Menschen des Jahres: Janne Meyer aus Schenefeld ist Deutschlands beste Springreiterin. Seit zehn Jahren bildet sie junge Springpferde aus.

Schenefeld. Die Stimmung auf dem Pferdehof von Friedrich und Ursula Meyer in Nottfeld, einem Dorf mit 139 Einwohnern in der Nähe von Süderbrarup, hätte nicht besser sein können. Die Familie war beisammen, und der prächtig geschmückte Weihnachtsbaum strahlte auch nach den Feiertagen im Wohnzimmer immer noch Gemütlichkeit aus. Für ihre Töchter Janne Friederike, 30, und Anna-Sophie, 23, hatte Ursula Meyer deren Lieblingsgerichte aufgetischt: Fondue in Brühe und Roastbeef mit Bratkartoffeln. "The same procedure as every year", sagt Ursula Meyer lächelnd.

Janne hatte für ihre Familie eine aufregende Nachricht mitgebracht. Die hatte sie vor einigen Tagen vom Deutschen Olympischen Sport-Bund (DOSB) in Frankfurt erhalten. "Ich bin in das Olympia-Top-Team des DOSB für die Sommerspiele 2012 in London aufgenommen worden, und darüber freue ich mich sehr", sagte Deutschlands beste Springreiterin, die in Schenefeld zu Hause ist und dort seit zehn Jahren junge Springpferde ausbildet.

In den Stallungen der Reit- und Turniergemeinschaft Friedrichshulde, in denen Janne Meyer etliche Boxen gemietet hat, steht der Vierbeiner, den seine Reiterin zu einem Weltklassepferd geformt hat. Sein Name: Cellagon Lambrasco. Der Holsteiner Wallach, der am 1. Januar 14 Jahre alt wird, führte seine Reiterin erfolgreich über viele Hindernisse: 2010 wurde Janne mit ihrem Lieblingspferd Mannschafts-Weltmeisterin in den USA, 2011 Team-Europameisterin in Madrid und im gleichen Jahr auch noch deutsche Meisterin in Balve. Der Sieg im "Großen Preis" von Aachen im Juli dieses Jahres vor 40 000 Zuschauern war ihr bisher größter Triumph in einem Einzelspringen.

Das alles machte das Holsteiner "Springwunder" Cellagon Lambrasco möglich, den seine Reiterin liebevoll "Mops" nennt. "Ich bin stolz auf meine Tochter und auf den Wallach, der mit seinem Stockmaß von 1,61 Metern zu den kleinsten Springpferden im Kreis der Weltklasse gehört", sagt Friedrich Meyer. Der Wallach kam am 3. April 1998 auf dem Hof der Pferdezüchter Jörg und Heike Bigeng in Borgwedel an der Schlei zur Welt. Später kaufte ihn Friedrich Meyer und überließ ihn seiner Tochter zur Ausbildung. "Cellagon Lambrasco ist ein Springpferd mit einem großen Kämpferherz", lobt Janne Meyer. "Es ist sehr anhänglich, und ich verstehe mich blind mit ihm. Ich war schon vor der Weltmeisterschaft in Lexington sicher, dass viel mehr in ihm steckt, als ich früher gedacht habe. Noch nie hat er mich enttäuscht, an ihm werde ich noch viel Freude haben."

Nie hätte sich Janne träumen lassen, dass sie eines Tages im Kreis der weltbesten, durchweg männlichen Topreiter eine herausragende Rolle spielen könnte. Schon gar nicht, als ihr Vater der damals sechs Jahre alten Göre das Pony "Mücke" schenkte und sie auf dessen Rücken durch das Gelände jagte. Doch schon 1994, als sie mit "Jack in the Box" in Hamburg-Klein Flottbek das Deutsche Pony-Derby gewann, spürte sie, dass ihre Zukunft in einer Karriere als Profireiterin liegen könnte.

So war es dann auch. Nach dem Abitur 2001 machte sie sich in Schenefeld als Ausbilderin und Turnierreiterin selbstständig. Die sympathische blonde Frau, kompetent in Sachen Reitsport und stets auskunftsbereit gegenüber Zeitungs-, Hörfunk- und Fernsehreportern, machte sich bald in vielen großen Reiterstadien einen Namen. Im August 2012, bei den olympischen Reiterspielen in London, möchte sie ihre bisherige Laufbahn krönen.

"Vorher muss ich aber erst einmal die Qualifikation für Olympia schaffen, und das wird hart genug", sagt Janne Meyer. "Bisher bedeutet die Mitteilung des DOSB erst, dass ich, ebenso wie mein Reiterkollege Carsten-Otto Nagel aus Wedel, gute Chancen habe. Wir beide haben aufgrund unserer Erfolge von 2010/2011 möglicherweise einige Pluspunkte gegenüber der Konkurrenz, aber das heißt noch nicht viel."

Die Saison 2012 wird lang für Cellagon Lambrasco. Deshalb soll er auch die Winterpause genießen und kein Hallenturnier bestreiten. Vielleicht bleibt hin und wieder Zeit für Jannes Hobby - die Fliegerei. Ende März hatte sie in der Flugschule von Hans Grade in Schönhagen bei Berlin ihre Privatpilotenlizenz erworben, danach auf dem Flugplatz in Uetersen/Heist in der 40 Jahre alten, gründlich renovierten Schulungsmaschine von Fluglehrer Christoph Becker, Chef von "Nordcopters", ausgiebig Flugerfahrungen gesammelt.

Unvergesslich für den Autor dieses Berichts war der Tag nach Ostern, als Janne Meyer mit ihm ihren Jungfernflug ohne Fluglehrer absolvierte. Auf dem Rückweg erlaubte sie sich einen ihrer berühmten Späße, der dem "Co-Piloten einen gehörigen Schreck einjagte. Sie nahm ihre Hände vom Steuerknüppel und überließ das Fliegen ihrem überrascht reagierenden Nebenmann. Sofort wollte die Maschine ihre Schnauze senken, aber natürlich übernahm Janne schnell wieder das Kommando und brachte die "Hexe" in die richtige Fluglage. Alles im Griff hat Janne Meyer auch bei ihren Pferden, von denen Holiday by Solitour auch schon "Große Preise" gewonnen hat. Erst Ende März ist für Cellagon Lambrasco in Monte Carlo die Jahres-Turnierpremiere geplant. Dann folgen schwere Tests, unter anderem in Hamburg, Balve, Aachen, außerdem einige Nationenpreise. "Jeder Fehlerpunkt an einem Hindernis wäre ein Rückschritt auf dem Wege zu Olympia", so Janne Meyer.

"Die Athleten im DOSB-Olympia-Top-Team werden die besten, individuell zugeschnittenen Bedingungen haben, um sich optimal vorbereiten zu können", sagt DOSB-Präsident Thomas Bach. "Sie sollen maßgeblich dazu beitragen, dass wir in London unseren Platz unter den besten Sportnationen der Welt erfolgreich verteidigen."

Gelingt Janne Meyer der Sprung über den Ärmelkanal, darf sie sich tatkräftiger, familiärer Unterstützung gewiss sein. Dann werden ihre Eltern und ihre Schwester wie bei den Europameisterschaften in Spanien und beim "Großen Preis" in Aachen auf der Tribüne sitzen und sie anfeuern.