Mitarbeiter der Wohnungslosenhilfe schlagen Alarm: Die Zahl der Räumungsklagen im Kreis Pinneberg hat sich verdoppelt.

Kreis Pinneberg. Die Zahlen sind erschreckend: Allein im Jahr 2001 waren rund 300 Wohnungslose im Kreis Pinneberg in sogenannten Obdächern untergebracht. 15 bis 20 Hilfsbedürftige leben dauerhaft auf der Straße. Weitaus höher ist die Zahl derer, die von Räumungsklagen betroffen sind. Um all jene kümmern sich Peter Diekmann und Susanne Epskamp von der Wohnungslosenhilfe.

Hamburger Abendblatt: Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Peter Diekmann : Meine Kollegin Anne Knappheide und ich sind zuständig für das gesamte Kreisgebiet. Wir haben Sprechstunden in Elmshorn, dort sind wir zu Gast beim Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf. Zweimal haben wir in Pinneberg Sprechzeiten in unserer Beratungsstelle, zusätzlich ausschließlich eine für Frauen. Wir suchen die Menschen auf, entweder in ihren Wohnungen, die geräumt werden sollen oder in ihrem Lebensraum, wenn sie Platte machen, im Auto oder Parkhaus schlafen. Ein Herr hat in einem Verschlag im Reiterhof gelebt. Er lebt heute in einer Wohnung in Tornesch. Wir haben auch Friedhöfe angeschrieben. Wenn jemand dort Menschen beobachtet, die sich auf der Toilette waschen oder übernachten, sollen sie uns informieren. Mit den Förstereien müssen wir noch enger zusammenarbeiten. Einige Wohnungslose erzählen, sie hätten jahrelang im Wald geschlafen.

Wird für die Wohnungslosen im Kreis genügend getan?

Susanne Epskamp : Neben den anderthalb Stellen vom Kreis gibt es in Elmshorn, Quickborn, Wedel, Schenefeld und Pinneberg Präventionsstellen, die von den Kommunen bezahlt werden. Sie betreuen die Leute in den kommunalen Unterkünften mit. Ich arbeite im Auftrag der Stadt Pinneberg.

Diekmann : Für meine Kollegin Anne Knappheide und mich ist das schon eine große Entlastung. Unser Einzugsgebiet ist dennoch groß. Sozialamt oder Jobcenter teilen uns mit, wer räumungsbeklagt ist. Wir schreiben die Räumungsbeklagten an, da wir nicht die Kapazitäten haben, überall hinzufahren. Daher ist es ganz schön, dass Quickborn die Amtgemeinden mit einbinden will. In Elmshorn läuft das schon.

Epskamp : Das scheitert bisher daran, dass umliegende Kommunen nicht bezahlen wollen. Kleine Ämter regeln die einfachen Räumungsklagen oft selbst. Komplizierte Fälle landen aber bei uns. Es wäre schöner, wenn die Wohnungslosenhilfe einheitlich organisiert wäre.

Diekmann : Ein Schwerpunkt unserer Arbeit sind Uetersen und Tornesch. Dort gibt es viele Menschen mit gemischten Einkommen, die nicht genügend verdienen und beim Jobcenter aufstocken müssen. Die Frau, die jeden morgen von 6 bis 12 Uhr in Hamburg Hotelzimmer putzt, hier fertig ankommt und gleich ihre Kinder abholen muss, steht unter Druck. Der fällt es schwer, alle Nachweise so zu erbringen, dass das Jobcenter das Geld bewilligt.

Ihre Klienten geraten so mit den Mietzahlungen in Verzug?

Epskamp : 70 Prozent aller Räumungsklagen beruhen darauf. Das Problem ist, das Geld kommt mehrmals im Monat. Am 1. kommen vom Jobcenter 380 Euro, 400 Euro vom Arbeitgeber kommen am 5., das Kindergeld am 20. Kein einziger Betrag reicht, die Miete zu bezahlen und gleichzeitig noch einzukaufen. Meistens sind noch andere Verschuldungssituationen da, die vorrangig bedient werden müssen, sonst steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Irgendwann reicht es nicht mehr für die Miete.

Hat die Zahl der Räumungsklagen zugenommen?

Epskamp : Es sind doppelt so viele wie vor drei Jahren. Es gibt wenig günstige Wohnungen. Der Kreis hat kürzlich errechnet, dass der Wohnungsbestand angeblich noch ausreicht. Er reicht aber nicht für Gruppen, die Probleme im Zugang zum normalen Wohnraum haben wie Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder gestückelten Einkommen. Sie sind als Mieter nicht gern gesehen. Ein Schufa-Eintrag reicht, um keine Wohnung zu kriegen.

Diekmann : Es gibt aber noch ein anderes Problem. Wohnungslose ohne Meldeadresse mit Schulden werden bei der Schufa per Haftbefehl gesucht, wenn sie eine Eidesstattliche Versicherung wegen Schulden abgeben sollen. Viele Vermieter lesen nur, der ist kriminell.

Epskamp : Seit zwei Jahren müssen wir auch wieder Familien in Notunterkünften unterbringen. Da kommt es gar nicht auf die Anzahl der Kinder an. Es ist sehr schwer für Familien, angemessenen Wohnraum zu finden, besonders in Pinneberg. In solchen Fällen sagen die lokalen Politiker gern, es gibt noch Wohnungen in Barmstedt. Eine Familie, die hier ansässig ist, kann man aber nicht einfach ins Umland abschieben.

Wo außer in Pinneberg ist es noch schwierig, Wohnungen zu finden?

Epskamp : Wedel, Halstenbek und Rellingen. Alle Orte, die von Hamburg aus gut mit der S-Bahn zu erreichen sind.

Wie finanzieren Sie sich?

Epskamp : Herr Diekmann und seine Kollegin werden vom Kreis finanziert. Sie haben noch Landesmittel in ihrem Etat und einen Teil vom Diakonischen Werk Hamburg-West/Südholstein. Wir, die für Pinneberg zuständig sind, werden von der Stadt bezahlt. Auch da fließt ein Eigenanteil der Diakonie ein. Wir haben auch eine Kasse aus Spenden und Kollekten. Damit können wir Personalausweise, Praxisgebühren oder Medikamente bezahlen. Die Kasse reicht nie. Spenden sind herzlich willkommen.

Sind Sie mit dem Zustand zufrieden?

Epskamp : Es wäre sinnvoll, wenn eine zusätzliche Person in allen Unterkünften im Kreis Kontakt halten könnte. Und vor allem die Menschen, die mit mehr Problemen behaftet sind, ansprechen könnte. Wir können bisher nur bei großen Problemen Feuerwehr spielen.

Wie funktioniert die Vernetzung der sozialen Anlaufstellen?

Diekmann : Wir haben einen Arbeitskreis, der sich alle drei Monate trifft.

Epskamp : Das machen wir bisher unter uns auf freiwilliger Basis aus. Ziel muss es sein, die Arbeit kreisweit mit Standards zu organisieren.

Darf man von Obdachlosen sprechen?

Epskamp : Lieber von Wohnungslosen. Gerade hier sind nicht die Menschen, die über einen langen Zeitraum unversorgt sind, im Mittelpunkt. Der Großteil ist versorgt mit kommunalen Obdächern. Denen fehlt aber die Wohnung.