Landesrechnungshof hat die Finanzlage der Hamburger Randkreise vergleichend unter die Lupe genommen

Kreis Pinneberg. Dass der Kreis Pinneberg finanziell aus dem letzten Loch pfeift, ahnten Insider schon lange. Jetzt haben sie es schwarz auf weiß: Seine "dauernde Leistungsfähigkeit" sei "gefährdet", heißt es in einem fast 500 Seiten umfassenden Prüfbericht des Landesrechungshofs, der der Redaktion vorliegt. Der Kreis Pinneberg werde in den kommenden Jahren "mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert" sein. Sogar die Selbstständigkeit stehe auf dem Spiel.

Um aus der Misere herauszukommen, empfehlen die Prüfer, neue Wege zu beschreiten, die über Kooperationen mit Nachbarkreisen hinausgehen. "Nach Auffassung des Landesrechnungshofs muss auch eine Kreisgebietsreform ernsthaft angegangen werden", heißt es da. "Angesichts der zu erwartenden Deckungslücken darf es keine Tabus geben."

Diese Schwarzmalerei aus Kiel sei nichts Neues, sagt SPD-Fraktionschef Hannes Birke. Das stehe seit 2003 unter jedem Haushaltserlass des Innenministers, der unter erheblichen Auflagen für 2011 genehmigt worden ist. So darf der Kreis dieses Jahr nur die Hälfte der beantragten Kredite aufnehmen. Das wird dazu führen, dass geplante Investitionen erneut verschoben werden müssen. Dazu zählen die Kreisberufsschule, die Feuerwehrzentrale und die K 22.

Kreissprecher Marc Trampe will nicht zu Details Stellung nehmen. Der Prüfbericht werde von der Verwaltung zurzeit intensiv analysiert. Im Oktober werde die eigene Stellungnahme der Politik vorgelegt, die im November im Kreistag darüber beraten soll. Parallel dazu "sind wir mit der Politik im Gespräch, um einen Weg aus der Finanzmisere zu finden", sagt Trampe.

Die Verwaltung werde dazu mit der Politik ein Konsolidierungspaket erarbeiten, dessen Ziel sein müsse, möglichst keine Haushaltsdefizite mehr zu machen (2011: 20,4 Millionen Euro).

Sparen allein werde da allerdings nicht reichen, betont Birke: "Unter Haushaltskonsolidierung verstehen wir dreierlei: sparen, umschichten und gestalten", so der SPD-Fraktionschef. "Wir müssen die ideologischen Scheuklappen ablegen und lieb gewordene Steckenpferdchen müssen abgesattelt werden."

Der Prüfbericht beschreibt ein düsteres Bild. So hatte der mit 305 000 Einwohnern bevölkerungsreichste Landkreis Ende 2009 die mit Abstand höchste Pro-Kopf-Verschuldung der vier geprüften Hamburger Randkreise: 372 Euro. In Stormarn waren es im Vergleich 217, in Segeberg 306, in Lauenburg 261 Euro.

Zudem hat der Kreis Pinneberg laut Prüfbericht beim Abschluss von drei Darlehensverträgen gegen Gesetze verstoßen. "Diese Verträge bestehen aber nicht mehr", versichert Kreissprecher Trampe. Die Zinsen für diese Kredite waren an die Zinsentwicklungen in den USA gekoppelt. Der Kreis hat gewissermaßen darauf gewettet, dass dieser Referenzzins eine bestimmte Höhe nicht überschreiten wird. Für den Landesrechnungshof ist das ein Geschäft mit "spekulativem Fremdwährungscharakter". "Es verstößt damit gegen das Spekulationsverbot", so die Prüfer. Landrat Oliver Stolz verweist allerdings darauf, dass es auch für Behörden "nicht unüblich" sei, sich bei Kreditgeschäften bei der Zinsentwicklung abzusichern.

Zu allem Überfluss funktioniert im Kreis offenbar das Rechnungswesen nicht, also die innerbetriebliche Kontrolle der Finanzen. "Der Jahresabschluss 2007 konnte erst am 1. März 2011 vorgelegt werden", schreiben die Prüfer. "Die haushaltspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre basierten auf einer nicht gesicherten Ausgangsbasis." Fazit: In Pinneberg besteht "eine absolut unhaltbare Situation beim Rechnungswesen". Dieses Problem habe man inzwischen im Griff, betont Trampe. Die Schlussbilanz für das Haushaltsjahr 2012 soll in Abstimmung mit dem Innenministerium spätestens im Juli 2013 vorliegen.

Auch die Personalkosten sind zu hoch. Der Kreis Pinneberg gibt pro Stelle 57 477Euro aus, in Segeberg sind es nur 53 622Euro. "Eine Reduzierung auf den Durchschnitt der Kreise könnte zu einer jährlichen Ersparnis von bis zu 1,47 Millionen Euro führen", so die Prüfer. Im Vergleich zur Einwohnerzahl (89,13 Euro) liegt der Kreis Pinneberg aber unter dem Landesdurchschnitt.

Trotz der hohen Personalkosten werden teilweise schlechte Ergebnisse erzielt. Bei der Bauaufsicht haben die Prüfer festgestellt: "Der Kreis Pinneberg weist überdurchschnittliche Bearbeitungszeiten beim Bauvorbescheid und deutlich längere Bearbeitungszeiten als die Kreise Stormarn und Segeberg bei allen Baugenehmigungen auf." Wer also hier bauen will, muss lange warten. Für einen Bauvorbescheid brauchte die Stormarner Kreisverwaltung im Schnitt der Jahre 2005 bis 2008 exakt 7,8 Wochen, in Pinneberg dauerte es zwölf Wochen. Bauanträge waren in Stormarn nach 9,3 Wochen beschieden, in Pinneberg erst nach 10,7 Wochen.

Auch bei den Sozialausgaben liegt Pinneberg vorn. Bei der Sozialhilfe hat es in den Jahren von 2006 bis 2009 eine Zunahme von fast 50 Prozent gegeben, in Stormarn waren es nur 28,3 Prozent. Pinneberg verweist darauf, dass die Zahl der Leistungsempfänger besonders hoch sei. Mit 15,7 Fällen je 1000 Einwohner liege man über dem Durchschnitt der Kreise (14,3).

Es gibt aber auch einen "systembedingten" Nachteil für den Kreis Pinneberg, konzediert der Landesrechnungshof. Als Landkreis mit vielen finanzstarken Städten und Gemeinden werde er bei den Landeszuschüssen benachteiligt. Die Zunahme der Finanzkraft senkt automatisch die Schlüsselzuweisung des Landes und kommt dem Kreis Pinneberg nur in Höhe der Kreisumlage zu Gute, so die Prüfer. "Dieser Zusammenhang erfordert grundsätzlich höhere Kreisumlagen bei den finanzstärkeren Kreisen." Mit 39 Punkten ist die Kreisumlage in Pinneberg landesweit am höchsten.