An Gymnasien im Kreis Pinneberg werden 3,78 Prozent der Stunden nicht gegeben - das ist ein Negativrekord in Schleswig-Holstein.

Kreis Pinneberg. Wer im Kreis Pinneberg aufs Gymnasium geht, hat schlechte Karten. Denn hier fällt im Landesdurchschnitt am häufigsten der Unterricht aus. Das geht aus dem "Bericht zur Unterrichtssituation im Schuljahr 2010/2011" des Bildungsministeriums hervor. Demnach fallen in Schleswig-Holstein an allen Schulen insgesamt 2,17 Prozent Unterricht aus. Der Kreis Pinneberg lag mit 2,51 Prozent darüber (0,08 Prozent mehr als im Vorjahr) - trauriger Spitzenplatz.

Der durchschnittliche Unterrichtsausfall war demnach in den Grundschulen mit 0,68 Prozent am niedrigsten. Die höchsten Werte wurden mit 3,78 Prozent in den Gymnasien erreicht (0,48 Prozent mehr als im Vorjahr), gefolgt von den Gemeinschaftsschulen mit 2,85 Prozent (0,74 Prozent weniger als im Vorjahr) und den Regionalschulen mit 3,66 Prozent (0,47 Prozent weniger als im Vorjahr). "Dies ist auf eine Steigerung des Ausfalls aufgrund von Lehrerfortbildungen zurückzuführen", heißt es im Bildungsbericht, der heute im Parlament beraten wird.

Martin Habersaat, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, hält das für wenig stichhaltig. "Von einer Fortbildungsoffensive ist mir nichts bekannt", sagt er. "Außerdem sollten solche Fortbildungen im Schwerpunkt doch außerhalb der Unterrichtszeiten stattfinden." Auf Wunsch der Lehrer hatte das Bildungsministerium das Diktum gelockert, dass Fortbildungen nicht in Unterrichtszeiten vorgenommen werden sollen. Allerdings dürfen die Lehrkräfte nur an Fortbildungen während der Unterrichtszeit teilnehmen, wenn für Vertretung gesorgt ist.

Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass die von der Statistik erfassten Unterrichtsausfälle sämtlich in irgendeiner Form mit Krankheitsfällen in der Lehrerschaft zusammenhängen. Zwar gibt es im Land einen mit 12,1 Millionen Euro ausgestatteten Vertretungsfonds, aus dem Ersatzlehrer bezahlt werden können. Allerdings stehen Vertretungslehrer nicht sofort bereit, wenn sie gebraucht werden. Für einige seltene Fächerkombinationen sind sie manchmal gar nicht zu bekommen. Gerade in den Randlagen des Landes ist das schwierig. Wie bewegt man einen Vertretungslehrer, der in Kiel wohnt, dazu, für eine oder zwei Wochen in Pinneberg zu unterrichten?

Dies alles erklärt allerdings nicht, warum der Kreis landesweit die Spitzenposition in Sachen Stundenausfall einnimmt. Sehen die Lehrer hier ihren Schulalltag noch häufiger als Belastung, wie es eine von der Krankenkasse DAK in Auftrag gegebene Umfrage der Leuphana-Universität Lüneburg in norddeutschen Ländern ergeben hat? Werden Pädagogen im Kreis häufiger krank? Beate Hinse, Sprecherin des Bildungsministeriums, kann diese Frage nicht beantworten, relativiert die DAK-Studie allerdings: "Im Kreis Pinneberg wurde lediglich eine Schule befragt."

Dass am häufigsten an Gymnasien Unterricht ausfällt, läge daran, dass es schwierig sei, Fachkräfte zu ersetzen. "Zudem ist es leichter für Ausfälle, die durch langwierige Krankheiten wie Burnout entstehen, eine Vertretung zu bekommen, als für zwei Krankheitstage", sagt Hinse. Aber auch bei langer Krankheit gelingt es nicht immer, Ersatz für die jeweiligen Fächer zu finden. Insgesamt habe sich die Situation jedoch deutlich verbessert. "Der Unterrichtsausfall hat sich seit 2005 an allen Schularten mehr als halbiert", sagt Hinse. Zudem sei Schleswig-Holstein im Landesdurchschnitt gut aufgestellt. Selbst an Pinneberger Gymnasien sei die in den Stundentafeln festgelegten Unterrichtsstunden erreicht worden.

Bernd Schauer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hält das Zahlenmaterial des Ministeriums für wenig aussagekräftig. "Bei der Statistik zum Unterrichtsausfall wird geschummelt ohne Ende", sagt er - und meint damit nicht die Schulleiter, die die Zahlen ans Ministerium weitergeben, sondern die Art und Weise, wie das Ministerium den Begriff "Ausfall" definiert.

Denn durchaus nicht jede ausgefallene Stunde taucht in der Statistik auf. In der Oberstufe gibt es zum Beispiel "eigenverantwortlichen Unterricht". Das bedeutet: Der Lehrer ist zwar nicht da, hat seinen Schülern aber vorher gesagt, mit welchem Thema sie sich in jenen Stunden beschäftigen sollen. Ist damit Unterricht ausgefallen? Nein - jedenfalls nicht laut Statistik. Ein anderer Fall: Ein Lehrer unterrichtet zwei Klassen zugleich, weil ein Kollege nicht zur Arbeit erschienen ist. Das kommt in Grundschulen öfters vor und gilt ebenfalls nicht als Unterrichtsausfallen. Ein dritter Fall: Der Physiklehrer erkrankt und wird in seiner Stunde vertreten von einem Lehrer, der Kunst oder Deutsch unterrichten kann. Ausfall? Nein, sagt die Statistik. Denn es ist zwar die Physikstunde ausgefallen, aber dennoch ist Unterricht gegeben worden.

Kein Wunder, dass Bernd Schauer findet: "Der tatsächliche Stundenausfall in Schleswig-Holstein liegt deutlich über den offiziellen Angaben." Er empfiehlt, Vertretungsunterricht in Zukunft besser zu dotieren. "Außerdem muss man denjenigen, die einspringen, eine Perspektive bieten können, die in eine Festanstellung mündet."