Adventskalender: Hinter der Tür zum Uetersener Atelier von Kunstprofessor Erhard Göttlicher im ehemaligen Holzlager verbirgt sich ein kreatives Chaos

Uetersen. Hinter der hölzernen Tür zu Erhard Göttlichers Atelier scheint das Chaos zu beginnen. Auf den blanken Holzdielen stapeln sich Bücher, Zeitschriften und Ausstellungskataloge, darunter der "Stern" und John Steinbecks Klassiker "Von Mäusen und Menschen". Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis lächelt von einer Staffelei. Mildes Winterlicht fällt durch die kleinen Sprossenfenster zwischen dunkelbraunen Dachbalken auf ein kreatives Durcheinander, das sämtliche Arbeitsflächen und Regale in der Werkstatt eines der renommiertesten Künstler im Kreisgebiet überzieht. Vom Dach hört man das Picken der Elstern und Krähen, die der glänzenden Bitumenschicht den Garaus machen wollen. Hier, im ehemaligen Holzlager einer Uetersener Tischlerei, ist ein Großteil der Bilder entstanden, die Erhard Göttlicher, 65, berühmt gemacht haben.

Vor ihm auf dem Tisch liegt eine fast fertige Ansicht Venedigs. "Das 57. und letzte Motiv der 'Malinconia Veneziana'", erläutert der Kunstprofessor an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der mit mehr als 30 internationalen Preisen ausgezeichnet wurde und zu den profiliertesten Mitgliedern der Künstlergruppe "Norddeutsche Realisten" zählt. Nach mehr als zwölf Jahren steht diese Serie von Ansichten und Druckgrafiken der Adriametropole im weichen Novemberlicht, von denen ein Teil auch als Bildband erschienen ist, vor ihrer Vollendung. "Der November ist ein Traummonat in Venedig", schwärmt der bekennende Fan der legendären Lagunenstadt. Das großformatige Werk ist in Acryl, Blei und Pastell auf Karton gezeichnet und gemalt. Öl ist wegen einer Allergie tabu.

Ebenso wie Musik von Richard Wagner. Seine Großmutter verdarb das Verhältnis des kleinen Erhard zu den Meisterwerken des Bayreuthers nachhaltig, indem sie ihn im zarten Alter von acht Jahren ins Opernhaus mitnahm. "Ich hatte mich auf die Ritter gefreut und war ganz enttäuscht, weil die da nur standen und sangen." Dabei liebt Göttlicher Musik und zelebriert sie geradezu. Seine Lautsprecher baut er selbst. Drei Plattenspieler, die die Klänge unterschiedlicher Musikrichtungen bis ins Detail perfekt zur Geltung bringen, und ein spezieller CD-Player stehen an der Atelierwand aufgereiht. "Ich höre beim Malen viel Rock und Blues. Wenn ich zu pingelig werde, lege ich ZZ Top auf", sagt Göttlicher.

Sein wichtigster Preis? "Das Stipendium in der Villa Massimo. Das war ein Wendepunkt." Ein Jahr lang malen, ohne an Galeristen, Verleger, Museumsdirektoren zu denken. "Danach habe ich ohne Schere im Kopf gemalt." Aber es gab auch künstlerische Tiefpunkte. Für einen Verlag illustrierte er Goethes "Werther". "Mein peinlichstes Buch", sagt er heute. Nicht weil seine Bilder schlecht waren, sondern weil die Bücher schlecht gemacht worden seien. "Reine Bildungsattrappen", ätzt der Maler, der insgesamt mehr als 2000 Buchillustrationen veröffentlicht hat.

Nach Uetersen zog es den Maler, Hochschuldozenten und zweifachen Familienvater vor 35 Jahren vor allem, weil Wohnen dort günstig war. Göttlicher kaufte das baufällige Gebäude einer ehemaligen Tischlerei, renovierte es - und blieb. Obwohl er den Kreis Pinneberg schon bald öffentlich als "kulturelles Bermuda-Dreieck" verhöhnte. "Wir sind anfangs vor allem wegen der Kinder hier geblieben. Schule und Marsch fast direkt vor der Haustür, die beiden hatten eine schöne Kindheit." Heute schätzen er und seine zweite Frau die Nähe zu den vielen Künstlerfreunden und dass in Uetersen alles gut zu Fuß zu erreichen sei.

Zeichner werden wollte Göttlicher schon mit sechs, als seine Mutter ihn in eine Dürer-Ausstellung mitnahm. "Den Katalog habe ich heute noch." Die Familie war weniger begeistert. Als Künstler war Göttlicher schnell das Schwarze Schaf zwischen lauter professionellen Mathematikern. "Ich hatte in Mathe eine Fünf."