Falls es erneut zu einer Naturkatastrophe kommt, sind Tag und Nacht 106 Experten im neuen Lagezentrum des Kreises Pinneberg im Einsatz.

Tagelang hatte der Orkan getobt, bevor die große Flut kam. Als in der Nacht zum 17. Februar vor 50 Jahren große Teile der Elbmarschen, Wedels, Uetersens und Elmshorns überflutet wurden und in Hamburg die Deiche brachen, steckte die Technik der Katastrophenschützer noch in den Kinderschuhen. Telefone und Funkgeräte fielen aus, Verbindungen zwischen Rettern und ihren Kommandozentralen kamen nicht zustande - Handys gab es noch nicht. Viele Einsatzkräfte vor Ort mussten selbst entscheiden, was zu tun war. Dass damals keine Menschen im Gebiet des Kreises Pinneberg starben, muss schon als Erfolg gewertet werden.

Dennoch entstand großer Schaden und es gab aufgrund von Kommunikationsproblemen sogar Schuldzuweisungen auf höchster Ebene, wie ein Artikel aus dem Hamburger Abendblatt vom 5. März 1962 belegt. Dort heißt es, der Magistrat der von der Sturmflut schwer betroffenen Stadt Elmshorn "trat heute morgen mit einer umfangreichen Erklärung der von dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten von Hassel gegen die leitenden Stellen Elmshorns erhobenen Anschuldigung entgegen, der Magistrat habe in den Tagen der Sturmflut-Katastrophe versagt".

Die Elmshorner wiesen darauf hin, dass sie "ständig Meldungen über eine Polizei-Telefonleitung an den Landrat in Pinneberg" übermittelt hätten. In Elmshorn müsse man jetzt fragen, ob vielleicht der Landrat von Pinneberg "vergessen" habe, die Kieler Stellen zu unterrichten, oder ob die Meldungen in den zuständigen Kieler Ämtern untergegangen seien . . . Gegenseitige Beschuldigungen, die wohl zum einen dem damaligen Kommunalwahlkampf geschuldet waren, zum anderen den mangelhaften Kommunikationsmitteln.

+++ Sturmflut 1962: Tote lagen vor seinem Fenster +++

Mittlerweile ist der Kreis Pinneberg auf den Umgang mit Katastrophen aller Art bestens vorbereitet. Dazu gehören nicht nur Sturmflut und Hochwasser, sondern auch Bahnunfälle. Durch den Kreis Pinneberg führt eine der meist befahrenen Bahnlinien Deutschlands, erst 2007 entgleiste ein Güterzug mit gefährlichen Chemikalien bei Tornesch. Auch auf einen Flugzeugabsturz ist man vorbereitet, ebenso auf Lkw-Unfälle mit Gefahrgütern und Schiffshavarien. 2010 fand eine groß angelegte Katastrophenübung in Wedel statt, bei der Rettungsorganisationen aus dem Kreis und auf Landesebene die Zusammenarbeit übten.

Herzstück des Katastrophenschutzes im Kreis Pinneberg ist das sogenannte Lagezentrum, eine komplette Etage in der Einsatzleitstelle West neben dem Elmshorner Krankenhaus, in die der Kreis Pinneberg unter der Regie des vorigen Landrats Wolfgang Grimme erhebliche Mittel investierte. Im Katastrophenfall arbeiten dort 106 Menschen in drei Schichten rund um die Uhr: Mitarbeiter der Kreisverwaltung sowie Fachleute der Schutzorganisationen und Vertreter von Polizei und Landesbehörden. Oberster Katastrophenabwehrleiter ist der amtierende Landrat, derzeit also Oliver Stolz. Hier in Elmshorn traf sich die Runde der Verantwortlichen beispielsweise, als Helgolands Bürgermeister Frank Botter nach der Windhose, die am 12. Juli 2010 den Campingplatz auf der Düne verwüstete, Katastrophenalarm auslöste.

Was auffällt im "Leitstand", ist eine fest installierte Tafel an der Wand. Dieser Alarmplan stellt die Pegelstände der Elbe für den Fall einer Sturmflut dar - inklusive der erforderlichen Einsätze und Schutzmaßnahmen.

Erste Informationen laufen ein bei einem Pegelstand von 2 bis 2,50 Meter über mittlerem Tidenhochwasser, erläutert Kai Büche, Lagekartenführer im Katastrophenstab. Steigt der Stand auf 2,50 bis 3,50 Meter, dann setzt sich eine Gruppe mit Küstenschutzexperten des Landes zusammen und bespricht das weitere Vorgehen im "Sonderplan Deichverteidigung". Kritisch wird die Lage, wenn der Pegelstand 3,5 Meter über dem mittleren Tidehochwasser erreicht oder überschreitet. Dann wird von einer sehr schweren Sturmflut gesprochen.

+++ 1962 - Das Jahr in dem die große Flut kam +++

Mit dem Beamer wirft Büche die entsprechenden Deichabschnitte an die Wand, sodass jeder im Raum genau weiß, welche Rettungsorganisationen wo sind und was zu tun ist. "Wir haben zwei Wehrabschnitte in unserem Bereich", sagt Kreis-Pressesprecher Marc Trampe: "Die Haseldorfer Marsch und die Seestermüher Marsch." Für jeden Wehrabschnitt ist ein Oberdeichgraf zuständig, in Haseldorf Udo Prinz von Schoenaich-Carolath, in Seestermühe Thies Kleinwort.

Die Wehrabschnitte wiederum sind unterteilt in Wachabschnitte, für die wiederum Deichgrafen zuständig sind. Auf den Landesschutzdeichen an der Elbe sind sogenannte Deichläufer im Einsatz. Zwei von ihnen sind für eine Strecke von rund zwei Kilometern zuständig, die sie bei Gefahr einer schweren Sturmflut regelmäßig abgehen, beginnend jeweils am Ende des Abschnittes, sodass sie sich in der Mitte treffen.

Zu jedem Deichläufer wiederum gehört ein Feuerwehrmann, der als Funker die Verbindung zum Lagezentrum hält und ständig über den Zustand des Deiches berichtet. "Das wird regelmäßig geübt", sagt Marc Trampe. "Wichtig ist eine klare Hierarchie bei diesen Einsätzen, damit es keine Missverständnisse gibt."

Droht ein Deichbruch, können die Katastrophenschutzkräfte wie Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Bundeswehr zur gefährdeten Stelle gerufen werden. Zur Not kann eine mobile "Sandsackfüttermaschine", die beim THW in Elmshorn steht, dorthin beordert werden. Genauso wichtig wie der Landeschutzdeich sind die sogenannten Sommerdeiche im Hinterland der Marschen. Auch sie werden regelmäßig gepflegt und jedes Jahr begangen, um eventuelle Schäden festzustellen und zu reparieren. Für die Durchgänge der Sommerdeiche, die "Stöpenlöcher", sind die Feuerwehren zuständig. Sie können die Durchbrüche bei Gefahr mit Bohlen und Sandsäcken sichern.

Wie wichtig die Sommerdeiche sind, zeigte sich bei der schweren Sturmflut am 3. Januar 1976, als der Deich bei Holm brach und das Hinterland unter Wasser setzte. Damals war die Kommunikation im Katastrophenschutz schon wesentlich fortgeschrittener als 1962. Nun wird alles Menschenmögliche getan, um möglichst schnell und mit effizienter Technik Mensch, Tier und Material zu retten, wenn der "Blanke Hans" wieder zuschlagen sollte.

Lesen Sie morgen, wie es derzeit um die Sicherheit der Deiche an der Elbe bestellt ist