Heinz Parchmann, Polizeichef für den Kreis Pinneberg, fordert mehr Respekt vor den Menschen in Uniform

Pinneberg/Norderstedt. Er ist der oberste Dienstherr von 850 Polizisten in den Kreisen Pinneberg und Segeberg. Heinz Parchmann, 58, ist eine erfahrene Führungskraft. Bereits seit 1998 ist er Chef der Schutz- und Kriminalpolizei im Kreis Pinneberg. Als 2006 die Inspektionen aufgelöst und größere Einheiten gebildet wurden, übernahm er als Chef der Polizeidirektion außerdem die Führung im Kreis Segeberg. Im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe spricht Heinz Parchmann über die personelle Ausstattung der Polizei, die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten und die neuen Herausforderungen wie der Internetkriminalität. Zur Verstärkung hat Parchmann Ingo Minnerop, 46, den seit September 2010 amtierenden Kripo-Chef für den Kreis Pinneberg, mitgebracht, der sich mit jugendlichen Intensivtätern beschäftigt.

Hamburger Abendblatt:

Voriges Jahr ist die Zahl der Straftaten im Kreis Pinneberg um 4,2 Prozent auf 21 904 gesunken. Gleichzeitig konnte die Aufklärungsquote auf 47,1 Prozent erhöht werden. Hält dieser positive Trend in 2011 an?

Minnerop:

In einem Bereich steigen sie an, dafür in einem anderen gehen sie etwas runter. Großartige Veränderungen gegenüber dem Vorjahr gibt es nicht. Allerdings ist das Jahr noch nicht zu Ende, jetzt beginnt die Hauptsaison für Einbrecher.

Wo sind die größten Veränderungen?

Minnerop:

Bei den Einbrüchen verzeichnen wir einen starken Rückgang, teilweise liegen wir 25 Prozent unter den Vorjahren. Allerdings beginnt jetzt die dunkle Jahreszeit, in der wir die meisten Einbrüche haben. Stark angestiegen sind Aufbrüche und Diebstähle aus Autos. Das liegt daran, dass inzwischen jeder Wagen ein Navigationsgerät hat. Wer das abnimmt und nicht an der Windschutzscheibe hängen lässt, der legt das Gerät ins Handschuhfach. Das haben die Ganoven inzwischen erfasst. Gelegenheit macht Diebe.

Bei Diebstählen und Einbrüchen ist die Aufklärungsquote am niedrigsten. Woran liegt das und wie kann die Polizei gegensteuern?

Minnerop:

In Abhängigkeit von Spurenlagen und Hinweisaufkommen kann man fast jede Straftat aufklären, wenn man genügend Personal und Intensität reinsteckt. Da sind uns natürlich Grenzen gesetzt. An einem Mordfall arbeiten vier bis fünf Beamte. Bei einem Einbruch ergibt sich im Vergleich natürlich eine ganz andere Zahl.

Was können Bürger zu ihrem Schutz tun?

Minnerop:

Das fängt bei der Wohnungstür an. Alte Wohnungs- oder Haustüren, die nur einen Sicherungsbolzen haben, sind nicht mehr zeitgemäß. Die Schwachstellen sind aber aktuell andere, nämlich Fenster und Terrassentüren. Terrassentüren sind der beliebteste Einbruchspunkt, daran muss gearbeitet werden. Dann empfehle ich Außenjalousien - wer so was hat, ist weit vorne. Außerdem gilt: Wenn ein Haus im Hellen steht, traut sich kaum ein Einbrecher ran. Natürlich können wir als Polizei das nicht alleine schaffen, eine funktionierende Nachbarschaft ist das A und O. Wenn tatsächlich etwas passiert ist, sollten uns Seriennummern von entwendeten technischen Geräten übermittelt werden. Wenn wir Fernseher, Handys oder Laptops bei Tätern sicherstellen, müssen wir die Geräte auch einer Einbruchstat zuordnen können. Nur so können wir die Täter überführen. Die Erfahrung zeigt: Wenn wir ein paar von denen in Haft kriegen, dann ist mal drei bis vier Wochen Ruhe.

Hat es dieses Jahr Einbruchsserien gegeben?

Parchmann:

Zum Glück nicht. In der Regel fangen die Dämmerungseinbrüche aber erst mit der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit an. 2010 haben sich fast die Hälfte der Einbruchstaten zwischen Oktober und Dezember ereignet. Es handelt sich vielfach um Einzeltäter, aber auch um organisierte Banden, die häufig von Hamburg aus operieren. Wenn wir herausfinden, dass solche Gruppen hier unterwegs sind, bemühen wir uns, alle Wege aus und nach Hamburg abzudecken - sei es mit uniformiertem Personal, aber auch mit Zivilbeamten.

Hat die Polizei genügend Beamte?

Parchmann:

Wir müssen die Sicherheit von 560 000 Menschen im Direktionsbereich sicher stellen. Der Soforteinsatz hat Vorrang, das garantiere ich auch. Dann kommt der zweite Bereich, die Ermittlungen. Es gab Zeiten, wo wir mehr Spielräume beim Personal hatten. Aber ich sage noch einmal, wir können unsere Aufgaben erfüllen. Die Kunst ist, mit dem vorhandenen Personal zur richtigen Zeit die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Da müssen wir teilweise die eine oder andere Aufgabe zurückstellen. Ich würde mir auch mehr Personal wünschen. Fakt ist aber, dass wir mit dem vorhandenen auskommen.

Wie sieht es mit Überstunden und ihrem Abbau aus?

Parchmann:

Es fallen in Spitzenzeiten bei Großlagen wie Brokdorf viele Überstunden an, es fällt schwer, die abzubauen. Es gibt in Ausnahmefällen einen finanziellen Ausgleich. Ansonsten bemühen sich die Dienststellenleiter, Mehrarbeit zu verhindern. Das führt dazu, dass an einigen Wochentagen die Einsatzstärke heruntergefahren wird. Es gibt aber eine festgelegte Mindesteinsatzstärke, diese wird immer eingehalten. Das, was zwingend erforderlich ist, wird gemacht.

Wie viele Straftaten gibt es pro Jahr in den Kreisen Pinneberg und Segeberg? Und wie sind diese Zahlen einzuordnen?

Parchmann:

Wir haben es im Direktionsbereich jährlich mit etwa 40 000 Straftaten und 13 000 Verkehrsunfällen zu tun, das sind landesweit mit die höchsten Zahlen. Es gibt auf Landesebene eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Stellenverteilung bei der Landespolizei befasst, die danach guckt, ob es personelle Schieflagen in einzelnen Bereichen gibt. Ich habe in der Vergangenheit immer gesagt, die gibt es, und ich stehe dazu. Und der Verdacht, dass es in der Polizeidirektion Segeberg, was ihre Arbeitsbelastung betrifft, mehr Personal sein könnte, der Verdacht scheint sich zu bestätigen. Ich sage aber ausdrücklich nicht, dass andere Bereiche zu viel Personal haben. Die Landespolizei ist insgesamt hoch belastet.

Die Internet-Kriminalität boomt. Sind ihre Beamten in der Lage, in diesem Deliktbereich zu ermitteln? Wie sieht es mit der technischen Ausrüstung und der notwendigen Schulung aus?

Minnerop:

Das Internet macht vieles komplexer. Früher hat jemand Quelle betrogen, da haben wir mit dem Sachbearbeiter bei Quelle gesprochen und der konnte uns Hinweise geben, die dann oft zum Täter führten. Heutzutage wird zum Beispiel bei Ebay gekauft. Und wenn da ein Betrug stattfindet, haben wir eine gewisse Hürde, um bei Ebay herauszufinden, wie das vonstatten gegangen ist, wie der Account-Inhaber aussieht und was für Transaktionen er noch getätigt hat. Die Bereitschaft von solchen Plattformen, die polizeilichen Ermittlungen intensiv zu unterstützen, kann ich nicht bestätigen. Was die Ausstattung betrifft, haben wir inzwischen die Situation, dass jeder Kollege einen internetfähigen Rechner hat und mit diesem auch umgehen kann und muss.

Die Gewaltbereitschaft gegen Polizisten nimmt zu.

Parchmann:

Die Zahlen sind im Direktionsbereich leicht rückläufig. Wir haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres 129 derartige Fälle. Das Jahr davor waren es zum gleichen Zeitraum 153 Fälle. Die Gesamtzahlen liegen im Kreis Pinneberg etwas höher als im Kreis Segeberg. Das wundert auch nicht, weil der ländliche Bereich im Kreis Segeberg größer ist. Solche Vorfälle gibt es größtenteils im städtisch geprägten Bereich. Fast immer ist Alkohol mit im Spiel. Alkoholisierte Menschen neigen dazu, Aggressivität zu entwickeln und Polizeibeamte und ihre Weisungen weniger zu akzeptieren.

Wie sind ihre Kollegen darauf vorbereitet?

Parchmann:

Sie sind sehr gut vorbereitet, auch ihre Ausstattung ist sehr gut. Allerdings steckt in jeder Uniform auch ein Mensch. Und selbst wenn man eine Schutzausrüstung anhat, leidet trotzdem die Seele, wenn man geschlagen und geschubst wird. Was ich mir wünschen würde, ist mehr Respekt vor dem Menschen in Uniform und dass mehr Berücksichtigung findet, dass auch Polizeibeamte das Recht haben, unverletzt nach Hause zu kommen und eine Menschenwürde haben.

Wie verarbeiten Kollegen solche schlimmen Erfahrungen?

Parchmann:

Wir haben ausgebildete Kolleginnen und Kollegen für Krisenintervention, die mit Betroffenen das Gespräch suchen. Wichtig ist einmal, dass die Kollegen und Kolleginnen miteinander reden und das machen sie in ihrer Dienstelle. Das ist wichtig, weil es das erste Verarbeiten ist. Dann kümmert sich der Vorgesetzte, und dann kann man professionelle Hilfe vom Kriseninterventionsteam oder der Notfallseelsorge der Landespolizei dazu holen. Wir haben auch einen psychologischen Dienst bei der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung.

Werden diese Angebote relativ häufig in Anspruch genommen?

Parchmann:

Die Inanspruchnahme ist eher gering. Laut einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wird ungefähr sechs Prozent der Fälle von derartigen Einrichtungen Gebrauch gemacht. Viele Kollegen verarbeiten das durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten, wünschen sich aber auch, dass sich stärker gekümmert wird. Daran sind wir am Arbeiten.

Die Jugendkriminalität ist ein Problem. Im Kreis Pinneberg gibt es seit Jahren zwei Ermittlungsgruppen in Elmshorn und Pinneberg, die sich nur mit diesen Tätern befassen. Zeigt diese Speziali-sierung Erfolg? Und wie viele Intensivtäter sind derzeit bei ihnen aktenkundig?

Minnerop:

Das Argument, das für diese Ermittlungsgruppen mit jeweils vier Beamten spricht, ist es der Umstand, dass wir bei Leuten dieses Alters noch etwas bewegen. Ein 13-, 14-, 15-jähriger Mensch, der noch nicht seinen Weg gefunden hat, wenn wir den in die richtige Richtung lenken, dann hat man da Erfolg. Bei einem älteren Dauerstraftäter, der schon Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, kommen wir da nicht mehr weiter, da geht es dann wirklich nur darum, die wegzusperren. Die Entwicklung, was die Jugendkriminalität betrifft, ist 2011 nicht sonderlich auffällig, es gibt keine großen Veränderungen. Wir kommen bisher auf die gleichen Zahlen wie im Vorjahr. Auffällig aber ist, dass der Anteil der weiblichen Täter erheblich angestiegen ist. Intensivtäter haben wir im Kreis Pinneberg derzeit etwa 80. Wichtig ist, dass die Bestrafung möglichst schnell nach der Tat erfolgt. Auf diese Weise lassen sich kriminelle Karrieren wirkungsvoll eindämmen. Wir sind, was den Landgerichtsbezirk Itzehoe angeht, da sehr weit.

Letzte Frage: Mitte Oktober ist es beim Einsatztraining in der Eggerstedt-Kaserne zu einem Schießunfall gekommen, bei dem drei Beamte verletzt wurden - einer davon schwer. Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand?

Minnerop:

Das ist ein ganz schlimmer Fall. Der betroffene Beamte ist sehr schwer verletzt, wird sehr lange mit der Sache leben müssen. Das Handgelenk ist durch die Kugel sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Wie bei jedem anderen Unfall auch gucken wir hier nach, wen welche Schuld trifft. Wir haben unsere Ermittlungen diesbezüglich abgeschlossen und geben das jetzt an die Staatsanwaltschaft weiter. Hier liegt zunächst einmal ein Körperverletzungsdelikt vor. Wie das rechtlich zu bewerten und einzuordnen ist, obliegt der Staatsanwaltschaft. Für uns steht die Genesung des Kollegen im Vordergrund.

Parchmann:

Das war ein bedauerlicher Unfall, der passiert ist, der aber nicht passieren durfte. Wo Menschen arbeiten, da passieren aber nun einmal Fehler. Wir können daran leider nichts mehr ändern. Dem Kollegen, der den Schuss versehentlich abgegeben hat, tut es am meisten leid, das ist logisch. Das ist übrigens ein Fall für die Krisenintervention. Wir haben mit allen Beteiligten entsprechende Gespräche geführt. Für uns ist wichtig, dass der Kollege so weit wieder hergestellt wird, dass er seine linke Hand wieder gut gebrauchen kann.

Werden aus dem Geschehen Konsequenzen gezogen?

Minnerop:

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Wir haben auch vorher gedacht, dass wir alles getan haben und dass so etwas nicht passieren kann. Wir haben jetzt noch einmal analysiert, wie es dazu gekommen ist und haben die gegenseitigen Kontrollen, ob die Munition, die wir im Einsatz brauchen, die aber im Training aus den Waffen verschwunden sein muss, auch tatsächlich raus ist, noch einmal intensiviert. Da war einfach eine Kugel drin, die da nicht hätte drin sein dürfen.

Herr Parchmann, Herr Minnerop, wir danken für das Gespräch.