Schriftsteller Arno Surminski spricht im Abendblatt-Interview über die Kindheit in Ostpreußen und den Klang der Sprache

Pinneberg. Auf Einladung der Kreisgemeinschaft Fischhausen liest der Autor Arno Surminski am 17. September um 17 Uhr im Hotel Cap Polonio aus seinem Roman "Winter Fünfundvierzig oder Die Frauen von Palmnicken". Der Eintritt ist frei. Wir fragten den Hamburger Schriftsteller:

Hamburger Abendblatt:

Herr Surminski, was bedeutet Heimat für Sie?

Arno Surminski:

Heimat hat für mich einen Wohlklang, es ist überhaupt eines der schönsten deutschen Wörter. Für mich ist Heimat nicht unbedingt an Bäume und Häuser, Dörfer und Städte gebunden, sondern hat vor allem mit Menschen zu tun. Ich kann Heimat nur da finden, wo ich auch vertraute Menschen habe. Deshalb liegt mir die alte Heimat im Osten nicht mehr so am Herzen wie meine heutige norddeutsche Heimat. Aber manches ändert sich und jetzt lerne ich Menschen kennen, die heute im ehemaligen Ostpreußen leben.

Sie waren ein Kind, als sie vertrieben wurden. Trotzdem ist Ostpreußen ihr Lebensthema geblieben. Warum?

Surminski:

Weil es so ein gewaltiger Einschnitt war, der mich für mein ganzes Leben geprägt hat. Auch als Kind macht man Erfahrungen, man erlebt vieles zum ersten Mal und hält das dann ein Leben lang in Erinnerung.

Sind das Bilder, die sie im Kopf haben, ist das der Klang der Sprache?

Surminski:

Ich bin ohnehin ein Schriftsteller, der von Bildern lebt. Ich könnte niemals ein Buch über ein Land oder eine Stadt schreiben, die ich nicht besucht habe. Ich muss sehen, wo die Sonne auf- und wo sie untergeht. Aber es ist auch der Klang der Sprache. Wenn Hochdeutsch gesprochen wird, kann ich sofort erkennen, dass ein bestimmter Satz in Ostpreußen so niemals gesagt worden wäre. Es gibt einen bestimmten Klang, der dort anders war, den ich niemals vergessen werde.

1945 sind Millionen Menschen aus dem Osten gekommen, viele auch nach Schleswig-Holstein. Wie haben diese Menschen die deutsche Gesellschaft verändert?

Surminski:

Ich bin der Meinung, dass es eine sehr positive gegenseitige Beeinflussung gewesen ist. Ich habe darüber das Buch "Kudenow oder An fremden Wassern weinen" geschrieben und versucht, diese Aufmischung zu schildern. Allein durch die vielen Ehen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen hat sich die Perspektive der Gesellschaft verändert, was beiden Seiten viel gebracht hat. Man muss auch sagen, dass die deutsche Gesellschaft in der Nachkriegszeit trotz vieler Probleme und Missverständnisse eine großartige Integrationsleistung vollbracht hat.

Die Vertriebenenverbände haben nach dem Krieg sehrt stark das erlittene Unrecht in den Mittelpunkt gestellt, nicht die nationalsozialistische Barbarei und den von Deutschland begonnenen Krieg, was Ursache und Voraussetzung dafür war. Sie haben immer beides genannt. Sind Sie dafür angegriffen worden?

Surminski:

Ich habe nur geschichtliche Vorgänge richtig geschildert. Manchem wäre es lieber gewesen, wenn ich die alte Heimat zurückgefordert hätte. Ich habe auch den Vertriebenfunktionäre immer gesagt: Ich werde vorurteilsfrei alles beschreiben, aber ich will nichts wiederhaben. Ich will mit den Menschen, deren Heimat das heute ist, in Frieden leben. Nur so können wir unsere alte Heimat im Geiste bewahren.

Die Kreisgemeinschaft Fischhausen, die jetzt ihre 60-jährige Partnerschaft mit dem Kreis Pinneberg feiert, hat Sie zu einer Lesung eingeladen. Welche Bedeutung kann eine solche Vereinigung so lange nach Kriegsende noch haben?

Surminski:

Die Verbindung war jahrzehntelang abgerissen, weil Fischhausen im sowjetischen Teil Ostpreußens lag, der nicht zugänglich war. Es lag nahe, nach Ende des Kalten Kriegs neue Verbindungen zu knüpfen, was Pinneberg mit der Partnerschaft zum früheren Cranz getan hat. Ich finde es sehr gut, dass es nach der schlimmen Geschichte diese Verbindungen gibt.

Kennen Sie das Samland persönlich?

Surminski:

Ja, schließlich spielt mein Buch "Winter '45 oder die Frauen von Palmnicken"" teilweise dort. Ich habe es besucht dabei festgestellt, dass die Menschen händeringend Anschluss an den Westen suchen. Insofern ist die Partnerschaft zwischen Pinneberg und Selenogradsk für die Menschen dort vielleicht wichtiger als für uns.

Haben Sie bei den Menschen, die dort leben, ein Interesse an der ostpreußischen Geschichte gespürt?

Surminski:

Das ist mir vor allem bei Jüngeren, zum Beispiel bei Königsberger Studenten aufgefallen. Die wollen schon wissen, was da früher gewesen ist. Kant wird ja ohnehin im heutigen Kaliningrad sehr verehrt, aber ich habe darüber hinaus den Eindruck, dass sich die dortige Bevölkerung in zunehmendem Maße für die Geschichte interessiert, die sich vor 1945 in diesem bemerkenswerten Land ereignet hat.