Ausstellung in der Rathauspassage. Landrat vergleicht Züchtigungs-Heim in Glückstadt mit Awo-Haus am Haidkamp

Pinneberg. Bis zum 19. November ist die Ausstellung "Für.Sorge.Erziehung" in der Pinneberger Rathauspassage zu sehen. Am Beispiel des Lebens im Landesfürsorgeheim in Glückstadt soll aufgeklärt werden über die Erziehung zwischen 1945 und 1975. Die Einrichtung steht nach Ansicht der Ausstellungsmacher für ein System der Unterdrückung, Abschreckung durch Strafe und Zwangsarbeit, Gewalt und unzureichende öffentliche Aufsicht.

"Diese Ausstellung soll nicht unterhalten", sagte Landrat Oliver Stolz zum Auftakt der Aktion bei einem kleinen Empfang im Ratssaal. "Sie soll aufklären und aufarbeiten." Die Dokumentation der Glückstädter Verhältnisse stehe exemplarisch "auch für den schlimmen Alltag am Haidkamp und der Nachfolgeeineinrichtung an der Aschhoopstwiete", die unter dem Namen "Haus der toten Seelen" bekannt geworden seien. Die Ausstellung sei ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit, die dazu beitrage, die Schuld an den damaligen Zuständen aufzuarbeiten. "Das sind wir den ehemaligen Bewohnern schuldig."

Geschäftsführer der Awo fühlt sich von Oliver Stolz brüskiert

Als "Schlag unter die Gürtellinie" bewertete Klaus-Ulrich Sembill, Geschäftsführer der Awo Region Unterelbe, die Aussage des Landrats. Die Verhältnisse in den beiden Einrichtungen könne man gar nicht vergleichen. Die Pinneberger Arbeiterwohlfahrt habe nachweislich nicht mit dem Glückstädter Heim zusammengearbeitet. Das würden auch die Untersuchungen der Projektgruppe belegen, die unter wissenschaftlicher Leitung von Professor Christian Schrapper die Ausstellung und ein Buch über das Landesfürsorgeheim Glückstadt erarbeitet hatte.

Irene Johns vom Kinderschutzbund, der die Wanderausstellung fördert, vermied in ihrem Vortrag jeglichen Bezug auf die Pinneberger Verhältnisse. Ins Glückstädter Heim seien nur Kinder und Jugendliche gekommen, die als "schwer erziehbar" und "Streuner" galten und in anderen Einrichtungen nicht zu halten waren. Mit Strafen bis hin zur mehrwöchigen Isolierhaft habe die Leitung des Hauses versucht, die Bewohner unter Kontrolle zu bringen. "Wir dachten, wer hier reinkommt, hat wenigstens einen umgebracht", berichtete Johns über Eindrücke von Nachbarn. "Alle haben die Arbeit im Heim als Zwangarbeit verstanden." Durch Flucht bis hin zum Suizid hätten jungen Menschen versucht, aus Glückstadt zu entkommen.

Erst 1974 sei diese Einrichtung als Letzte ihrer Art in Deutschland geschlossen worden. Irene Johns appellierte an die Zuhörer, daran mitzuwirken, "dass so etwas wie in Glückstadt nie wieder passiert".

Für die Kreisverwaltung, die die Wanderausstellung nach Pinneberg holte, sprach Cornelia Lohmann-Niemann, Fachdienstleiterin Jugend. Sie stellte die erzieherischen Maßnahmen in Zusammenhang mit der Pädagogik der 50er- und 60er-Jahre. Damals seien Ohrfeigen, Essensentzug und Strafstehen üblich gewesen. Heute sei so etwas undenkbar. Auch die Gefahr des Vertuschens sei deutlich gesunken.

Die Fachfrau versprach, dass die Kreisverwaltung die Standards in der Betreuung und die Schutzmaßnahmen weiter entwickeln werde. 2011 wird der Fachdienst zu zwei Tagungen einladen. Ziel sei, vorbeugendes Handeln noch mehr zu professionalisieren. Cornelia Lohmann-Niemann: "Wir werden zu respektablen Ergebnissen kommen."