Als Maler hat Torwartlegende Kargus sich von den Zwängen des Profi-Fußballs befreit. Seine Bilder sind derzeit in der Drostei.

Pinneberg. Müde blickt ein hell geschminkter Harlekin aus einem dunkel gestalteten Raum, die Gesichtszüge schemenhaft, ebenso das angedeutete Kostüm. Erst beim zweiten Hinsehen fällt die blaue Galgenschlinge auf, die direkt neben dem Gesicht von oben herab baumelt. Das Gemälde "Finches and Gallows" wirkt eng, bedrückend, düster. Der Harlekin wirkt freudlos, hoffnungslos. Noch plakativer hat Maler Rudi Kargus das Motiv quälender Unfreiheit und Fremdbestimmung in seinem Bild "Ende der Dressur" eingefangen: Ein nackter Mensch hockt am Boden wie ein Hund, den Hals in einen eisernen Ring gezwängt, daran eine Stahlkette. Die schockierenden Fotos erniedrigter irakischer Häftlinge im Lager Abu Ghraib lassen grüßen.

Wohl nirgends ist der Eindruck von Zwang, Fremdbestimmung, Selbstentfremdung, der einen Teil der Ausstellung "Nebel von gestern" kennzeichnet, so mächtig wie im Kabinett der Drostei. Ganz bewusst haben Kuratorin Rita Strate und Kargus die vielleicht bedrückendsten Bilder der Schau in den kleinsten Raum gehängt. Unmittelbarer als in jedem anderen Raum der Ausstellung machen die fünf Arbeiten hier das Lebensgefühl erfahrbar, aus dem der frühere Weltklassetorwart Kargus, der mit dem HSV in den 70er-Jahren DFB-Pokal und Deutsche Meisterschaft holte, sich vor allem mit Hilfe seiner Malerei in einem mühsamen Prozess befreit hat. Das Leben als Profi-Fußballer habe ihm auch oft gefallen: "Das war ein Kindertraum von mir, ich fand's toll."

Andererseits sei dieser Alltag auch von einer gewissen Unwirklichkeit geprägt gewesen. "Das war eine Plastikwelt", sagt der 59-Jährige heute. "Damals war ich ein total dressierter Mensch. Als Profisportler ist man für Normalabläufe total verdorben." Der Alltag sei komplett fremdbestimmt, man stecke in einer Art Zeitkorsett. "In dieser Zeit ist man vom Leben ausgeklammert und lebt in einer ganz eigenen Welt."

Wie diese Welt sich für den legendären und bis heute unerreichten "Elfmetertöter" der Bundesliga anfühlte und wie es ihm gelang, sich daraus zu lösen, ist eines der Themen seiner aktuellen Ausstellung in der Drostei. Landrat Oliver Stolz und Kuratorin Rita Strate eröffnen sie am Donnerstag, 6. Oktober, um 19 Uhr, Galerist Thomas Holthoff übernimmt die künstlerische Einführung. Die Ausstellung umfasst 37 Ölbilder, die fast alle 2010 und 2011 entstanden sind. Sie ist bis einschließlich Sonntag, 20. November, zu sehen, und zwar jeweils mittwochs bis sonntags von 11 bis 17 Uhr. Der Eintrittspreis beträgt drei Euro, ermäßigt 1,50 Euro.

Kargus spricht leise. Den weichen Pfälzer Dialekt hat der gebürtige Wormser auch nach Jahrzehnten im hohen Norden nicht abgelegt. Das dunkle Sakko hängt locker um den schlaksigen Zwei-Meter-Hünen. Die langen Locken sind einer zeitgemäßen Frisur gewichen, die Haarpracht schütterer geworden.

Seine innere Energie hat Kargus sich bewahrt. Er wirkt entspannt, scheint beim Gespräch über seine Kunst in sich zu ruhen. Der Mann hat seine Wohlfühldistanz zum Fußball ganz offenbar gefunden.

Vor 15 Jahren entdeckte er seine Neigung und Begabung zum Malen. Nach einer Operation stand eine Zwangspause vom Fußballgeschäft an, dem er damals als Nachwuchstrainer des Hamburger SV verbunden war. Kargus hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Fast 30 Jahre hatte er für den Fußball gelebt, 18 Jahre davon in den wechselnden Gruppen des Profi-Zirkus. "Da muss man sich ständig unterordnen. Ich bin aber überhaupt kein Gruppenmensch." Umso mehr genieße er das Malen. "Das ist ja eine ziemlich einsame Beschäftigung, da geht man in sich hinein."

Der Sportprofi wollte endlich anders leben, probierte viel aus. Theater, Musik, Literatur - ihn habe eigentlich alles interessiert. "Ich hätte auch gern ein Instrument gelernt, aber auf diesem Gebiet war ich absolut untalentiert", sagt Kargus. Die Malerei aber sei von Anfang an angenehm gewesen.

In Jens Hasenberg, Dozent an der Kunstschule Blankenese fand er 1997 seinen Mentor. Der Mallehrer begleitet seine künstlerische Entwicklung bis heute. "Was ich dabei gelernt habe und sensationell genieße, ist meine Autonomie", sagt Kargus. "Ich male, wie, wann und was ich will. Das ist toll."

Und es ist sehenswert. Kargus malt kraftvoll, bevorzugt große Formate. "Ich male körperlich, gestisch. Da kommt mir das große Format entgegen." Er mag die Bilder von Bacon und Kirkeby, bewundert auch die Kunstfertigkeit und Ausdrucksstärke der alten Meister. "Rembrandt, Caravaggio - das ist großartig, das begeistert mich."

Beim Gang durch die Ausstellung fallen die Brüche ins Auge, die Kargus' Arbeiten kennzeichnen, formal ebenso wie inhaltlich. Da schlängeln sich schmale Linien neben weitläufigen Flächen, stumpf-schlammiges Braun bringt grelles Neongelb oder sattes Pink zum Leuchten. Schemenhaft angedeutete Figuren stehen architektonisch gestalteten Räumen gegenüber, pastoser, zähflüssiger Farbauftrag grenzt an wässrig-dünne Areale. Nichts ist eindeutig, alles abstrakt. Der Maler gibt den Betrachtern Rätsel auf. "Die Bilder dürfen gern ihr Geheimnis behalten", sagt Kargus. "Das ist spannend, das mag ich generell an Bildern."

Der Wahl-Quickborner, der sich sein Atelier in einem Resthof eingerichtet hat, setzt sich in seinen Arbeiten immer mit einer konkreten Idee auseinander. "Ich starte oft mit einem Foto oder einem Zeitungsausschnitt." Beim Malen lasse er sich vom Zufall lenken. "Das ist ein spannender Prozess."

Dabei verarbeitet Kargus sein Lieblingsmaterial Öl mit Pinsel, Spachtel, Tube und bloßen Händen. Zwischen drei Tagen und drei Monaten ringt er mit jedem Werk. "Manchmal funktioniert es mit Power, manche Stelle bearbeitet man immer wieder." Und wenn es gar nicht klappen will, wird die Leinwand mit breitem Pinsel blütenweiß übermalt. "Das ist auch ein befreiender Moment."

Und Fußball? Der Niedergang seines früheren Vereins HSV - interessiert ihn das noch? "Ich gucke mir das schon noch an. Aber eben aus der Distanz. Der Sport hat sich sehr verändert. Wie die Spieler heute in der Öffentlichkeit stehen, dass ist viel gigantischer als zu meiner Zeit."