Vor 50 Jahren wurden weite Teile des Kreises Pinneberg überschwemmt. Mit einer Serie erinnert das Abendblatt an das Jahrhundertereignis.

Wedel. Mehr als 300 Menschen starben, Zehntausende standen plötzlich vor dem Nichts, als in der Nacht auf den 17. Februar 1962 die Deiche an der Elbe brachen. Am schlimmsten traf die Wucht der Fluten die Menschen in Hamburg-Wilhelmsburg. Auf der Elbinsel überraschte das Wasser viele Menschen im Schlaf. Die vom damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt eingeleitete Rettungsaktion ist längst legendär.

Doch die Schreckensnacht vor 50 Jahren hinterließ auch im Kreis Pinneberg ihre Spuren. Todesopfer gab es zum Glück nicht. Doch Teile von Wedel, Uetersen und Elmshorn standen komplett unter Wasser. Tagelang fielen Strom und Telefon aus, viele Menschen mussten auf Leitungswasser verzichten. Die Bewohner von Fährmannsand und der Domäne Windroosberg in Wedel etwa waren komplett abgeschnitten. "Familie Kleinwort mit drei Kindern in Gefahr. Befinden sich jetzt auf dem Heuboden. Wasser steigt weiter", meldete die Feuerwehr um 1.30 Uhr.

In dieser Nacht hielten die Menschen am Fluss den Atem an. Das Hamburger Abendblatt nimmt die Ereignisse vor einem halben Jahrhundert zum Anlass, an diesem Wochenende und in den kommenden Tagen einen Blick zurück zu werfen auf die große Flut. Wir lassen Zeitzeugen erzählen, was sie erlebt haben und fragen Experten, wie gut die Menschen hinter den Deichen eigentlich heutzutage geschützt sind.

Zum Auftakt stellen wir einen Mann vor, der zu den besten Kennern des Themas zählt: In Wedel gilt Hannes Grabau, Chef und Kapitän des Theaterschiffs Batavia, als "Mister Sturmflut". Seit 50 Jahren sammelt er alles, was es zu diesem Thema gibt, vor allem über die beiden großen Fluten 1962 und 1976: Fotos, Zeitungsartikel, Filme, Original-Polizeifunkaufnahmen aus der Flutnacht. Diese präsentiert er am Mittwoch, 25., und Donnerstag, 26. Januar, unter der Überschrift "Vor 50 Jahren. Die Nacht, als die Deiche brachen" jeweils von 19.30 Uhr an auf der Batavia am Brooksdamm. Im Anschluss zeigt er den Sturmflut-Film "Der Schimmelreiter" nach der Novelle von Theodor Storm in der Fassung von 1933 mit Marianne Hoppe. Der Eintritt ist frei.

"Das ist so ein einschneidendes Erlebnis, wenn man einer solchen Naturgewalt so hilflos gegenübersteht. Und man kann nichts, einfach gar nichts machen. Das prägt jeden Menschen", begründet Grabau seine Leidenschaft für das Thema Sturmflut.

Im Arbeiterwohnheim auf der Howaldtswerft in Hamburg-Waltershof erlebte er die Katastrophe hautnah. "Es war ein unglaublicher Sturm, man konnte nichts verstehen", erinnert er sich. Von dem Ausmaß des tödlichen Dramas, das sich gegenüber der Werft in einer Laubenkolonie am anderen Elbufer abspielte, bekam er zunächst nichts mit. Zwar stürmte es, auf einigen Straßen stand Wasser, und einige Schwimmdocks hatten sich aus ihrer Verankerung gelöst. Das sei bei schwerem Wind aber nicht weiter ungewöhnlich gewesen. Und eine besondere Sturmflutwarnung für Hamburg habe es nicht gegeben, erinnert sich Grabau.

"Cuxhaven wurde am Abend zuvor im Radio gewarnt, aber nicht Hamburg." Das Wohnheim für die Werftarbeiter, in dem der ehemalige Seemann Grabau damals Unterschlupf gefunden hatte, lag immerhin hoch genug, um nicht überflutet zu werden.

So war es nicht der Lärm, der den jungen Grabau am anderen Morgen beim Erwachen stutzig machte, sondern die Stille. "Das gibt es auf der Werft sonst nicht, da ist es immer laut." Beim Blick aus dem Fenster entdeckte er die Folgen der Sturmflut. "Auf der ganzen Werft lagen Trümmer verstreut, in den tiefer gelegenen Hallen stand das Wasser." Licht und Strom waren ausgefallen. "Es war ein einziges Chaos."

Die 76er-Sturmflut erlebte Grabau in Wedel mit. Seit 1972 liegt sein Theaterschiff am Brooksdamm vor Anker. "Das Wasser stand bis zur zweiten Astgabel der Baumreihe hier gegenüber", sagt er. Mit drei Helfern band er das alte Kanonenboot an den Bäumen fest. "Sonst wären wir auf der Mühlenstraße gestrandet."

Grabau steht der Erhöhung der Deiche und der Elbvertiefung skeptisch gegenüber. Es sei besser, die Deiche vom Ufer zurückzusetzen und dem Flutwasser mehr Raum zu geben, um den Druck von den Deichen zu nehmen, wie es viele Wissenschaftler forderten. "Aber die Kraftwerke und die Fabriken mussten ja direkt ans Wasser gebaut werden. Das ist totaler Irrsinn." Zumal die Wasserpegel weltweit im Zuge der Klimaerwärmung ohnehin gestiegen seien. Für ihn steht fest: Die nächste Flutkatastrophe kommt. "Und dann steht das Wasser bis zum Roland."

Lesen Sie am Montag, wie der Katastrophenschutz heute für eine schwere Sturmflut gerüstet ist