Wendepunkt startet Modellprojekt “Tipp-Kid“ , das sich um Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt kümmert

Elmshorn. Kinder, die Gewalt in der Familie erfahren, erhalten jetzt beim kreisweit tätigen Verein Wendepunkt wirksame Hilfe. Drei Jahre läuft das Modellprojekt "Tipp-Kid", das zum größten Teil von der Aktion Mensch gefördert wird. Gearbeitet wird auf unterschiedlichen Ebenen. Vorgesehen ist, medizinische und pädagogische Fachkräfte zu schulen und zu unterstützen, damit sie Traumafolgen bei Kindern besser erkennen. Ein weiterer, wesentlicher Bestandteil ist die direkte Hilfe für Betroffene.

Auch medizinisches Fachpersonal wird in dem Projekt geschult

"Tipp-Kid" steht als Abkürzung für die Begriffe Trauma, Intervention, Psychoedukation und Prävention bei Kindern. Das Modellprojekt richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt im familiären Umfeld sind, die miterleben müssen, wie Eltern sich schlagen, die selbst misshandelt oder missbraucht oder die schlichtweg von ihren Eltern vernachlässigt werden. "Alle diese Dinge sind potenziell traumatisierend", berichtet die Soziologin und Projektleiterin Yvette Karro. Die Folgen eines solchen Traumas können gravierend sein und sich unterschiedlich auswirken. "Manche sacken in der Schule ab, andere werden hyperaktiv oder aggressiv, wiederum andere ziehen sich in sich selbst zurück oder klammern sich an eine Bezugsperson."

Darüber reden würden die Betroffenen in der Regel nicht - aus Angst, aus Scham oder weil sie sich selbst schuldig an der Situation fühlen. Karro: "Häufig dauert es sehr, sehr lange, bis herausgefunden wird, was mit den Kindern und Jugendlichen wirklich los ist." Hier setzt das Modellprojekt an. "Wir bieten etwa medizinischem Fachpersonal die Möglichkeit, sich bei uns schulen zu lassen." Das Angebot richtet sich an Mitarbeiter von Arztpraxen, Rettungssanitäter, Hebammen, Klinikpersonal, aber auch an die Mediziner selbst. Also an alle Personen, die in der medizinischen Erstversorgung mit gewaltbetroffenen Kindern zu tun haben.

"Wenn Eltern mit ihren Kindern einen Arzt aufsuchen, heißt es häufig, die seien gestürzt oder gefallen. Selbst Kinderärzte sagen, dass sie in solchen Fällen Unterstützung brauchen können." Andernfalls geht das Leid der Betroffenen weiter. An diesem Punkt greift der Wendepunkt ein. So lernt das medizinische Fachpersonal in der Schulung, genauer hinzusehen und -zuhören. Zudem wird im Rahmen des Modellprojektes ein sogenanntes Screening-Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe per Fragebogen Traumafolgeschäden bei Kindern besser entdeckt werden können. Karro: "Je schneller der Hintergrund erkannt wird, desto schnellere und wirksame Hilfe kann erfolgen."

Für medizinisches Fachpersonal, aber auch für Lehrer oder Erzieherinnen in Kindergärten bietet der Verein im Rahmen des Projektes auch eine konkrete Fallberatung an. Wenn Unsicherheiten bestehen, ob ein Kind Opfer von häuslicher Gewalt ist und welche Schritte dann nötig sind, kann dies von dem vier Personen umfassenden Projektteam überprüft werden.

Im Falle, dass konkrete Verletzungsfolgen vorliegen, können diese zeitnah von Rechtsmedizinern des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) dokumentiert werden. Dazu werden die zwei kreisweit bestehenden regionalen Untersuchungsstellen genutzt. Eine befindet sich direkt in den Räumen des Wendepunktes an der Gärtnerstraße in Elmshorn, die zweite im Klinikum Pinneberg. Die Untersuchungsergebnisse können in einem eventuellen späteren Gerichtsverfahren von erheblicher Bedeutung sein - eine Pflicht zur Strafanzeige besteht jedoch nicht.

Kinder lernen in der Gruppe, mit ihrem Trauma zu leben

Ein weiterer Baustein ist eine Kindergruppe, in der direkt mit Betroffenen gearbeitet wird. "Sie lernen, mit ihrem Trauma zu leben und erfahren, wie sie sich vor weiteren Übergriffen schützen können", erläutert die Projektleiterin. Begleitend dazu werden Elternseminare angeboten, in denen diese lernen, wie sie ihre Kinder auf diesem Weg unterstützen können. Auch soll auf Wunsch eine Arbeit mit den gewaltausübenden Familienmitgliedern erfolgen.

"Das Angebot des Modellprojektes ist neu, das Thema jedoch nicht", stellt Ingrid Kohlschmitt, die Leiterin des Wendepunktes, fest. Ihre Einrichtung befasst sich als Jugendhilfe-Träger seit zwei Jahrzehnten mit der Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen in Folge von sexueller und anderer Gewalt und bietet Prävention, Beratung, Krisenintervention, Rückfallprophylaxe sowie Familien- und Erziehungshilfen an. Interessierte erreichen das Modellprojekt "Tipp-Kid" unter der Telefonnummer 04121/475 73 44 oder können per E-Mail Kontakt mit der Projektleiterin aufnehmen.

karro@wendepunkt-ev.de