Unser Dorf: Das Abenblatt zu Besuch in einer tierlieben Gemeinde, in der auch meist friedlich gefeiert wird

Osterhorn. "Leben und Tod liegen hier dicht beieinander", sagt Landwirt Stefan Thies über seinen Milchvieh-Betrieb in dem 410-Seelen-Dorf Osterhorn. An einem Tag wie diesem ist das schwer zu glauben, denn im Garten der Familie Thies tobt das Leben. Sohn Mirco feiert seinen neunten Geburtstag und alle Kinder aus der Nachbarschaft sind zu einer großen Wasserschlacht eingeladen. Doch die beiden Söhne haben auf dem Hof mit 260 Rindern früh lernen müssen, wie hart die Natur sein kann. Kühe können plötzlich erkranken und der Tod seines ersten Dackels aus der Rauhaardackel-Zucht von Senior Dieter Thies war für Mirco schwer zu verkraften. Auch der Verkauf der süßen Dackel-Welpen fällt den Kindern nicht leicht.

Ursprünglich hatte Dieter Thies die Dackelzucht vor 30 Jahren für die Jagd begonnen, nun werden sie deutschlandweit verkauft. Im Winter dürfen die Hunde aber noch mit zur Fuchsjagd.

Dieter Thies ist einer der wenigen Jäger in der Gemeinde. Er sorgt seit 50 Jahren dafür, dass es in den Wäldern noch Niederwild und Hasen gibt. Dafür muss die Anzahl der räuberischen Füchse dezimiert werden. "Füchse sind so schlau, die vermehren sich trotzdem", sagt der passionierte Jäger.

Die schönen Momente überwiegen bei den vier landwirtschaftlich genutzten Höfen in Osterhorn. Sie alle haben sich auf Milchvieh spezialisiert. Fast täglich werden hier Kälbchen geboren. So wie bei Günther Thies, der zusammen mit dem Betrieb von Nachbar Jörg Kröger die Schönberg GbR gegründet hat. Bei einem Besuch im Stall sieht Thies, dass eine seiner Kühe gerade kalbt. Für den erfahrenen Landwirt kein Grund zur Besorgnis: "Die meisten Kühe schaffen die Geburt ohne Hilfe", sagt er. Gelassen beobachtet er, wie die kleinen Hufe des Kälbchens zum Vorschein kommen. "Das sieht alles ganz gut aus", sagt er mit Kennerblick. Seine Frau kommt mit einem Strick dazu, den sie um die Beine des Kälbchens bindet und mit jeder Wehe kräftig zieht. So unterstützt sie die Kuh bei der Geburt.

Minuten später liegt das schwarz-weiß gefleckte Neugeborene im Stroh und reckt sein Köpfchen in Richtung der erschöpften Mutter. Selbst Günther Thies lässt dieser Anblick nicht kalt, obwohl dies zu seinem Alltag gehört. Die Kälber werden von ihm und seiner Familie selbst aufgezogen. Ob dies in Zukunft noch möglich ist, weiß er allerdings nicht. Denn durch die Gründung einer GbR mit dem Nachbar-Betrieb, wollen sich die Landwirte erheblich vergrößern. "Wir haben nur mal abklopfen wollen, was für eine Vergrößerung für uns möglich wäre", sagt Thies. Möglich wäre theoretisch eine Erweiterung von den momentan 600 Milchkühen auf 2300 Kühe. Die Baugenehmigung für einen weiteren Stall wurde der Schönberg GbR bereits erteilt. Eine Entwicklung, die den Frieden in Osterhorn empfindlich stören würde.

"Hier soll der größte Milchviehbetrieb in ganz Schleswig-Holstein entstehen", sagt Anwohner Thomas Kurz. Dies würde die Region seiner Meinung nach nicht verkraften. Eine Gruppe Osterhorner Anwohner hat sich zusammen getan, um das Vorhaben der Schönberg GbR im Keim zu ersticken. Ein Massenviehbetrieb sei eine Katastrophe für die Umwelt, findet Thomas Kurz Frau Gabriele Klinzingel. Sie und ihre Mitstreiter machen sich außerdem Sorgen, dass die Ruhe in Osterhorn von ständigen Güllefahrten gestört werden würde. Auch über eine weitere sogenannte Gülle-Lagune freut sich im Ort niemand. "Unser Anwesen ist doch nichts mehr wert, wenn nebenan ein zweites Güllebecken entsteht", sagt die Medizinerin.

Bedenken, die Landwirt Günther Thies, der auch stellvertretender Bürgermeister in Osterhorn ist, verstehen kann. Doch er versucht die Bürger nach Kräften zu beruhigen: "Wir wollen nicht gegen das Dorf, sondern mit ihm arbeiten", sagt Thies. Dass sein Hof tatsächlich zu einem Massenbetrieb ausgebaut wird, bezweifelt er. Schließlich fehlen ihm die nötigen Flächen, auf denen er die Gülle abladen kann. Der Betrieb solle schlichtweg konkurrenzfähig bleiben. "Sollte es bei nur einem weiteren Stall bleiben, könnten mein Mann und ich damit leben", zeigt sich Gabriele Klinzingel kompromissbereit. Sie befürchten allerdings, dass der Betrieb schrittweise vergrößert wird.

Für den vierten landwirtschaftlichen Betrieb im Ort bedeutet die Expansion der Schönberg GbR große Konkurrenz. Familie Bornholdt führt einen deutlich kleineren Milchviehbetrieb mit 200 Kühen. Doch Sorgen wollen sich Dierk Bornholdt und sein Sohn Florian nicht machen: "Wir werden weiter bestehen bleiben", ist sich Florian Bornholdt sicher. Für ihn steht außer Frage, dass er den Hof seines Vaters weiter führen wird. Die Arbeit mit den Tieren und in der Natur mache ihm viel Spaß, außerdem sei es schön, selbstständig zu sein. Mit dem kleinen Ort Osterhorn fühlt er sich eng verbunden: "Was soll ich denn in einer Großstadt? Meine Freunde wohnen auch noch alle hier", sagt der Jungbauer. Die Arbeit auf dem Hof halten ihn und seine Familie auf Trab, doch es bleibt auch Zeit für Urlaub oder Feste, die meist von der Landjugend in Brande-Hörnerkirchen organisiert werden.

Überhaupt wird in Osterhorn viel gefeiert. Wird der Dorffrieden nicht gerade von Zwistigkeiten gestört, ist der Zusammenhalt sehr eng. Ob zum traditionellen Dorfputz im Frühjahr, zum jährlichen Sommerfest oder bei der Buddelparty ist ganz Osterhorn auf den Beinen. "Wir haben hier viel Kontakt zu unseren Nachbarn", sagt Bürgermeister Friedrich Pommerening. Auch Neubürger würden gezielt in die Gemeinschaft eingebunden.

Beim jährlichen Laternenumzug fallen außerdem die vielen türkischen Kinder auf. Die türkischen Familien kamen in den 60er-Jahren als Gastarbeiter nach Osterhorn, um beim größten Arbeitgeber im Ort, der Friedrich Sturm GmbH & Co KG, eine Stelle zu finden. Der Betrieb gehört heute zu den führenden deutschen Großhändlern für Tierhäute und Felle mit Hauptsitz in Osterhorn. Frisch vom Schlachter werden die abgezogenen Häute von Rindern und Felle von Schafen aus dem Norden Deutschlands zu den verschiedenen Standorten des Betriebs transportiert. Dort werden sie sortiert und konserviert.

"Unser Beruf ist in der Öffentlichkeit recht unbekannt", sagt Inhaber Frank Sturm. Sein Betrieb ist das Bindeglied zwischen Schlachthof und Gerberei. Täglich fahren Containertransporte die Schlachthöfe an, um die Häute so frisch wie möglich zu erhalten. "Wir arbeiten ständig gegen die Zeit", sagt Sturm. Denn werden die Häute nicht rechtzeitig konserviert, beginnen Bakterien mit ihrem zerstörerischen Werk. In Osterhorn angekommen, wird der Rohstoff nach Gattung, Rasse, Gewicht und möglicher Beschädigung sortiert. Anschließend werden die Häute ebenso wie die Schaffelle mit Salz haltbar gemacht. Auf diese Weise und bei entsprechender Kühlung sind sie bis zu ein Jahr lang haltbar. "Von hier aus werden die Häute und Felle hauptsächlich nach Fernost verschifft", sagt Sturm. In den Gerbereien wird aus den Rohstoffen schließlich das Leder hergestellt.

Auch Aga Krohn hat sich in Osterhorn eine Existenz aufgebaut. Die gelernte Zahntechnikerin aus Hamburg zog vor elf Jahren zusammen mit ihrer heute 17 Jahre alten Tochter zu ihrem Mann nach Osterhorn. Sie wagte sowohl privat als auch beruflich einen Neuanfang - und machte sich als Fotografin selbstständig. Inzwischen hat sie drei weitere Töchter und sich als Fotografin vor allem für Erotik-Shootings einen Namen gemacht. "Ich habe den Schritt nie bereut und würde auch nicht mehr nach Hamburg zurück wollen", sagt die 42-Jährige. Denn Osterhorn sei alles andere als ein verschlafenes Dorf. "Es gibt hier ständig eine Feier, ob privat oder von der Gemeinde", sagt die Fotografin. Außerdem würden ihre Mädchen am liebsten draußen spielen, ob in dem Garten mit dem großen Fischteich oder bei den Ponys vom Nachbarn. "Mit dem Fernseher kann ich keines meiner Kinder locken", sagt Aga Krohn.

Auch die Anbindung des Dorfes sei unproblematisch. Mit dem Bus können die Kinder die Grundschule im benachbarten Brande-Hörnerkirchen erreichen. Weiterführende Schulen gibt es in Elmshorn und Barmstedt, mit dem Zug von Westerhorn aus zu erreichen. Für die Städterin Aga Krohn ist auch die Nähe zu Hamburg wichtig. "Ich fahre mit den Kindern öfters in die Stadt, damit sie keine Landeier werden", sagt Aga Krohn. Auch ihr Beruf führt die vierfache Mutter hin und wieder nach Hamburg. Doch auch in der Region haben sich ihre Fähigkeiten herumgesprochen. "Es ist ein Vorteil, dass hier jeder jeden kennt", findet Aga Krohn. "So konnte ich durch Empfehlungen schnell neue Kunden gewinnen."

Über die Herzlichkeit, mit der sie als Zugezogene damals empfangen wurde, ist sie noch immer begeistert, genau wie über den "besten Bürgermeister, den sich ein Dorf wünschen kann". Friedrich Pommerening leitet bereits seit 17 Jahren die Geschicke in Osterhorn und erfreut sich im Ort größter Beliebtheit. Seit Kurzem ist er Rentner und kann sich nun intensiver um die Belange des Dorfes kümmern. Von den Zwistigkeiten kann er sich am besten in seinem idyllischen Garten erholen, der an weitläufige Felder grenzt. "Von unserer Terrasse aus können wir in den Abendstunden Rehe und Hasen beobachten", sagt Pommerening schwärmerisch. Außerdem summt und brummt es in seinem Garten, da er sich in seiner Freizeit der Imkerei verschrieben hat. Bei seinen Bienenvölkern, die fleißig Honig für den Bürgermeister produzieren, erlebt er den Kreislauf des Lebens hautnah. In diesem Sommer haben sich allerdings räuberische Wespen eingeschlichen, die den Frieden in seinem Bienenvolk stören. Doch mit Hilfe des Bürgermeisters kann vielleicht auch diese Idylle wiederhergestellt werden.