Pinneberger Jung, 10, und seine ein Jahr ältere Schwester wagen Langzeit-Schüleraustausch und leben getrennt für sechs Monate im Ausland

Pinneberg. Leopold, 10, und Luise Stücker, 11, sind zwei mutige Kinder. Sie werden im den nächsten zwölf Monaten etwas erleben, das nur wenige ihrer Altersgenossen ebenfalls erfahren: Sie wohnen für ein halbes Jahr in einer Familie im Ausland, und zwar getrennt. Die Organisation "En Famille International" macht das möglich und setzt dabei voll auf Kinder im Grundschulalter oder knapp darüber. Zwei große Ziele werden damit verfolgt: Kinder sollen früh lernen, weltoffen zu sein und eine fremde Sprache zu beherrschen.

Die junge Pinnebergerin kann es kaum noch abwarten, mit ihrer spanischen Gastschülerin Marta das Leben und das Zimmer zu teilen. Beide Mädchen tanzen gern, interessieren sich für modische Kleidung und Musik. Marta möchte gern in Deutschland lernen, Gitarre zu spielen. Im Februar wird die Gastschülerin in Pinneberg erwartet. Im August geht es nach Spanien.

Wunsch-Bruder Yohann hat schon ein Angelabenteuer vorbereitet

Bei Luises Bruder Leopold ist das genau anders herum geplant. Er wird am Freitag mit seiner Familie in die Bretagne reisen, nach Buhulien bei Lannion. "Ich freue mich auf Yohann", erzählt "Leo". Der junge Franzose hat schon einen Segel-Kursus und ein Angelabenteuer mit seinem deutschen Wunsch-Bruder vorbereitet.

Völlig in die Familie eintauchen, ist der Wunsch der Organisatoren. Das funktioniert oft, hält auch lange, wie Erfahrungsberichte auf der Internetseite der Organisation zeigen. Luise hat das Prinzip völlig verinnerlicht. "Ich will auch Mama und Papa zu meinen Gasteltern sagen" sagt Luise selbstbewusst. Sie freut sich natürlich auch darauf, in den Pool im Madrider Wohnhaus ihrer spanischen Wunsch-Eltern zu springen, Ferien am Meer zu verbringen und im Winter zum Skifahren zu reisen.

Den Kontakt zueinander haben die Kinder kurz nach der positiven Nachricht, die als verfrühtes Weihnachtsgeschenk in Pinneberg eintrudelte, per E-Mail aufgenommen. Mithilfe des Google-Translaters werden Briefe verschickt, "und zu 80 Prozent verstehe ich, was Marta will", erzählt Luise. Zwei Prinzipien sollen die Gastschüler in der neuen Familie berücksichtigen: Lächeln und Bereicherung sein. Das bekommen die Geschwister jetzt des Öfteren zu hören, wenn sie Zuhause mal nicht so handeln wie gewünscht: "Achtung, so bist du keine Bereicherung."

Um mitmachen zu dürfen, müssen sich die Familie weit öffnen, nicht nur für das jeweilige Gastkind. Die Bewerbung umfasst zig Seiten. Vor der Entscheidung besuchen erfahrene Eltern die Bewerber. "Da wird in jede Ecke geschaut und nach allen positiven und negativen Aspekten in der Familie geforscht", berichtet Ulrike Stücker. Doch sie versteht das auch, denn die Familien müssen einander voll vertrauen. Die Eltern geben die kompletten Sorgerechte für jeweils ein halbes Jahr ab.

Auch die Kinder werden intensiv interviewt. "Das war voll der Druck", erzählt Luise. Doch ihr Bruder und sie hielten allen Fragen stand. Auch das Begegnungswochenende für alle deutschen Bewerber genossen die beiden jungen Pinneberger. Und für den Notfall, wenn doch eher Mama und Papa die Initiatoren für die Auslandserfahrung sind, erhalten alle Kinder eine Notfallnummer: Wenn sie dort anrufen, kümmert sich die deutsche Mentorin darum, alles im Sinne der Kinder zu regeln. Dann findet sich einfach keine passende Familie, das kann immer passieren. Die Kinder sind aber auch darauf vorbereitet, dass die ersten Wochen kein Zuckerschlecken sein werden. Um das Heimweh möglichst nicht überhand nehmen zu lassen, wird der Kontakt eingeschränkt.

Die Kinder sollen nur einmal pro Woche mit Zuhause telefonieren. Auch ein Brief pro Woche ist nur erwünscht. Großeltern und andere Verwandte sollen gar keinen Kontakt aufnehmen. Und wenn sich das Kind nach etwa sechs Wochen gut in der fremden Sprache verständigen kann, ist die größte Hürde überstanden. Leopold und Luise sind davor nicht bange.