Hörbuch-Biografie: Die Rellingerin Kristin Schematus nimmt die Erinnerungen von Menschen auf und bannt sie auf CD.

Rellingen/Osdorf. Mit welchem Satz würde man selbst sein Leben einleiten? Lassen sich 70 Jahre auf ein Motto reduzieren? Ulrich Krause ist skeptisch. Der 71 Jahre alte Hamburger sitzt in seinem Wohnzimmer in Osdorf bei einer Tasse Tee und lässt sein Leben Revue passieren. Er erzählt Kristin Schematus aus seiner Vergangenheit und Gegenwart. Die ehemalige Hörfunk-Redakteurin aus Rellingen nimmt seine Geschichten mit einem Aufnahmegerät auf, um sie zu einem Lebenshörbuch zusammenzufassen. Für Krauses Sohn Kristian, der nicht bei ihm aufgewachsen ist - aber auch für sich selbst, um das eigene Leben durchzugehen.

Als er im Stau stand, erblickte er auf dem Wagen vor ihm eine Aufschrift: www.mit-eigenen-worten.com . "Es machte mich neugierig", sagt Ulrich Krause. Zu Hause rief er Kristin Schematus Homepage auf und sie an, um einen Termin zu vereinbaren.

Beim Erzählen erwachen Krauses Erinnerungen zum Leben. Wie er in einem Bunker in Berlin vor dem Fliegerangriff Schutz suchte, der Einmarsch der Russen in Neuruppin, wie er als Kind im Nachkriegsdeutschland die große Freiheit genoss. "Die Erwachsenen hatten andere Sorgen, als den ganzen Tag nach uns zu schauen", sagt er.

Ulrich Krause erinnert sich, wie die Familie kurz vor dem Mauerbau nach Westberlin zog und er 1968 in Oldenburg sein Abi machte. Es folgten Studium der Rechtswissenschaft, Staatsexamen, Anstellung bei einer großen Versicherung, zwischendurch Hochzeit, Geburt des Sohnes, Scheidung nach zehn Jahren Ehe. "Mein Leben verlief vielleicht nicht so geradlinig, wie meine Eltern es sich erhofft haben", räumt Ulrich Krause ein. Mittlerweile ist er seit 27 Jahren mit seiner zweiten Frau Dorothea verheiratet. Sie führen ein schönes Leben, haben gemeinsam den Flugschein gemacht, tauschten später das Flugzeug gegen die Yacht.

"Wann waren Sie am glücklichsten?" Auch solche Fragen stellt Kristin Schematus. Zufrieden sei er mit seinem Leben. Traurigkeit habe er nie lange zugelassen. Aber das pure Glück habe nur wenige Minuten angedauert. Was waren das für Momente? Das möchte Ulrich Krause nicht sagen, das sei zu privat. Kristin Schematus akzeptiert das. Der Kunde bestimmt, was wichtig ist. "Ein Hörbuch kann immer nur Ausschnitte eines Lebens wiedergeben", sagt Kristin Schematus. "Ich höre zu und unterstütze durch Fragen." Wie sieht die erste Kindheitserinnerung aus? Wie der erste Schultag? Nach dem Wahrheitsgehalt fragt sie nicht. Jede Erinnerung ist individuell gefärbt.

Auch wenn das Diktiergerät abgeschaltet wird, ist der Redefluss nicht aufzuhalten. Das Wühlen in der Vergangenheit bringt oft längst Vergessenes an die Oberfläche. Es wird gelacht, manchmal auch geweint.

Die Dauer der Aufnahmen ist unterschiedlich. Meistens trifft sich Kristin Schematus zwei bis drei Mal mit den Kunden. "Wichtig ist eine entspannte Atmosphäre, damit sie sich wohlfühlen, und der Kopf frei ist für Geschichten", sagt sie. Die Nachbearbeitung findet am Studiocomputer statt. Das Interview wird geschnitten und in Kapiteln strukturiert. Am Ende werden 140 Minuten auf zwei Scheiben gepresst. Der Preis für eine Lebensgeschichte zum Hören geht je nach Länge und Aufwand bei 500 Euro los. Lieblingslieder oder andere Tonaufnahmen, die im Leben eine Rolle gespielt haben, werden in die Kapitel eingebunden, Episoden mit Musik untermalt. Sie sind auch eine Art Verschnaufpause, in der der Zuhörer die Erzählung der sehr vertrauten Person erst einmal auf sich wirken lassen kann. Das CD-Cover wird individuell mit Fotos gestaltet. Auch bei dem Titel hat der Kunde ein Mitspracherecht.

Ulrich Krause hat sich noch nicht festgelegt. Vielleicht die Geschichte von einem, der das Chaos beherrschte? "Für das ganze Leben einen brauchbaren Satz zu finden, ist schwierig", sagt Ulrich Krause.

Für Kristin Schematus hat sich bei den Gesprächen etwas anderes herauskristallisiert. "Ulrich Krause ist ein Mensch, der offen für Neues ist und gern alles ausprobiert", sagt sie. Doch noch ist sie mit ihrer Arbeit nicht fertig. Denn im Unterschied zu einem zwei Minuten langen Beitrag im Radio kann sich Kristin Schematus nun die Zeit nehmen, die Geschichte bis zum Ende zu hören und zu konservieren. "Eine Geschichte, die nicht erzählt wird, ist irgendwann eine vergessene Geschichte."