Besonderes Spektakel: Beim Stockcar-Rennen in Langeln versuchen die Fahrer, die Wagen ihrer Gegner möglichst effektvoll abzuwracken.

Langeln. Ausgerechnet in der Kurve passiert es. Der Fahrer des Opel Corsa hat sich versteuert, bleibt mit seinem Wagen quer zur Fahrbahn stehen. Der Nachfolgende hat keine Chance mehr auszuweichen, der Crash ist unvermeidlich. Mit Wucht bohrt sich der Ford Fiesta in die Seite des Opels. Dann dieser hässliche Rums, dieses unverkennbare Geräusch sich schlagartig deformierender Karosseriebleche, das jedem Autofahrer durch Mark und Bein fährt.

Statt eines entsetzten Aufschreis jedoch ist lauter Jubel aus den Reihen der Zuschauer zu hören. Verkehrte Autowelt. Der Ford-Fahrer schüttelt in Siegerpose die Faust. Denn darum geht es an diesem Tag auf einer Weide in Langeln: um das systematische, möglichst spektakuläre Verschrotten von Autos. Die Gemeinde der Stockcar-Fans ist zusammengeströmt in der kleinen Landgemeinde, um eine launige Zerstörungsparty zu feiern.

Schon beim Eintreffen der automobilen Gladiatoren, die meisten von ihnen zwischen 18 und 25 Jahren alt und im Berufsleben Schrauber oder Handwerker, mit ihren "Schlachtrössern" wäre jeder TÜV-Prüfer dem Ohnmachtsanfall nahe. Was da auf Anhängern auf die Koppel geschleppt wird, sieht zumeist aus, als wäre es gerade eben der Schrottpresse entronnen. Während andere Rennfahrer vor dem Wettkampf ihre kostbaren Vehikel mit vorsichtigem Schräubchendrehen feintunen, setzen die Stockcar-Fahrer in Langeln vor dem Start grobes Werkzeug an. Da wird mit einer Brechstange ein Kotflügel geknackt, hier mit einem Vorschlaghammer ein gewaltiger Rammsporn zurechtgekloppt.

Ein kleiner Junge zeigt grienend auf einen Wagen, auf dessen Heck "Bums mich!" gesprüht worden ist. Auf einem anderen Gefährt prangt die Aufschrift "Nicht klauen, Fluchtfahrzeug".

+++ Langeln: Schrottautos auf letzter Fahrt +++

Cheforganisator Patrick Kühn vom Stockcar-Team Langeln, der mit seinen Freunden das dritte Rennen dieser besonderen Art veranstaltet, weist die Teams am Bierstand und am Grillzelt an. Bis zu 1000 Zuschauer sollen kommen. Einen wichtigen Job haben auch die Mitglieder der Jury: Auf einem Anhänger sitzend, alle ein Bier vor sich, müssen die Rennkommissare notieren, wie viel Runden die jeweiligen Teilnehmer schaffen - und vor allem, welche Extrapunkte für gewollte Zusammenstöße sie einheimsen. "Solange die Kiste läuft, können sie fahren, wie sie wollen", sagt Kühn. Bonuspunkte bekommt ein Fahrer, wenn er einen Kontrahenten durch einen Rammstoß dreht. Die Maximalpunktzahl erhält, wer einen Gegner aufs Dach legt.

Ein paar Regeln aber gibt es dann doch, wie Kühn erklärt: Die linke Fahrzeugseite, wo der Fahrer sitzt, darf nicht absichtlich getroffen werden. Im Eifer des Gefechts aber werden die Autos natürlich auch auf der Fahrerseite gecrasht. Viele Stockcar-Fahrer haben ihre Boliden mit reichlich Stahl verstärkt, die Autos haben Schutzgitter statt Windschutzscheiben und Helme sind natürlich Pflicht. An einer Reihe von Autos sind Teile von Leitplanken vor die Kühler geschweißt.

Dann geht sie zum ersten Mal los, die wilde Jagd. In der Klasse bis 1,6 Liter Hubraum treten neun Kontrahenten an, unter ihnen auch die beiden einzigen Starterinnen an diesem Tag, Birte Bröer, 26, aus Klein Offenseth und Imke Borkowski, 22, aus Bilsen. Und schnell wird klar: Die Amazonen, die beide in der Landwirtschaft arbeiten, sind beim Stockcar-Rennen garantiert nicht das schwache Geschlecht.

Vor allem Birte Bröer in ihrem alten, weißen VW Polo (Aufschrift "Forza Birte") schlängelt sich geschickt durch die mannshohen Pressballen aus Stroh, die als Slalomstangen auf dem 350-Meter-Kurs dienen. Die 26-Jährige setzt auf Tempo und Geschick, weniger auf rohe Gewalt. Runde um Runde spult sie ab, sammelt Punkt um Punkt, ist nach kleineren Remplern wieder ganz schnell auf der Strecke.

Ihr größter Kontrahent Björn Sievers, 36, Schrotthändler aus Kollmar, setzt indes auf brachiale Gewalt. Er rammt weg, was ihm vor die Kühlerhaube kommt. Dafür muss Sievers während des 20-Minuten-Rennens einmal von einem der großen Traktoren mit Frontgabeln aus einem Weidezaun neben der Strecke gezogen werden. Und gut zwei Minuten verliert der Polo-Fahrer, weil er am Rand des Parcours seine abgerissene Treibstoffleitung wieder festdrücken muss. Mehr als die Hälfte der Fahrer kommt gar nicht ins Ziel, sondern wird mitsamt ihrer vollends verschrottenden Fahrzeuge von den Treckerfahrern aufgegabelt und abtransportiert. Am Ende siegt die weibliche Fahrkunst vor Macho-Manövern: Birte Bröer gewinnt das Rennen vor Björn Sievers und Freundin Imke Borkowski. Diese sagt selbstbewusst: "Zwei Frauen sind im Feld, zwei Frauen holen Pokale." Angst hätten sie nicht gehabt, aber am Start spüre man schon das Kribbeln. "Dann ist alles pures Adrenalin." Sievers gibt nach der Siegerehrung zu: "Ich wollte den großen Pott, aber es hat nicht geklappt."

In der Klasse bis zwei Liter Hubraum ist das Ausscheidungsrennen noch gnadenloser. Innerhalb weniger Minuten reduziert sich das Feld nach dem Zehn-Kleine-Negerlein-Prinzip. Hier platzt ein Kühler und hüllt einen Wagen in eine weiße Wolke, dort schlagen Flammen aus dem Motorraum. Die Helfer vom Stockcar-Team haben alle Hände voll zu tun, löschen den Motorbrand, schieben Teilnehmer aus den knöcheltiefen Löchern, flitzen auf dem Kurs umher, um abgerissene Auspuffrohre und abgelaufene Reifen aufzusammeln. Deren Besitzer fahren derweil auf der Felge weiter . .

Im dritten Lauf treten die ganz großen "Panzer" gegeneinander an. Darunter sind ein Team mit einem Volvo 745 und eine Mannschaft, die einen mehr als zwei Tonnen schweren Mercedes 500 SL auf die Gegner loslässt. Als die Fahrer am Start kollektiv ihre Motoren aufheulen lassen, ist der Lärm infernalisch. Stockcar-Fahrer legen keinen Wert darauf, dass ihre Autos leise säuseln - krachen muss es! Trotz wahrlich mächtiger Konkurrenz holt sich Lokalmatador und Mitveranstalter Patrick Mohr den Siegerpokal.

Völlig unbeeindruckt vom automobilen Spektakel sitzen die ganze Zeit über Hans Czerwonka und Stephan Hess vom Ortsverein Barmstedt des Deutschen Roten Kreuzes tiefenentspannt in ihren Liegestühlen am Streckenrand. Die Rettungssanitäter verleben einen ruhigen Tag. Salbe für einen Wespenstich müssen sie ausgeben, eine Rolle Verband für einen Kratzer. "Beim Motorsport bin ich ganz ruhig. Die Leute haben Helme auf, wissen, was sie tun", sagt Czerwonka, "nervös werde ich immer nur beim Pferdesport."