Die Kinder haben nicht nur Spaß, sie machen auch gute Fortschritte beim Lesen, Schreiben und Rechnen.

Pinneberg. Ließe sich totale Konzentration mittels Rauch sichtbar machen - die Köpfe der beiden Jungs würden qualmen. Nik und Lennard beugen sich über das Schachbrett. Nur wer am Zug ist, darf die Hand unterm Tisch hervorziehen, so haben sie es von Coach Detlef Lemke gelernt. Heute trainieren die beiden Zweitklässler ausschließlich mit ihren Bauern, um die Züge dieser Spielfigur zu verinnerlichen. "Schach", tönt es aus der ersten Reihe des Klassenraums. Saumya verkündet ihren Sieg über Spielpartner Max - zu früh. "Das Pferd ist falsch gesprungen", erklärt Detlef Lemke dem Mädchen. "Pass auf. Du ziehst es eins und zwei geradeaus. Und dann eins nach links oder rechts." Saumya nickt. Max seufzt erleichtert.

"Schach statt Mathe" lautet der Name eines Pilotprojektes, das nach den Sommerferien in der Grund- und Gemeinschaftsschule Pinneberg (GUGS) angelaufen ist. Jede Woche bringt Detlef Lemke (42) sieben Mädchen und zwölf Jungen der Klasse 2b, darunter auch die eigene Tochter Zozan, in der Mathestunde das Schachspielen bei. Mathelehrerin Heike Pries ist immer mit von der Partie.

Hauptberuflich kümmert sich Detlef Lemke um straffällig gewordene Jugendliche. Seine Leidenschaft seit 30 Jahren: Schach. "Schach ist ein strategisches Denkspiel", sagt der Familienvater. "Die Spieler müssen ihr Gehirn über Stunden hinweg intensiv einsetzen und sich konzentrieren." Gefordert seien Kombinationsvermögen, taktisches Verständnis, strategische Fähigkeiten. "Beim Schach geht es auch darum, sich an Gelerntes zu erinnern. Nach jeder verlorenen Partie muss sich der Spieler mit seinen Zügen auseinandersetzen."

Bei den 19 Kindern kommt das Unterrichtsfach Schach gut an. "Das ist viel besser als Mathe. Da muss man ständig rechnen, hier kann man spielen", sagt Max - und war ein paar Sekunden unaufmerksam. Prompt hat ihn Spielpartnerin Shakira Matt gesetzt. Max fordert eine neue Partie.

Detlef Lemke, Mathelehrerein Pries, Klassenlehrerin Eva von Tiesenhausen und Schulleiter Thomas Gerdes sind sich einig: So muss es sein. "Nach drei Monaten Schachunterricht beobachte ich bei den Kindern gewaltige Veränderungen", sagt Eva von Tiesenhausen. "Vor allem die Kinder mit Lernproblemen profitieren. Das Lesen und Schreiben klappt besser, sie machen Fortschritte in fast allen Schulfächern. Nicht nur in Mathe." Kein Wunder, dass der Schachunterricht in der GUGS bei den Eltern auf breite Zustimmung stößt.

Langfristig wollen die GUGS-Pädagogen Schach als Unterrichtsfach etablieren. Das Ziel: In den Zirkel der "Deutschen Schachschulen" aufgenommen zu werden. Bisher gibt es elf Schulen in Deutschland, in denen Schach Pflichtfach ist, zwei davon in Hamburg. Die GUGS wäre Schleswig-Holsteins erste "Schachschule".

Die Experimentierklasse 2bwill aufs Schachspielen nie mehr verzichten. Die Kids haben das "Schachvirus" längst mit nach Hause getragen. Wie die kluge Shakira. Das blonde Mädchen hat zurzeit nur einen Weihnachtswunsch: Ein Schachspiel für Daheim.