In Wedel betreut die Awo auffällige Schüler direkt in einer Grundschule. Das Erziehungshilfe-Modell für den Kreis Pinneberg ist neu.

Wedel. Die Schützlinge von Stefanie Mezger und Carsten Huismann haben es in ihrem jungen Leben nicht immer leicht gehabt. Manche der Kinder im Grundschulalter lernen erst bei den beiden Sozialarbeitern der Arbeiterwohlfahrt (Awo), zur Begrüßung "Hallo" zu sagen und ihr Gegenüber dabei anzusehen. Für manche sind bestimmte Umgangsformen bei Tisch eine ebenso ungewohnte Erfahrung wie die, einfach gemocht zu werden. Andere stellen erst in der geschützten Umgebung der von Mezger und Huismann geleiteten Kleingruppe fest, dass es freundlichere Formen der Kontaktaufnahme gibt als Schubsen und Anrempeln. Dass sie viel mehr erreichen, wenn sie einfach fragen: "Wollen wir etwas spielen?" Und dass sie nicht nur wahrgenommen und ausgeschimpft werden, wenn sie etwas angestellt haben, sondern für gutes Verhalten auch bewusst und konsequent gelobt werden.

In ihren Familien haben sie das nicht lernen können. Meistens hatten ihre Eltern andere Sorgen als Erziehung oder waren damit schlicht überfordert. Regelmäßige Mahlzeiten, eine liebevolle Umgebung, verlässliche Strukturen haben diese Kleinen oft nicht kennengelernt.

Viel schlechter könnten die Bedingungen für einen gelungenen Start ins Leben kaum sein. Im Kindergarten fallen die Kleinen als Rabauken auf. Dramatisch wird die Sache für sie selbst und ihre Umgebung spätestens, sobald sie eingeschult werden. Schnell werden sie zu sozialen Außenseitern und kommen in der Schule auch leistungsmäßig nicht gut mit. Das Abgleiten ins soziale Abseits ist programmiert. Die wenigstens brechen aus diesem Teufelskreis ohne Hilfe aus.

Um diesen Kindern einen besseren Start ins Leben zu ermöglichen, bietet die Awo im Kreis Pinneberg fünf Tagesgruppen an, in denen maximal zwölf Kinder im Grundschulalter nachmittags von Erziehern und Sozialpädagogen betreut werden. Das Angebot ist eine teilstationäre Form der gesetzlich vorgesehenen Hilfen zur Erziehung, finanziert vom Kreis Pinneberg. Es ist die letzte Alternative vor einer Unterbringung im Heim. Die Eltern der betreuten Kinder beteiligen sich mit monatlich 30 Euro an den Kosten. Seit Januar gibt es neben den Angeboten in Elmshorn, Pinneberg, Barmstedt und Uetersen auch in Wedel eine solche Gruppe.

Kreisweit einmalig an diesem jüngsten Angebot ist, dass diese direkt an eine Ganztagsgrundschule, nämlich die Wedeler Albert-Schweitzer-Schule, angebunden ist. Dadurch entfällt der bislang erforderliche logistisch und finanziell aufwendige Transport der betroffenen Kinder nach Pinneberg oder Uetersen. Das neue Konzept ist für den Kreis Pinneberg nach Angaben von Manuela Rieck-Perschonke um rund 100 000 Euro billiger als die herkömmliche Variante. Und trotzdem nach einhelliger Ansicht der Sozialarbeiter und Lehrkräfte pädagogisch sinnvoller, weil die Kinder nicht Tag für Tag in eine Art Laborsituation versetzt werden, sondern ihre neuen Erfahrungen in der gewohnten Umgebung direkt umsetzen können. Das Geld war es auch, das das neue Konzept ins Rollen gebracht hatte. Die Kommunalpolitiker hatten die Zuschüsse gedeckelt, sodass das Jugendamt günstigere Konzepte entwickeln musste.

Anders als an allen anderen Orten bleiben die acht Kinder und ihre Betreuer in Wedel auch nachmittags in der Schule, statt gemeinsam andere Gruppenräume aufzusuchen. Sie nehmen allerdings nicht am Nachmittagsunterricht teil, sondern verbringen die Zeit von 12 bis 17 Uhr mit ihren Betreuern. Im Schnitt bleiben die Kinder zwei Jahre in der Gruppe. Die Betreuer helfen ihnen bei den Hausaufgaben, spielen und basteln mit ihren Schützlingen, unternehmen Ausflüge. Und sie integrieren sich im besten Fall peu à peu in die allgemeinen Nachmittagskurse der Albert-Schweitzer-Schule.

"Wir als Lehrerkollegium begrüßen diese Maßnahme sehr", sagt Schulleiterin Sibylle Leuner. "Es ist eine große Entlastung für die gesamte Klasse. Wenn das Selbstbewusstsein der Schüler gestärkt wird, bringen sie das in den Unterricht mit." Außerdem könnten die Lehrer auch mal ein Problem abgeben. Sie begrüße die neue enge Anbindung an die Schule auch, weil die geförderten Kinder auf diese Weise nach und nach die normalen Nachmittagsangebote der Schule wahrnehmen könnten, beispielsweise Musik machen. Auch das Betreuungskonzept ändert sich. Anders als an den anderen Orten sind die Kinder freitagnachmittags nicht mehr in der Betreuung. Dafür suchen die beiden Betreuer mit ihren Schützlingen dann reihum die jeweiligen Herkunftsfamilien auf. "Wedel war lange unterversorgt, was diese Gruppen anging", sagt Manuela Rieck-Perschonke, Leiterin des Regionalteams beim Jugendamt des Kreises. "Wir wollten hier schon vor Jahren ein adäquates Angebot machen. Der Bedarf ist groß, wir führen eine Warteliste."

"Wir sind hier an der Schule mit offenen Armen empfangen worden", sagt Jochen Kuik. Der Sozialpädagoge leitet die Tagesgruppen der AWO im Kreisgebiet. Sein Ziel: "Wir bauen hier ein Nest." Im geschützten Rahmen der kleinen Gruppen sollen die Kinder erfahren, wie sich ein Alltag strukturieren lässt, wie sie dadurch Stabilität gewinnen. Sie lernen Regeln, die sie für ein gelungenes soziales Miteinander brauchen. "Die meisten Kinder kommen gern in die Gruppen", sagt AWO-Mitarbeiterin Mezger. Sie fänden dort Freunde, ihr Selbstbewusstsein wachse. "Sie bekommen eine Basis, um sich entwickeln zu können."