Sofia Gubaidulina, Kulturpreisträgerin des Kreises Pinneberg, erscheint zur Aufführung ihrer Komposition “In Croce“ am 31. März.

Uetersen/Appen. Wer das Passionskonzert mit dem größten Promi-Faktor sucht, muss in diesem Jahr in die Uetersener Klosterkirche pilgern. Am Sonnabend, 31. März, wird dort - vermutlich unauffällig und bescheiden wie sie meistens in der Öffentlichkeit auftritt - einer der bedeutendsten lebenden Stars der klassischen Musikszene in den Bankreihen sitzen. Sofia Asgatowna Gubaidulina gilt als weltweit wichtigste lebende Komponistin. Los Angeles, Amsterdam und Moskau ehrten die gebürtige Tatarin anlässlich ihres 80. Geburtstag im vergangenen Oktober mit mehrtägigen Festivals. In ihrem direkten Umfeld im Kreis Pinneberg dagegen, wo die Wahl-Appenerin seit 20 Jahren lebt, rührte sich bislang nichts.

Das war dem Tornescher Ingenieur und passionierten Chorsänger Heiko Hiller angesichts der internationalen Bedeutung des stillen Weltstars entschieden zu wenig. Als Schüler des Kontrabassisten Alexander Suslin, der ebenso wie Gubaidulina zu den Kulturpreisträgerin des Kreises Pinneberg zählt, spürte er die Enttäuschung in der Musikszene über die ausbleibende Würdigung der großen Kollegin in ihrer Wahlheimat von offizieller Seite. Also machte er sich selbst an die Arbeit. Er holte sich das Einverständnis von Klosterkirchen-Kantor Eberhard Kneifel, kümmerte sich um Musiker und Termin, entwarf ein Plakat. "Ich finde es einfach schade, wenn hier so gar nichts passiert", sagte Hiller dem Abendblatt auf Nachfrage.

Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Der Titel des Passionswerks "In Croce", das Gubaidulina 1979 veröffentlicht hat, gibt dem gesamten Konzert am 31. März in der Klosterkirche, Kirchenstraße 10, seinen Namen. Von 19 Uhr an spielen Kontrabassist Alexander Suslin, Knopfakkordeon-Virtuose Waldemar Gudi und Organistin Sabine Mennerich neben der modernen Musik der Appenerin Klassiker des Barock. So arrangierten die Musiker ein Concerto für Cello, Streicher und Cembalo von Antonio Vivaldi für Kontrabass und Orgel. Georg Friedrich Händels g-Moll-Konzert für Oboe und Orchester erklingt in einer Fassung für das Knopfakkordeon (Bajan) und Kontrabass. Und Johann Sebastian Bachs Passionschoral "O Mensch, bewein dein Sünde groß" ist ein Fall für Organistin Sabine Mennerich.

Das Konzert dürfte ein Leckerbissen für Freunde experimenteller Klänge werden. Denn der Ruhm der Gubaidulina gründet sich auf ihre Lust am Erforschen und Entdecken neuer Klangwelten. Schon als Kind habe sie heimlich den Klavierdeckel geöffnet, um auf den Saiten zu improvisieren, erinnert sie sich in einem Interview. Den Instrumenten ungewohnte Geräusche zu entlocken, gehört zu den Spezialitäten Grande Dame der Komposition, die 1932 als Enkelin eines muslimischen Mullahs in Tschistopol geboren wurde. In ihrer 2002 im Hamburger Michel aufgeführten "Johannespassion" entsteht durch mikrofonverstärkte Pinselstriche auf Klaviersaiten ein faszinierend Effekt, der fast synthetisch wirkt.

In ihrer 2008 vollendeten Komposition "Pentimento" schaben und glitschen Gitarristen auf den Saiten, während der Kontrabassist sein Instrument in höchste Klanghöhen schraubt.

Sofia Gubaidulina sammelte Auszeichnungen in der ganzen Welt, sie ist unter anderem Mitglied des französischen Ordens Pour le Mérite, Ehrenprofessorin an den Konservatorien von Peking und Kasan, Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters. Vor zehn Jahren bekam sie den renommierten Polar Music Prize, der als Nobelpreis der Musik gilt.

Ihren künstlerischen Durchbruch schaffte 1981 Gubaidulina mit dem Violinkonzert "Offertorium", das Geiger Gidon Kremer uraufführte. Bis dahin hatte sie in ihrer sowjetischen Heimat mit gewaltigen Widerständen zu kämpfen.

Ihre Musik galt als düster und formalistisch. Zuspruch erhielt die damals 28 Jahre junge Komponistin vom berühmten Kollegen Dmitrij Schostakowitsch, der sie darin bestärkte, ihren "falschen" Weg weiter zu verfolgen.

Inspiration schöpft sie nach eigener Aussage vor allem aus der Natur. Auf langen Spaziergängen lauscht sie in die Stille, um zu hören, "was in der Welt und im Universum klingt", wie sie in einem Abendblatt-Interview einmal verriet. Auch deshalb liebt die viel beschäftigte Komponistin die dörfliche Abgeschiedenheit ihrer Wahlheimat Appen. Selten erhört sie Interviewanfragen von Journalisten. Sie brauche einfach jede freie Minute zum Schreiben, sagt sie. Überhaupt ist sie niemand, der das Rampenlicht liebt. Bei ihren Auftritten wirkt sie gleichzeitig selbstbewusst und bescheiden.

Insofern ist es schon eine besondere Auszeichnung für Konzert-Organisator Hiller und die Klosterkirche, dass Sofia Gubaidulina persönlich vorbeischaut.

Karten für das Konzert "In Croce" gibt es ausschließlich an der Abendkasse. Sie kosten jeweils 15 Euro, ermäßigt zehn Euro.