag der Gestapo Heinrich Boschen, Olga Geick, Emilie Helm, Anna Ipsen, Richard Köhn, Heinrich Lempfert, Peter Lohmann und Wilhelm Schmitt, allesamt ehemalige Stadtverordnete von SPD oder KPD. Boschen wurde am 27. August 1944 ins KZ Neuengamme gebracht. In seiner mit 300 Mann überfüllten Baracke mussten sich zwei bis drei Häftlinge eine Pritsche teilen. Ein Mithäftling war der ehemalige Pinneberger SPD-Stadtverordnete Heinrich Lempfert.

Boschen wurde schwer misshandelt. Er hatte Blasenbeschwerden und musste häufig zur Toilette. Seine Bewacher prügelten ihn zur Latrine. Bei stundenlangen Appellen brach er mehrfach zusammen. Emilie Boschens Versuche, die Freilassung ihres betagten Mannes zu erwirken, blieben erfolglos.

Dünne Kleider, wenig Essen, Schwerstarbeit und Misshandlungen brachten vielen Gefangenen den Tod. Mehrere Tausend wurden erhängt, erschossen, vergast, durch Spritzen getötet oder starben bei der Evakuierung des Lagers auf Todesmärschen. Von insgesamt 100 000 Gefangenen kamen 55 000 ums Leben, wenige überlebten.

Am 19. September 1944 wurden Heinrich Lempfert sowie der ehemalige Thesdorfer Gemeindevertreter und KPD-Stadtverordnete Peter Lohmann entlassen. Boschen war nicht mehr fähig zu gehen, Kameraden trugen ihn nach Hause. Sein Gesicht war völlig entstellt. Er erkannte zunächst nicht einmal mehr seine Frau. Am 4. Oktober 1944, 14 Tage nach der Entlassung aus dem KZ, starb Boschen.