Am 26. Februar geht Hans-Bernhard Gericke nach 41 Jahren an der Christuskirche in den Ruhestand. Er wäre auch gern Architekt geworden.

Wedel. Vor mehr als vier Jahrzehnten öffnete die Christuskirche im Wedeler Ortsteil Schulau ihre Pforten. Einer, der den Betrieb vom ersten Tag an kennt, weil er noch länger dort arbeitet, geht jetzt in den Ruhestand. Als Kantor Hans-Bernhard Gericke, 65, im April 1971 seine Stelle antrat, war das Kirchenschiff noch im Bau. Erst zwei Monate darauf, im Juni 1971, wurde die Christuskirche geweiht. Nur diese zwei Monate hatte der damals 24 Jahre junge Kantor Zeit, mit dem Chor ein festliches Werk zur Eröffnung einzustudieren. "Wir haben dann den 100. Psalm in der Vertonung von Heinrich Schütz gesungen", sagt Gericke.

Der Choral "Jauchzet dem Herrn alle Welt" markierte den Auftakt zu Dutzenden von Konzerten, mit denen Gericke und "seine" Chöre dem Kirchenschiff in mehr als vier Jahrzehnten ein lebendiges, anspruchsvolles Musikleben einhauchten. Verglichen mit dem Start fällt Gerickes Abschied deutlich opulenter aus. Am Sonntag, 11. März, steht Gericke ein letztes Mal an dem Ort, den er 41 Jahre lang geprägt hat. In der Christuskirche führt der erklärte Bach-Fan mit der Kantorei die "Matthäuspassion" auf, einen der Klassiker geistlicher Vokalmusik. Offiziell verabschiedet wird Gericke bereits am Sonntag, 26. Februar, mit einem feierlichen Gottesdienst. Sein Nachfolger steht fest: Ab 1. Mai verantwortet Freimut Stümke das Musikleben in und um die Christuskirche.

Musikalisch kommt nach Großmeister Bach für den in Berlin aufgewachsenen Pfarrerssohn Gericke erst mal eine ganze Weile nichts. "Bachs Musik ist derart emotional besetzt, das berührt einfach. Man kann gar nicht immer sagen, warum", sagt er. "Sie hat eine ganz eigene Art zu wirken, da steckt wesentlich mehr drin, als man beim ersten Hören mitbekommt."

Selbstverständlich hat er mit der großen Kantorei und den Spezialisten des Vokalensembles nicht nur die barocken Großtaten von Bach aufgeführt. In den Regalen seiner inoffiziellen Bibliothek, nur durch einen blau gestreiften Vorhang vom Musikzimmer im Gemeindehaus der Christuskirche getrennt, stapeln sich die Partituren. Mal abgesehen von seiner Begeisterung für Bach favorisiert der Kantor die Protagonisten einer etwas jüngeren Epoche. Mozart, Haydn, Beethoven. "Ich bin ein Klassiker", sagt Gericke. Unter den Komponisten der Romantik liegen ihm vor allem Reger, Schumann, Bruckner, Rheinberger und selbstverständlich Mendelssohn-Bartholdy. Dessen dramatische Oratorien "Elias" und "Paulus" schätze er fast so hoch wie Bachs Vokalwerke - und hat sie auch beinahe ebenso oft in Wedel aufgeführt.

Ein Taktstock in der rechten Hand gehört für Gericke übrigens zum unverzichtbaren Handwerkszeug. "Man hat eine präzise Spitze, mit der man dem Orchester eine klare Richtschnur geben kann." Für den musikalischen Ausdruck sei die linke Hand zuständig.

Seit 1979 steht ihm für die liturgische Begleitung von Gottesdiensten, Trauerfeiern und Trauungen eine moderne Orgel zur Verfügung. Bis dahin musste er mit dem kleineren Vorgängerinstrument zurechtkommen, das heute in der Kapelle des Waldfriedhofs steht. Gericke spielt viele Instrumente. Neben Orgel und Klavier beherrscht er unter anderem auch Posaune und Trompete. Das gehört in seinem Job beinahe zum Handwerk, schließlich leitet er neben den beiden Chören auch das Blechbläserensemble und die Blockflötengruppe der Gemeinde. Nur mit Streichinstrumenten tut er sich schwer. "Ich hab's mal mit Geige probiert", sagt er und zuckt die Achseln. "Aber wir wurden einfach keinen Freunde." Und weil sein Herz für die Blasinstrumente schlägt, lernt er jetzt im Alter Oboe. "Das wollte ich schon als Kind gern lernen, aber meine Eltern haben es nicht erlaubt." Der Pastorensohn sollte lieber Orgel und Klavier beherrschen.

Der Anfang in Wedel war für den frisch diplomierten Kirchenmusiker, der direkt von der Berliner Musikhochschule an die Elbe gewechselt war, nicht einfach. Statt den "Neuen" mit dem Taktstock mit offenen Armen aufzunehmen, zeigten die damaligen Chorsänger eine deutliche Loyalität zu ihrem vorherigen Chef. Es dauerte Jahre, bis Gericke in Wedel heimisch wurde. Dass er mit seiner ersten Frau und der gemeinsamen Tochter zunächst direkt auf dem Kirchengelände, in der ursprünglich dem Küster zugedachten Wohnung lebte, machte die Eingewöhnung nicht leichter. "Es ist manchmal besser, etwas Distanz zwischen Arbeit und Privatleben zu haben." 1981 siedelte er sich mit seiner zweiten Frau in Borstel-Hohenraden an. Inzwischen ist er auch Großvater geworden.

Insgesamt blickt er gern auf sein Wedeler Berufsleben zurück. "Ich habe mich hier entfalten können, wir haben vielfältige Musik gemacht."

Das Plus an Freizeit will Gericke jetzt nutzen, um zu lesen, sich der Oboe zu widmen und am Haus zu werkeln. Denn Technik und Gestaltung gehören zu den Leidenschaften des Musikers. "Ich bastle einfach gern. Wenn ich nicht Kirchenmusik studiert hätte, wäre ich auch gern Architekt oder Bauingenieur geworden." Auch Musik soll weiterhin ein fester Bestandteil seines Lebens bleiben. "Ich bleibe der Musik garantiert treu, es ist aber noch unklar, in welcher Form." Sicher ist: Aus der Arbeit seines Nachfolgers will er sich konsequent heraushalten.