Nach der Mordserie der Neonazis aus Thüringen sind präventive Projekte gegen die rechte Gewalt im Kreis Pinneberg noch wichtiger geworden.

Kreis Pinneberg. Die Novemberkälte lässt die Schüler trotz dicker Jacken frösteln, als sie in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau den Gleisen folgen. Ihr Weg führt sie direkt in den Raum, in denen vor knapp 70 Jahren Tausende Menschen ermordet wurden: die Gaskammer des ehemaligen Konzentrationslagers. Die Kinder schweigen, können sich schon kaum vorstellen, wie sehr die Deportierten in ihren dünnen Schlafanzügen und Holzpantoffeln gefroren haben müssen - geschweige denn, dass Menschen sie auf diese Weise in den Tod geschickt haben.

Das, was die 22 Oberstufenschüler der Johannes-Brahms-Schule in Pinneberg während ihrer Projekttage in Polen am vergangenen Wochenende nachempfunden haben, hat sie geprägt.

"Die Geschichte des Nationalsozialismus hautnah zu erleben, ist die beste Prävention gegen Rechtsextremismus", sagt Markus Ritter. Der studierte Kinder- und Jugendpsychologe unterrichtet seit drei Jahren Italienisch, Französisch und Kunst an dem Gymnasium am Fahltskamp. Mit Religionslehrerin Hannah Schäfer hat er die Reise in Deutschlands dunkle Vergangenheit organisiert.

Angesichts der aktuellen Falls der drei Neonazis aus Thüringen, die mordend durch Deutschland zogen, wird die präventive Arbeit gegen rechte Gewalt wichtiger denn je. "Wer einmal die Berge von Haaren, Brillen, Zahnbürsten und Koffern der Opfer des Nationalsozialismus gesehen hat, der ist davor gefeit, in die rechte Szene abzurutschen", sagt Ritter mit brüchiger Stimme. Die Bilder aus dem Vernichtungslager sind noch gegenwärtig. Die Gruppe ist gerade erst zurückgekehrt. Nun werden Markus Ritter und Hannah Schäfer das Erlebte mit den Schülern aufarbeiten.

Auch an anderen Schulen im Kreis wird neben der im Lehrplan festgeschriebenen geschichtlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine Vielzahl von Projekten angeboten. "Wir unternehmen spezielle Stadtrundfahrten zu Plätzen, die während der Hitlerzeit eine wichtige Rolle gespielt haben oder gehen mit den Schülern ins Konzentrationslager Neuengamme", sagt Antonius Soest, Rektor der Gebrüder-Humboldt-Schule in Wedel. Auch am Projekt Stolpersteine - Gedenksteine für die Opfer des Nationalsozialismus - beteiligen sich seine Schüler regelmäßig.

Die Europaschule fördert zudem den Austausch mit Schülern aus Montenegro, Libanon oder Finnland. Dabei entstehen Freundschaften über Landesgrenzen hinaus und Vorurteile werden abgebaut. Rektor Soest glaubt, dass Kinder am besten vor braunem Gedankengut geschützt werden, wenn sie eine gute Schulzeit erleben, in der ihnen Werte fürs Leben vermittelt werden.

Auf lebendigen Geschichtsunterricht setzten auch die Kollegen am Johann-Rist-Gymnasium in Wedel. Dort trafen Achtklässler am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht 1938, auf Zeitzeugen des Dritten Reichs.

Dass eine gute Schulzeit die beste Prävention ist, glaubt auch Alexej Stroh, Schulleiter am Ludwig-Meyn-Gymnasium in Uetersen: "Unser gesamtes pädagogisches und schulisches Handeln - unabhängig vom Fach - ist darauf ausgerichtet, die Schüler zu toleranten und weltoffenen Menschen zu erziehen, die die demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft verinnerlichen", sagt er. "Dazu gehört, Minderheiten in der Gesellschaft zu akzeptieren und Menschen anderer Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen." Darüber hinaus seien die Themen Nationalsozialismus, politisch und religiös motivierter Extremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Homophobie oder sexuelle Gewalt Gegenstand vieler Fächer und werden in unterschiedlichen Kontexten thematisiert. Eine Arbeit, die sich auszahlt. Eine Gruppe Ludwig-Meyn-Schüler hat im vergangenen Jahr den Bertini-Preis für junge Menschen mit Zivilcourage für ihr Buch "Uetersen im Nationalsozialismus" erhalten. Sie hatten dafür Archive durchwühlt, mit Angehörigen der Opfer und Täter gesprochen und mit ihrer Arbeit ein dunkles Kapitel der Rosenstadt aufgearbeitet. Das Thema Rechtsextremismus ist ein Dauerbrenner, sagt Stroh. "Es bleibt aber den Kollegen überlassen, die aufgedeckten Fälle von Schwerstkriminalität als Aufhänger für ihren Unterricht zu verwenden."

"Natürlich greifen wir aktuelle Diskussionen auf, egal ob Wirtschaftskrise, Mindestlohn oder Terror durch die Rechten", sagt Rita Wittmaack, Leiterin der Klaus-Groth-Schule in Tornesch. Ihr sei kein Fall von rechter Gewalt an ihrer Schule bekannt. Allerdings hatten Unbekannte vor Jahren mal zwei Hakenkreuze an das Schulgebäude geschmiert - außerhalb der Schulzeit. Damals ermittelte sogar die Polizei.

In allen Schulen im Kreis dient der Fremdsprachenunterricht der vertiefenden Betrachtung fremder Kulturen. Auch Austauschfahrten führen Schüler unterschiedlicher Länder zusammen - eine effektive Art, Vorurteile abzubauen. So auch an der Elsa-Brändström-Schule in Elmshorn. Schüler der Jahrgänge 7 und 8 tauschen sich im Rahmen des Comeniusprojekts mit Altersgenossen aus Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und der Türkei aus. Es sind auch Elmshorner Schüler, die jedes Jahr den Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust im Saalbau der Waldorfschule organisieren. "Wir beziehen uns auch auf aktuelle Ereignisse und bauen diese in unseren Unterricht ein", sagt Rektor Uwe Lorenzen. Gerade erst sei ein Kollege mit einem Zeitungsartikel über die Thüringer Neonazis in den Klassenraum verschwunden.