Frühere Munitionsfabrik in Quickborn-Heide muss weg. Bagger holt nach, was Explosion 1917 nicht schaffte

Quickborn. Quickborn-Heide verliert sein industrielles Denkmal. Das, was die Explosion 1917 nicht schaffte, holen jetzt Abrissbagger nach. Die frühere Munitionsfabrik Glückauf an der Theodor-Storm-Straße wird dem Erdboden gleichgemacht. Der Kreis Pinneberg hat im Juli den Abriss verfügt. Bis März hat der Eigentümer, der Hamburger Wolfgang Puck, Zeit, alle Gebäude und Hallen auf dem etwa 2,8 Hektar großen Gelände abzureißen, das er vor rund 30 Jahren erworben hat.

Das hat die Quickborner Politik kalt erwischt, da die Verwaltung sie darüber nicht informierte. Nun wird heftig diskutiert, was mit dem freigelegten Gelände geschehen wird. Die CDU fürchtet, dass dort ein Industriepark entstehen könnte und hat die Verwaltung beauftragt, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen. Das ist ihr noch nicht gelungen. CDU-Ratsherr Jörn Kruse: "Gewerbe darf da nicht hin."

Jahrzehntelang hatte Puck das Areal ohne Genehmigung zu einem Paradies für Autoschrauber verkommen lassen. Im Jahre 2007 durchsuchte die Polizei 41 Hallen und entdeckte ein Sammelsurium an unerlaubter Nutzung und Umweltverschmutzung. Es wurden tonnenweise Schrott, Asbestplatten, Krebs erregende Mineralwolle und mit Altöl verunreinigter Boden sichergestellt. Gutachten darüber liegen vor, sagt Kreissprecher Marc Trampe. Die zahlreichen Fremdnutzer hatten sogar Toiletten und Kläranlagen gebaut. Die Behörde leitete Strafverfahren gegen ein Dutzend Hobbybastler ein.

Drei Jahre zuvor waren die Verhandlungen mit dem Eigentümer endgültig gescheitert. Immer wieder habe man versucht, mit ihm eine gemischte Nutzung von Wohnungen und Gewerbe auf diesem Gelände zu erreichen, erläutert Friederike Walter vom Fachbereich für Stadtentwicklung. Aber Puck weigerte sich hartnäckig, einen städtebaulichen Vertrag abzuschließen.

Das Areal verkam zusehends. Jahrzehntelang sei praktisch nicht in die Gebäude investiert worden, die immer mehr verfielen und nun einzustürzen drohten, berichtet die Fachbereichsleiterin. Nun habe die Bauaufsichtsbehörde der Kreisverwaltung Tabula rasa gemacht.

Die alten Fabrikanlagen aufgrund ihrer Historie zu erhalten, sei nicht im Interesse der Stadt Quickborn gewesen. Auch das Denkmalamt habe sich in keiner Weise eingeschaltet.

Dabei ist es schon spektakulär und historisch einmalig für Quickborn, was sich dort an jenem Morgen des 10. Februar 1917 im Ersten Weltkrieg abgespielt hat. Insgesamt vier Pulver- und Granatfabriken standen seinerzeit nebeneinander in Quickborn-Heide. 1500 Frauen und Mädchen arbeiteten dort und stellten Munition für die Front her.

Plötzlich gab es gegen 7 Uhr früh eine verheerende Explosion bei den benachbarten Explosionsstoffwerken Thorn und Glückauf (heutiges Puck-Gelände).

Der laute Knall war in der Innenstadt zu hören, schrieben Zeitzeugen. Die Rauchwolke konnte man in Altona sehen. Die Fensterscheiben in den Häusern bis nach Friedrichsgabe zerbarsten. Mehrere Hundert Menschen starben und wurden verwundet.

Zwei Eisenbahnzüge brachten die vielen Verletzten in Hamburger Krankenhäuser. Ein Massengrab für 107 Leichen ist auf dem Nordfriedhof ausgehoben worden. Ein verwitterter Gedenkstein erinnert bis heute an das schreckliche Unglück, dessen Ursache von der Regierung nie veröffentlicht wurde. Von einem Luftangriff der Alliierten und einem Sabotageakt war die Rede.

Nach dem Krieg musste die Munition vernichtet und dem Bergbau zur Verfügung gestellt werden. Ständig wechselten die Besitzer. Zeitweise wurde dort Farbe hergestellt, erinnert sich Hermann Rinckens, dessen Vater 1928 das 3,5 Hektar große Gelände der alten Thorn-Fabrik gekauft hat, um es landwirtschaftlich zu nutzen. Er selbst betrieb dort eine große Schweinezucht, sagt der heute 87-Jährige, der auch einen Rechtsstreit gegen seinen neuen Nachbarn Puck führte und gewann, weil der sich nicht an Auflagen hielt.

Die Bebauung rückte im Laufe der Jahrzehnte immer näher heran. Das Verwaltungsgebäude der Munitionsfabrik Glückauf, direkt neben dem jetzigen Abrissgelände, beherbergt heute den Kindergarten "Zwergenvilla", in der die Awo 120 Kleinkinder betreut.

Was nun mit dem Gelände geschehen soll, war nicht zu erfahren. Der Eigentümer ist nicht zu erreichen. Er soll im Urlaub sein. Fachbereichsleiterin Walter aber beruhigt die Gemüter: "Es gibt für das Gelände keinen gültigen Bebauungsplan. Und ohne B-Plan kann es nicht wieder bebaut werden."