Leselampe überflüssig: Kunden der öffentlichen Bibliotheken in Wedel und Pinneberg können jetzt auch elektronische Bücher ausleihen.

Kreis Pinneberg. Beim Umblättern raschelt kein Papier. Eine Leselampe ist überflüssig, denn das Schriftstück kommt mit Beleuchtung inklusive daher. Und die Lektüre ist vergleichsweise federleicht: Selbst Wälzer der klassischen Weltliteratur wie Tolstois Epos "Krieg und Frieden" wiegen kaum mehr als eine herkömmliche Familientafel Schokolade. Vorausgesetzt, der Bücherfreund liest elektronisch.

Das Zauberwort heißt E-Book. Kurz gesagt, beschreibt es die Möglichkeit, so gut wie jeden auf Papier gedruckten Text digital zu übermitteln und auf einem elektronischen Monitor zu lesen. Gerade mal 280 Gramm wiegt das Lesegerät, der E-Book-Reader. Im flachem Din-A5-Format passt er in jede Handtasche. Und speichert problemlos den Inhalt Dutzender Bücher und Zeitschriften. Das macht E-Books vor allem für mobile Leser attraktiv.

+++ Käuferansturm: E-Books erobern die Regale +++

Digitales Schmökern liegt im Trend, die Nachfrage wächst rasant. Jetzt erreicht das E-Book auch die klassischen Stadtbüchereien. Vorreiter im Kreis Pinneberg ist Wedel. Das Team um Büchereichefin Andrea Koehn bietet seit dem vergangenen Herbst die digitale Ausleihe von Büchern, Hörbüchern, Zeitschriften und Filmen an.

Seit Jahresbeginn ist auch die Pinneberger Stadtbücherei im Boot. Knapp 8000 Medien stehen den Nutzern der zehn dem "Onleihe"-Verbund angeschlossenen Büchereien im nördlichsten Bundesland zur Verfügung. Sie alle greifen auf einen gemeinsamen Pool zu und "füttern" ihn auch mit Neuerwerbungen. Wer als Nutzer der Wedeler oder Pinneberger Bücherei registriert ist, kann ohne Zusatzgebühr sein Wunschmedium über den digitalen Kanal ausleihen. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Dazu braucht er nicht einmal die Bücherei aufzusuchen. Das Ganze funktioniert per Mausklick vom heimischen Computer aus.

Genau an dieser Stelle könnte die Sache für die Büchereien einen Haken haben. Denn wenn die Ausleihe unabhängig vom Bibliotheksbesuch funktioniert, stellt sich die Frage, ob sich die Häuser mit dem digitalen Angebot nicht selbst überflüssig machen.

Der Hamburger Zukunftsforscher Peter Wippermann prognostiziert genau diese Entwicklung. "Tendenziell werden die klassischen Stadtbüchereien verschwinden, weil sie im Verhältnis zu ihrem Nutzen zu teuer sind", sagt er dem Abendblatt. Aufgabe der Büchereien sei es ja nicht, Bücher zu horten, sondern Inhalte zu verbreiten und allen Bevölkerungsschichten einen kostengünstigen Zugang zu Literatur und Informationen zu sichern. "Papier ist nicht die zentrale Idee, sondern die Kultur, die transportiert wird", sagt Wippermann. "Dazu braucht man nicht unbedingt stehende Büchereien."

Allerdings werde sich in den nächsten Jahren noch nicht viel am bestehenden System ändern. Das Büchereisterben prognostiziert der Trendforscher für die Zeit, in der mehr als die Hälfte der Bevölkerung über E-Book-Reader verfügen wird.

Wedels Büchereichefin AndreaKoehn widerspricht Wippermann. "Die Onleihe kann die Stadtbücherei nicht ersetzen. Wir haben vielmehr neue Nutzer hinzugewonnen." Auch die Zahl der klassischen Entleihungen steige. Allein im Jahr 2011 entliehen sich die Nutzer rund 20 000 mehr Bücher, Spiele, Kassetten, Filme und Zeitschriften als 2010. Die Zahl der Besucher stieg um 10 000 auf 118 000.

Auch die Vermittlung von Medienkompetenz gehöre als Teil des Bildungsauftrags zum Kerngeschäft von Büchereien. Außerdem müsse man mit der Zeit gehen: "Nur mit herkömmlichen Medien können wir niemanden hinter dem Ofen hervorlocken." Die fachliche Beratungskompetenz der Bibliothekarinnen könne das Onleihe-System ohnehin nicht ersetzen.

Als Neu-Nutzer haben die Bibliotheksteams vor allem berufstätige Literaturfans im Visier. An ihnen geht das Angebot der meisten öffentlichen Büchereien vorbei, weil sie während der Öffnungszeiten arbeiten.

Die Erfahrungen der ersten Monate beweisen: Diese Rechnung geht auf. "Die große Nachfrage hat uns überrascht", sagt Bibliothekarin Maria Tädcke, die in Wedel für die Onleihe zuständig ist. Zu den Fans des neuen Angebots gehören nicht nur viele Berufstätige, sondern gerade auch ältere Leser. Auch Bettina Göttschen, kommissarische Leiterin der Pinneberger Stadtbücherei, registriert eine große Nachfrage nach dem neuen digitalen Angebot. "Wir wollen attraktiv für unsere Nutzer sein. Das ist eine neue Idee von Bücherei, der Boom setzt jetzt allmählich ein."

Die Elmshorner Kollegen hingegen bieten ihren Lesern noch keine Onleihe an, stehen aber in den Startlöchern: "Digitale Ausleihe ist der Trend, um neue Benutzerschichten unter den jungen, mobilen Lesern zu erschließen, die Nachfrage ist definitiv da", sagt Bibliothekar Hans-Jürgen Matthes.

In Quickborn scheinen die Uhren dagegen anders zu laufen: "Wir sind personell ohnehin am Limit und spüren bis jetzt auch keine Nachfrage nach der digitalen Ausleihe", sagt Kerstin Kranz, stellvertretende Leiterin der Stadtbücherei in der Eulenstadt.

Und die Nutzer? "Ich lese in der Stadtbücherei Zeitung oder hole mir Bücher. E-Books sind nicht so meine Sache", sagt Karin Meyer, 57, aus Wedel. Hedda Knuth, 75, und ihr Mann Peter, 76, ehemaliger Pastor der Wedeler Christuskirche, dagegen wissen den Trend durchaus zu schätzen. "Ich bin zwar kein Fan der Automatisierung", sagt Hedda Knuth, "aber ich würde das auf Reisen machen. Das spart einen halben Koffer voller Bücher."

Wer mal in die Onleihe hineinschnuppern oder Einzelheiten erfahren möchte, für den bieten die Bibliothekarinnen ab März wieder Einführungsveranstaltungen in der Wedeler Stadtbücherei, Rosengarten 6, an. Tag und Uhrzeit stehen noch nicht fest. Weitere Informationen gibt es unter der Telefonnummer 04103/93 59 12.

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