Trotz Rechtsanspruch bleibt Unterstützung aus. Jugendhilfeträger schlagen Alarm

Kreis Pinneberg. Verstößt der Kreis Pinneberg gegen das Kinder- und Jugendhilfegesetz? Das behaupten die großen Träger der Jugendhilfe, die sich im "Forum Jugendhilfe des Kreises Pinneberg" zusammengeschlossen haben. Ihr Vorwurf: Familien, denen ein Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe zusteht, wird die Unterstützung verweigert - und zwar aus finanziellen Gründen! "Der Kreis begeht Rechtsbruch", sagt Klaus-Ulrich Sembill, Geschäftsführer der Awo Region Unterelbe.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist die "Prioritätenliste zur Gegensteuerung in der Kosten- und Fallzahlenentwicklung in der Jugendhilfe im Kreis Pinneberg". Die Dienstanweisung mit dem sperrigen Titel entstammt dem Fachdienst Jugend und gilt seit dem 15. November. Sie regelt etwa, dass Hilfe zur Erziehung nur noch gewährt werden soll, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Die Laufzeit ambulanter Hilfen wird auf zwölf Monate begrenzt. Sollte im Einzelfall eine Fortsetzung notwendig sein, ist ein Träger- oder Sachbearbeiterwechsel zu prüfen. Außerdem ist nach Ablauf der zwölf Monate ein Neuantrag zu stellen, und es ist abzuwägen, ob der Fall nicht auf einer Warteliste landen oder die Hilfegewährung zunächst pausieren kann.

"Das wird rigide umgesetzt", berichtet Sembill. Und Wendepunkt-Geschäftsführerin Ingrid Kohlschmitt ergänzt: "Im Durchschnitt haben alle Träger der Jugendhilfe seit November 20 Prozent weniger Fälle zugewiesen bekommen." Wenn dieser Trend anhalte, seien die Träger gezwungen, Angebote auszudünnen und Personal zu entlassen. Kohlschmitt und ihre Kollegen wissen von Hunderten von Fällen, wo schwer hilfsbedürftige Familien auf Wartelisten "versauern". "Familien, die in Not sind, können nicht auf einer Warteliste landen, die dann von oben nach unten abgearbeitet wird", sagt Eckbert Jänisch, Geschäftsführer der Perspektive, die in Elmshorn ein Kinderschutzhaus betreibt. Auf diese Art und Weise seien Inobhutnahmen vorprogrammiert. "Was der Kreis da tut, ist ein Widerspruch gegen sein Präventionskonzept, das gerade ein frühzeitiges Eingreifen propagiert", ergänzt Sembill.

Zudem sei die Begrenzung der Hilfe auf zwölf Monate problematisch. Kohlschmitt: "Wir kriegen Familien mit massivem Hilfebedarf und sollen die so bearbeiten, dass sie ohne Hilfe zurechtkommen. Und wenn wir das nicht innerhalb eines Jahres schaffen, kommt ein neuer Träger und fängt von vorne an." Das "Forum Jugendhilfe" hat die Prioritätenliste des Kreises anwaltlich prüfen lassen. Die Hamburger Kanzlei Bernzen Sonntag Rechtsanwälte kommt zu dem Schluss, dass hier "deutlich rechtswidrig" gehandelt wird.

Das Problem: Die Jugendhilfeträger haben keine Handhabe, rechtlich gegen den Kreis vorzugehen. Jeder Einzelfall, in dem der Kreis hilfsbedürftigen Familien die ihnen zustehende Unterstützung nicht gewährt, müsste gerichtlich überprüft werden. "Aber die Familien, mit denen wir es zu tun haben, klagen sich nicht ein", sagt Martin Albermann von der Hamburger Großstadtmission.

Am Donnerstag (17.30 Uhr, Kreishaus) steht das Thema auf der Tagesordnung des Jugendhilfeausschusses. Kreissprecher Marc Trampe weist die Vorwürfe zurück. "Wir kommen weiter unserem gesetzlichen Auftrag nach." Allerdings habe das neue Präventionskonzept zu einer Steigerung der Fallzahlen und der Kosten geführt - und darauf habe man reagieren müssen.