Adventskalender: Die Dreikönigskirche ist bei Sturmflut Zufluchtsort und rettende Insel. Teile der Kirche sind mindestens 760 Jahre alt.

Haselau. Aus dem Dunst, der wie ein nasser Vorhang über der weiten Marsch hängt, taucht er auf wie ein Schiffsmast, der auf dem Ozean den Nebel durchbricht. Der hölzerne Turm der Dreikönigskirche zu Haselau, der bis zur Spitze 42 Meter misst, überragt in dieser Gegend alles. Und das nicht nur wegen der klerikalen Wirkung: Über Jahrhunderte hinweg war das Gotteshaus, das auf einer hohen Wurth (Warft) errichtet wurde, bei Sturmflut letzte Zufluchtsstätte für die Bewohner der Elbmarsch. Wie in einer vor Anker gegangenen Arche fanden die Menschen mit Mann und Maus, mit Huhn und Schaf Unterschlupf in der Kirche.

Pastor Andreas-Michael Petersen, der schon seit 1995 Gemeindepastor in Haselau ist, öffnet die Tür zu seiner Kirche, deren Wurth als Unterbau mindestens 760 Jahre alt ist. Denn 1251 wurde die Kirche erstmals urkundlich erwähnt. Für die Adventskalender-Aktion erlaubte Petersen es dem Abendblatt, in den Turm zu steigen, der einst neu gebaut werden musste, weil im Juli 1862 ein Blitzschlag den vorherigen Turm zerstört hatte.

Verflixt eng ist es auf den steilen Holzstiegen - und bitterkalt zugig. Der sportliche Pastor klettert gewandt voran. Er erzählt, wie er eine komplette Lautsprecheranlage nach oben geschleppt hatte, um Umweltschützern dabei zu helfen, Mauersegler anzulocken. Einstmals waren es die Dorfjungen, die aufenterten, um sonntags zum Gottesdienst oder bei Beerdigungen die Glocken zu läuten. "Sie konnten von hier gut sehen, wenn der Trauerzug an der Chaussee um die Ecke bog", sagt Petersen. Heute allerdings erlaubt das diesige Wetter keinen Weitblick.

Wie die Haselauer Kirche selbst, so beherbergt auch ihr Turm einige Schätze und Kuriositäten. "Einer meiner Vorgänger war ein großer Freund davon, Glocken zu kaufen", erzählt Petersen mit einem Schmunzeln. Gemeint ist Egon Pfeiffer, der von 1960 bis zu seinem Tod 1992 Gemeindepfarrer war. Unter seiner Regie wurden sage und schreibe sechs zusätzliche Glocken angeschafft. Die vorerst letzte, die Sturmflutglocke, nach der für die Marsch verheerenden Sturmflut von 1976.

Das Ensemble ihrer sieben Glocken beschert der Haselauer Kirche eine wahrlich lautstarke und variable Stimme: Auf den Glocken könnten gar Choräle angestimmt werden. Die älteste Glocke, die Zuckerhut-Glocke, stammt nicht aus den vergangenen Jahrzehnten, sondern schon aus der Zeit um 1250. "Zwischendurch mussten Statiker uns daran erinnern, dass noch mehr Glocken die Tragfähigkeit des Turms überfordern könnten", sagt der heutige Haselauer Pastor. Das Innenleben des Turms kann er zudem als detailliertes Modell, inklusive Glockenspiel, aus Holz präsentieren.

Petersen möchte längst seine alte Kirche, deren An- und Umbauten sich wie Jahresringe aneinanderreihen, nicht mehr missen. "Wenn der Sturm direkt darauf steht, dann kracht und heult das Gebälk", beschreibt Petersen. Was habe die Kirche der zahlenmäßig kleinsten Gemeinde im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein nicht schon alles überstanden. "Sie ist eine wehrhafte und hilfsbereite alte Dame", sagte der Pastor liebevoll.

1976, als in der Marsch gegen die Sturmflut gekämpft wurde, übernachteten Bundeswehrsoldaten zwischen Altar und Kirchenbänken. Auch im Jahr 1825 war die Gegend von einer Sturmflut heimgesucht worden. Damals mussten eine Reihe Menschen lange Zeit in der Kirche als der letzten trockenen Insel ausharren. Und zwar mitsamt ihrem Vieh, das sie hatten retten können. Die Kirchenoberen auf der Geest ereiferten sich derweil ganz offiziell wegen der Seuchengefahr durch das enge Miteinander von Mensch und Tier auf heiligem Boden.

Während es durch Ritzen im alten Gemäuer zieht, lobpreist Petersen: "Für mich strahlt diese Kirche viel Wärme aus." Der Pastor teilt sich das Gotteshaus übrigens mit der legendären Kirchenmaus Frederike, die zu den Kindergottesdiensten in Erscheinung tritt ... Für Andreas-Michael Petersen bietet die Haselauer Kirche nicht nur Schutz vor den Urgewalten der Natur, sondern auch "vor dem Gerappel des Alltags": "Es ist ein geschützter Raum, hinter dessen dicken Mauern Hektik und Alltagssorgen zurückbleiben."