Ehemaliger Kreisjugendpfleger fordert nach Ameland-Skandal längere Lehrgänge und mehr Rechtskunde für Betreuer

Kreis Pinneberg. Mit einem flammenden Appell wendet sich der langjährige Kreisjugendpfleger Alfred Fichte nach den Missbrauchsfällen in einem Jugendlager auf der holländischen Insel Ameland an die Öffentlichkeit. "Die Jugendleiterausbildung muss novelliert werden."

Alfred Fichte, der heute noch Ehrenmitglied im Kreisjugendring ist, weiß, wovon er spricht. Mehr als zehn Jahre hat er die Jugendleiterausbildung des Kreissportverbands geleitet. Ihm zur Seite stand damals Kreissportverbandsvorsitzender Rolf Slomian. Er ist bis heute weit über die Region hinaus aktiv und lehrt Rechtskunde bei Übungsleitern in Sportvereinen.

Als das Duo in der Zeit von Mitte der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre die Jugendleiterschulung beim Kreissportverband voll in der Hand hatte, mussten alle Teilnehmer einen Lehrgang über 120 Stunden absolvieren. Ein Drittel davon widmeten sie der Rechtskunde. "Die Aufsichtspflicht ist ein zentraler Grundpfeiler bei der Betreuung von Jugendlichen", sagt Slomian.

Intensiver über Gewalt und sexuellen Missbrauch sprechen

Heute sind für die Jugendleiter-Card (Juleica) nur noch etwa die Hälfte der Übungsstunden notwendig. Von einer Prüfung, bei der Fichte und Slomian auch Teilnehmer durchfallen oder wiederholen ließen, ist heute keine Rede mehr. Vor allem bei den freien Trägern ist die Ausbildung nach Ansicht von Alfred Fichte "zu kurz und mit viel zu wenig Rechtskunde" vorgeschrieben. Er fordert darüber hinaus, dass das Kreisjugendamt wieder an den Lehrgängen zu beteiligen ist. Früher sei es bei allen Ausbildungsgängen Usus gewesen, den Kreisjugendpfleger ins Abschlussgespräch einzubinden.

"Was auf Ameland passiert ist, darf sich nie wiederholen. Die Betreuer haben dort falsch gemacht, was falsch gemacht werden konnte. In einem so großen Schlafsaal muss ein Betreuer mit schlafen, da muss beobachtet und kontrolliert werden. Aber leider leben wir in einer immer stärker werdenden dekadenten Gesellschaft ohne Werte und Verbote", sagt der langjährige Profi.

Deshalb will auch Rolf Slomian wieder zurück zur Prüfung als Abschluss der Ausbildung. "Wie wollen wir sonst nachwiesen, dass ein Jugendleiter wirklich qualifiziert ist, um das Vertrauen der Kinder, der Eltern und des Vereins genießen zu dürfen?" Fichte fordert: "Wer Kinder betreut, muss hellwach sein!"

Ganz so heftig beurteilt Karsten Tiedemann, Geschäftsführer des Kreissportverbandes, die Situation nicht. Selbstverständlich ist auch er geschockt über die Berichte der Jugendfreizeit auf Ameland, wo Jugendliche jüngere Kinder misshandelt haben. Er warnt davor, aus der Hysterie um einen Einzelfall politische Konsequenzen zu ziehen. Allerdings unterstützt auch Tiedemann die Forderung, der Rechtskunde bei der Ausbildung von Gruppen- und Übungsleitern künftig ein stärkeres Gewicht zu geben. Über Gewalt und Sexualität müsse intensiver als bislang gesprochen werden. Das sei aber alles in dem heutigen Rahmen der Ausbildung zu schaffen. Dafür müssten keine neuen Gesetze her.

Tiedemann weiß aber auch: "Die Grenzen haben sich bei den Jugendlichen verschoben. Früher gab es auch Auseinandersetzungen und Verletzungen. Aber wenn jemand am Boden lag, war es vorbei. Heute wird noch nachgetreten." Für den Gruppenleiter sei es heute wie damals auch wichtig: "Wie halte ich Kontakt zur Gruppe? Wie baue ich mir Vertrauen auf?" Vertrauen, das offensichtlich bei den Vorgängen auf Ameland nicht ausgereicht hatte, um die Betreuer über das Ausmaß der Misshandlungen zu informieren.

Im Kirchenkreis Hamburg-West-/Südholstein werden nach Angaben von Jugendpastor Ekkehard Maase jährlich 100 bis 120 Jugendleiter ausgebildet. Themen wie sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch, wie auf Ameland geschehen, stünden im Rahmen der Ausbildung "seit langem ganz oben auf der Agenda", so Maase. Mobbing beispielsweise habe es auch früher schon in allen Formen gegeben, etwa die Bloßstellung von Kindern untereinander, "und das wurde vielfach als witzig empfunden". "Wichtig ist es, dass man nicht darüber lacht, sondern darüber spricht." Maase sieht die heutigen Jugendleiter gut aufgestellt und keinen Bedarf an einer Änderung der Jugendleiterausbildung. Im Kirchenkreis Hamburg West/Südholstein finden jährlich etwa 30 bis 40 Jugendfahrten mit mehreren Hundert Teilnehmern statt.

Kreis will Träger der Jugendarbeit zu einem Gespräch einladen

Bei jedem Ausbildungslehrgang des Kreisjugendrings werde Missbrauch in jeglicher Form thematisiert, sagt Geschäftsführer Ingo Waschkau. Wachsam sein, aufklären und darüber sprechen sei das Wichtigste, "denn wir tragen die Verantwortung". Insofern sei es gut, dass verstärkt ältere Jugendleiter zwecks Auffrischung ihrer Kenntnisse bei den Lehrgängen mitmachen.

Es gebe genaue Verfahren, wie in Verdachtsfällen vorzugehen sei. Der Kreis Pinneberg sei gut vorbereitet bei der Jugendgruppenleiterausbildung. Immerhin seien in Schleswig-Holstein 50 Stunden für die Juleica verpflichtend, üblich seien ansonsten 40 Stunden. Derzeit laufen beim KJR 70 Veranstaltungen der Aktion Ferienpass plus fünf Fahrten mit insgesamt etwa 2000 Kindern.

Die Forderung des ehemaligen Kreisjugendpflegers Fichte, endlich wieder das Kreisjugendamt an der Jugendleiterausbildung zu beteiligen, wies Kreis-Pressesprecher Marc Trampe zurück. Das Kreisjugendamt sei sehr wohl eingebunden und stelle bei bestimmten Schwerpunkten im Ausbildungsprogramm Dozenten ab. Nach Ansicht des Kreises sei die jetzige Ausbildung professionell, die Qualitätsstandards gelten landesweit, "und Schleswig-Holstein macht noch mehr als andere Länder". Trotzdem werde der Kreis Pinneberg die Vorkommnisse auf Ameland zum Anlass nehmen, die Träger der Jugendarbeit nach den Sommerferien zu einem Gespräch einzuladen, um die Vorfälle aufzuarbeiten, kündigte Trampe an.