34 Jahre lang leitete der Lehrer für Deutsch und Erdkunde die Theater-AG am Wolfgang-Borchert-Gymnasium. Bunbury wird sein letztes Stück.

Halstenbek. Es begann mit Bunbury - und es endet mit Bunbury. An diesem Sonnabend schließt sich für Hans Jürgen Heller der Kreis. Dann bringen seine Schüler am Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek Oscar Wildes Stück auf die Bühne. Für Heller wird es die letzte Schultheater-Aufführung sein, die er mit den Jugendlichen auf die Beine stellt. 34 Jahre lang hat der Lehrer für Deutsch und Erdkunde die Theater-AG geleitet. Im nächsten Jahr geht der 64-Jährige in Ruhestand und übergibt sein "Baby" an seinen Kollegen Andreas Kroder.

Nerven und Zeit hat die Theater-AG gekostet. In den heißen Phasen wurde oft bis in die Nacht geprobt. Aber Hans Jürgen Heller erinnert sich gern zurück. Die Schule war noch im Aufbau, als er im Februar 1978 als Referendar mit seiner Frau aus Mainz in die Baumschulgemeinde zog. "Ich hatte vorher noch nie etwas von Halstenbek gehört", sagt der Pädagoge. In zwei Nächten musste er sich entscheiden, ob er die Lehrerstelle im Norden annehmen wollte. Der Blick in eine alte Landkarte sei eher entmutigend gewesen. "Ich dachte nur, wie furchtbar, das ist ja Niemandsland." Trotzdem machte sich der gebürtige Pfälzer aus Bingen am Rhein mit dem voll bepackten, 36 PS starken Käfer auf den Weg in sein neues Leben.

Dass er sich dort auf einiges gefasst machen musste, wurde ihm gleich nach seiner Ankunft klar. Während er auf den Schuldirektor wartete, fiel sein Blick auf ein Plakat: die Ankündigung für eine Maskerade des Rellinger Turnvereins - im März. Heller scheint es auch nach all den Jahren noch nicht ganz fassen zu können. Karneval nach Aschermittwoch? Die Kollegen klärten ihn am nächsten Tag auf. In seiner neuen Heimat hört der Fasching nicht automatisch mit Aschermittwoch auf. Trotz anfänglicher Irritationen lebte er sich schnell ein. Das Niemandsland wird sein Zuhause.

Am 15. November 1978, einem Mittwoch, trommelte Heller theaterinteressierte Schüler der neunten und zehnten Klasse zusammen. Wer hat Lust, die Maske zu übernehmen, wer die Requisiten? Welches Stück wollten sie aufführen? Bunbury wurde zum Erfolg. Seitdem traf sich die Theater-AG immer mittwochs. "Die Schüler hatten Blut geleckt", sagt Hans Jürgen Heller. Dr. med. Hiob Prätorius von Curt Goetz stellte sie allerdings vor größere Herausforderungen. "Es klappte hinten und vorne nicht", sagt er. In dem Stück sucht der Prätorius die "Mikrobe der menschlichen Dummheit". Sie sei übrigens noch nicht gefunden worden, streut Heller ein. Zum Glück, sonst sei er wohl arbeitslos. "Wir schmissen das Stück und entschieden uns für das Heimkehrerstück von Wolfgang Borchert ,Draußen vor der Tür'", sagt Heller. "Ein sehr provokantes Stück." Die Gymnasiasten führten es mehrere Male auf und stießen auch bei politischen Parteien auf Interesse, besonders bei den Sozialdemokraten. Ein Transparent im Schulkorridor mit der Parole "Sag nein zum Wehrdienst" während einer Borchert-Ausstellung sorgte bei der Jungen Union für Unmut. "Wir hatten mit unserem Bühnenstück bleibenden Eindruck hinterlassen", sagt Heller. Als das "Gymnasium im Entstehen", wie die Schule bis dahin hieß, 1982 einen neuen Namen bekommen sollte, fiel die Wahl auf den in Hamburg geborenen Schriftsteller Wolfgang Borchert als Namensgeber.

Jedes Jahr führten Heller und seine Theater-AG eine neue Inszenierung auf: Andorra von Max Frisch, Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller, Brechts Dreigroschenoper, Shakespeares Meisterwerke von Romeo und Julia bis hin zum Sommernachtstraum. Größte Erfolge feierten sie mit Michael Frayns Komödie "Der nackte Wahnsinn". "In die Aula passen gut 350 Leute. Wir hatten schon 400 Karten verkauft und mussten immer noch Menschen nach Hause schicken", sagt der Lehrer. "Wir haben viel Geld eingenommen, obwohl der Eintritt nur drei Mark betrug." 4000 D-Mark spendeten sie der Kinderkrebshilfe in St. Petersburg. Damals sei ein Schüler an Leukämie erkrankt. Seine Mitschüler hatten eine Hilfsaktion für ihn gestartet. "Er ist leider nach einer Knochenmarksspende gestorben", sagt Heller. Die Geldspende sollte anderen jungen Menschen das gleiche Schicksal ersparen.

400 bis 500 Schüler hat Heller im Laufe der Jahre in der Theater-AG betreut. Zu vielen seiner Ehemaligen hält er noch heute Kontakt. Oft unterrichtet Heller auch deren Kinder. Viele ihrer Karrieren hat der Vater zweier erwachsener Söhne verfolgt. Stolz erzählt er von der ehemaligen Schülerin, die schon im Großstadtrevier und Bella Roth zu sehen war oder von der Opernsängerin, die in "Das Phantom der Oper" die Hauptrolle spielte. Ein Stamm von Ehemaligen besucht bis heute regelmäßig die Schulaufführungen und die Weihnachtsfeiern.

Und steht Heller selbst mal auf der Bühne oder hält er die Fäden lieber im Hintergrund zusammen? Da hält er es wie Hitchcock. Hin und wieder würde er sich mal in ein Stück einschleichen, als Putzfrau mit Vollbart. Oder als Großvater im Rollstuhl, der am Rand der Bühne abgestellt wird. "Die Zuschauer wundern sich dann und fragen sich, was das soll", sagt Heller und lacht verschmitzt. "Das soll nichts. Das ist nur ein Gag." Die Schülerin, die damals seine Pflegerin spielte, moderiert heute beim NDR Fernsehen.

Nicht allen Nachwuchsschauspielern fällt es leicht, wie Hans Jürgen Heller im Hintergrund zu bleiben. "Wenn es um die Besetzung der Rollen geht, fließen oft die Tränen", sagt er. Spätestens beim Applaus des Publikums am Ende der Aufführung sind solche Uneinigkeiten vergessen.