Wedeler Anwohner wehren sich gegen den geplanten Neubau eines Gaskraftwerks vor ihrer Haustür. Vattenfall beschwichtigt.

Wedel. Bedrohlich erheben sich die mächtigen Türme des alten Kohlekraftwerks in den Himmel über der beschaulichen Wedeler Wohnsiedlung. Wer hier lebt, hat sich an den Anblick gewöhnt, sich irgendwie mit dem Kraftwerk arrangiert. Zumindest auf Zeit. Doch jetzt ist Schluss mit der Ruhe. In der Siedlung formiert sich lautstarker Widerstand. Etwa 100 Anwohner haben sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossenen. Sie wehren sich gegen das von Vattenfall geplante neue Gas- und Dampfturbinenkraftwerk. Wie berichtet, entschied sich Vattenfall jüngst für den Standort und gegen die Stellinger Alternative. Schon 2016 soll die neue Anlage das Kohlekraftwerk aus den 60er-Jahren ersetzen, so der Plan des Unternehmens. Das Investitionsvolumen beziffert Vattenfall-Experte Karl Lüder auf 400 bis 500 Millionen Euro.

Was im Wedeler Rathaus angesichts der in der Stadt verbleibenden Gewerbesteuer und Arbeitsplätzen für Freude sorgte, war für die betroffenen Anwohner ein herber Schlag. Viele hatten gehofft, dass die Wahl auf Stellingen als neuer Kraftwerksstandort fällt. Viele hatten den Tag, an dem endlich der alte Meiler abgestellt wird, herbeigesehnt und von einer kraftwerksfreien Zone geträumt. Jetzt sind die Anwohner mehr als verunsichert.

"Einen Meter von unserem Gartenzaun entfernt soll ein riesiges, neues Kraftwerk entstehen. Wir haben Ängste", sagt Günter Peter. Der 71-Jährige lebt seit elf Jahren am alten Kraftwerk. Furcht haben die Bewohner vor dem möglichen Lärm, vor einer schlechten Wartung der Anlage, vor den Auswirkungen auf die Grundstückspreise und sie fürchten sich vor den Schadstoffen. "Das ist doch völlig bekloppt. Die wollen doch nur die neue Gastrasse in Hetlingen nutzen", kritisiert Christof Pfeiffer, 71, die Pläne. Für ihn ist klar: "Wir werden dagegen halten. Die Rechtsanwälte sind schon beauftragt." Die 15-jährige Anna Schöppe, die mit ihrer Familie seit sechs Jahren hier lebt, stört besonders die Informationspolitik von Vattenfall, dem Betreiber der Anlage: "Wir wurden überhaupt nicht informiert. Unsere Nachbarin hat uns aufgeklärt. Bei der Nachbarin handelt es sich um Kerstin Lueckow. Sie trommelte die Nachbarn zusammen, gab die Initialzündung für den Wedeler Widerstand.

Der wachsende Unmut hat jetzt auch die Firma Vattenfall aufgeschreckt. Das Unternehmen reagierte prompt und organisierte in kürzester Zeit eine, so die Kritiker, mit der heißen Nadel gestrickte Informationsveranstaltung für die betroffenen Anwohner. 400 Einladungen sollen laut Vattenfall an die Nachbarn verteilt worden sein. Allerdings erreichten wohl nur wenige Einladungen die Adressaten. Zwar drängten sich am Donnerstag um 18 Uhr bei drückender Hitze etwa 170 Menschen in einem kleinen Raum der Schulauer Kirchengemeinde, doch viele hatten nur durch die Bürgerinitiative von der Veranstaltung erfahren. Die Betroffenen haben sich mittels eines Internetblogs gut vernetzt. Zudem finden regelmäßig Treffen statt, bei denen man sich über ähnliche Bauprojekte, über gesetzliche Vorschriften und mögliche Schritte austauscht.

Bei kleinen Snacks und Getränken versuchte der Energieriese derweil am Donnerstag die Gemüter zu beruhigen und ihnen das Projekt schmackhaft zu machen. Karl Lüder, gelernter Ingenieur und bei Vattenfall zuständig für Genehmigungen, erläuterte den Anwesenden, was Wedel erwartet: Wenn Vattenfall die nötige Genehmigung vom Kieler Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume erhält und das Unternehmen die Millionen-Investition auch abnickt, entsteht ein Innovationskraftwerk an der Elbe.

Für die Anwohner bedeutet das eine Bauphase von bis zu sechs Jahren. Denn bis 2016 entsteht das neue Werk neben der alten Anlage. Nach einem Testlauf hat sich Vattenfall gegenüber der Stadt Wedel dazu verpflichtet, dann das alte Kraftwerk samt riesiger Türme abzubauen.

Die unter Denkmalschutz stehende Turbinenhalle bliebe den Wedelern erhalten. Vattenfall übernimmt laut Lüder die Kosten für einen Architekten- und Ideenwettbewerb für die weitere Nutzung der Halle. Außerdem gibt das Unternehmen den Hafen auf. Somit kann der Elbwanderweg wieder auf der Wasserseite an dem Gelände vorbeigeführt werden.

Die vielen Sorgen der Anwohner, was Lärm, Sicherheit und Umweltschutz angeht, versuchte Lüder zu zerstreuen. Mit mäßigem Erfolg. Ein Beispiel: "Sie werden das neue Kraftwerk im Vergleich zum alten nicht wahrnehmen", versprach Lüder hinsichtlich der Lärmbelästigung. Doch die Zuhörer trauten dem Vertreter des Energieriesen offensichtlich nicht. Vielleicht klang es auch zu schön, was Lüder alles in Aussicht stellte: deutliche Reduktion der Staubbelastung sowie der Schwefeloxide, keine Lärmbelästigung mehr durch das Entladen der Kohleschiffe, kein Kühlwasser mehr, das in die Elbe eingeleitet werden muss, keine protestierenden Umweltverbände, Brandschutzgutachten und eine Beweissicherung für die angrenzenden Häuser.

Klar ist: Das Gelände ist als Kraftwerksstandort ausgewiesen. Es liegt zudem eine unbefristete Genehmigung für den Betrieb einer solchen Anlage vor. Klar ist auch, dass die Anwohner lange geschwiegen haben in der Hoffnung, die Anlage würde stillgelegt werden. Nun wollen sie kämpfen.