Kinderarmut im “Speckgürtel“: Mehr als zehn Prozent der Minderjährigen im Kreis brauchen staatliche Unterstützung.

Kreis Pinneberg. "Wir kennen Kinder, die haben in Mülleimern nach Essen gesucht." Denise Low redet Klartext. Seit 19 Jahren erlebt die Chefin des Elmshorner Vereins "Frischlinge" e. V. die Armut vieler Kinder im Stadtteil Hainholz hautnah. 6882 Kinder und Jugendliche im Kreis Pinneberg lebten nach Angaben der Verwaltung im Januar 2010 in so genannten Bedarfsgemeinschaften. Mehr als jeder Zehnte der 65 169 bis zu 18-Jährigen ist also von Armut direkt betroffen, mitten im relativ reichen Hamburger "Speckgürtel". Da lohnt ein Blick an die Basis, auf soziale Brennpunkte im Kreis.

Der feste Kern von 32 Elmshorner Kindern und Jugendlichen, der Tag für Tag nach der Schule die "Burg" des Vereins am Rethfelder Ring ansteuert, hat einfach Hunger.

Lows Beobachtung: Das Elend verschärft sich. "Vor allem seit der Einführung von Hartz IV haben wir massiven Zulauf von Kindern aus der Umgebung", so Low. Die Ehrenamtlichen der "Frischlinge" helfen unter anderem, indem sie nach dem Prinzip der Lebensmittel-Tafeln überzählige Nahrungsmittel bei Bäckern und im Einzelhandel sammeln und nach einem ausgeklügelten System an die Kinder verteilen. Davon profitieren ganze Familien. Aus Spenden bezahlen die Helfer Hefte und Stifte. "Wir bringen die Kinder so gerade über die Runden. Ohne uns hätten viele nicht mal ihr Schulmaterial dabei, wären von Anfang an abgehängt."

Gabriela Ma'mun, Vizechefin des benachbarten evangelischen Kindergartens, bestätigt die Einschätzung Lows. "Manche Kinder bringen eine Tüte Chips mit, und das ist dann die einzige Mahlzeit für den ganzen Tag." Fehlernährung sei ein Riesenthema. Ma'mun und ihr Team betreuen die Kleinsten, 110 Kinder zwischen einem und elf Jahren. Neun von zehn ihrer Schützlinge sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, 70 bis 90 Prozent von ihnen bringen einen Migrationshintergrund mit. Das Kita-Team steuert mit täglich frisch zubereiteten Mahlzeiten, heilpädagogischer und Sprachförderung gegen: "Es ist anstrengend, aber es ist ein schönes Miteinander."

Deutlich verbessert hat sich die Situation am Wedeler Elbhochufer. "Wir müssen keine Kinder mehr durchfüttern", sagt Andrea Rump, Leiterin der Awo-Kita "Hanna Lucas". Dank der Unterstützung durch den Verein "Wedel für Kinder in Not" (WeKi) und die im April eingeführten Bildungsgutscheine habe sich die Lage entspannt, drei Mahlzeiten am Tag plus Obst für jedes Kind die Regel. Montags kämen die Kleinen nach wie vor deutlich hungriger als sonst in die Kita, die Ernährungsqualität in vielen Familien sei nach wie vor schlecht.

Gegen soziale Defizite ihrer kleinen Schützlinge wirkten das verbesserte heilpädagogische Angebot und die verstärkte sozialpädagogische Maßnahmen, mit denen ganze Familien unterstützt werden. "Das Netz hat sich gestrafft", so Rump. Die Pinneberger Kollegin Helga Grüne-Ostmeier, hauptamtlicher Vorstand des Vereins Kita Waldstraße e. V., sieht soziale, oft auch psychische Probleme in den Familien als zentrale Schwierigkeit. "Geld ist nicht das eigentliche Problem vieler Familien", sagt die Kitachefin. "Aber viele Eltern bekommen aus ihrer persönlichen Entwicklung heraus keine Struktur, keine gesunde Ernährung hin." Das Waldstraße-Team hält mit Beratung dagegen, fordert Eigenverantwortung der Eltern ein. "In 80 Prozent der Fälle funktioniert das."

Paradoxerweise wirke die staatliche und soziale Unterstützung bei manchen ihrer Familien absolut kontraproduktiv: "Sie haben einen Serviceanspruch weitab von jeder Realität entwickelt und sehen gar nicht ein, warum sie überhaupt einen Anteil beitragen sollen." Je mehr Hilfen sie angeboten bekämen, desto geringer werde ihre Bereitschaft, selbst zu handeln und Verantwortung zu übernehmen.

Anders als in den kostenpflichtigen Kitas bleibt Kinderhunger an den Grundschulen länger verborgen. "Wir merken es oft erst, wenn eine Klassenreise ansteht oder wenn das Geld für Hefte immer am 15. eines Monats bezahlt wird, wenn die staatliche Unterstützung geflossen ist", so Margarethe Stalmann, Leiterin der Pinneberger Rübekampschule. Sibylle Leuner von der Wedeler Albert-Schweitzer-Schule lobt das finanzielle Engagement Wedels als Schulträger, das den gebundenen Ganztagsbetrieb erst ermöglicht habe. "Wir haben als Schule lange nicht gemerkt, unter welchen schwierigen Bedingungen manche Kinder in Wedel leben. Seit der Einführung des Ganztagsbetriebs bekommen wir einfach mehr mit."