Die Welt von oben sehen - der Lebenstraum von Fleestädterin Emmi Märtens. Zu ihrem 97. Geburtstag geht der in Erfüllung.

Heist/Uetersen. "Muss ich mir was auf den Kopf setzen?" fragt Emmi Märtens und fasst sich ins Haar. "Nein, nein", sagt Erika Hiby, umarmt ihre Mutter und geht mit ihr aufs Rollfeld. Der Wind pfeift über den Flugplatz Uetersen, Wolken und Sonne wechseln sich ab und es ist kalt am Mittag auf dem Flugfeld. Doch weder Emmi noch Erika fällt das in diesem Moment auf. Sie denken nur an das, was gleich kommt.

Auf dem Flughafen Uetersen in Heist ging am Muttertag ein besonderer Passagier in die Luft: Emmi Märtens, eine Dame in rosafarbener Bluse, mit akkurat sitzendem grauem Haar, mit unauffällig, schlichten Halskette wollte abheben. Emmi Märtens ist 97 Jahre alt. Die Fleestedterin geht aber locker für 85 durch.

Emmi Märtens wollte noch einmal fliegen in ihrem Leben. "Das ist 'ne Story, was?", fragt sie nicht, sondern stellt sie fest - und lächelt selbstbewusst. Sie weiß, dass ihr Flug an diesem Tag etwas ganz besonderes ist. Eine fliegende 97-Jährige. "Das Alter ist nicht wichtig", sagt sie. Und dann schweigt sie in norddeutsch-zurückhaltender Manier.

Ihre Kinder, Enkel und Freunde hingegen erzählen an diesem Tag viel über die mutige Emmi Märtens. "Sie geht noch immer selbst einkaufen", sagt Tochter Erika. Dafür brauche sie keinen Rollator. Sie nehme stets einen Korb mit. "Das sieht nicht nur besser aus, das hat vor allem Stil", fügt Emmi Märtens knapp hinzu. Sie wohnt in ihrem eigenem Haus in Fleestedt im Kreis Harburg, kocht ihr Mittagessen, deckt den Tisch, putzt, pflegt den Garten. "Wir wundern uns alle", sagt die Tochter.

Auch wie Emmi Märtens die Treppen in die einmotorige Propeller-Maschine nimmt, ist für eine Dame ihres Alters ungewöhnlich: mit Schwung und voller Elan. "Fühlst du dich gut?", fragt die Tochter. "Aber natürlich", sagt die Mutter und setzt sich die Kopfhörer auf.

Ganz vorsichtig, damit sie sich nicht das frisch gelegte Haar ruiniert. Die Idee für das ausgefallene Geburtstagsgeschenk stammt von Enkeltochter Ulrike Hiby. Ihr Mann Harald Pfeffer macht gerade einen Pilotenschein. "Es passt einfach zu Emmi, da haben wir gar nicht lange überlegt", sagt Ulrike Hiby.

Dass Emmi Märtens in ein Flugzeug stieg, ist lange her. "1980 in den Niederlanden. Das war das einzige Mal bis zum heutigen Tag. Mein Mann mochte das Fliegen nicht", sagt die Seniorin. Deshalb reiste sie - bis auf die eine Ausnahme - zeitlebens mit Bahn, Auto oder Schiff. Vermisst hat sie das Fliegen nie. Nur noch einmal in die Lüfte gehen, das war ein Traum und diesen Traum erfüllte ihr die Familie zum 97. Geburtstag Ende April.

Als die Cessna 172 auf die Rasenstartbahn rollt, rauschen Funksprüche durch ihre Kopfhörer. Harald Pfeffer und sein Fluglehrer Addy Altin schauen zu Emmi Märtens, die hinten Platz genommen hat. Die alte Dame lacht die beiden Herren an und sagt: "Wir können jetzt starten." Das Flugzeug hebt ab. Emmi Märtens schaut nach links und nach rechts. Die Rapsfelder auf der Erde werden immer kleiner, die Familienmitglieder, die ihr zuwinken, verwandeln sich in winzige Punkte. Der Pilot nimmt Kurs auf Hamburg, auf den Hafen, der an diesem Tag Geburtstag feiert, und Emmi Märtens sieht die Stadt bei bester Sicht in ihrer ganzen Schönheit. Sie sieht das riesige neue Kreuzfahrtschiff, die "Aida"-Schiffe, sie entdeckt den Michel, die Alster und sogar ihr eigenes Haus in Fleestedt erkennt sie. Da ist sie ganz still. Die Minuten vergehen im Himmel rasend schnell, und was Emmi Märtens gerade denkt, behält sie für sich. Schwindel? Übelkeit? "Nein, Nein. Alles ist toll, ganz toll." Pilot Harald Pfeffer steuert die Cessna Richtung Flugplatz Uetersen. Die Maschine setzt sanft auf.

Die Senior-Passagierin ist zurück auf der Erde. Die Familienmitglieder helfen ihr aus dem Flugzeug. Emmi Märtens, die Tochter, die Enkelin, der Urenkel - alle lachen. Ganz toll und schön war es", sagt Emmi Märtens. Sie fasst sich ins Haar, zieht ein Kopftuch aus der Tasche und bindet es um. Ob es wegen der Kälte oder ihrer Eitelkeit ist, sagt sie nicht. Alle schauen die alte Dame an. Wie schafft sie das nur? In ihrem Alter? "Man muss in Gang bleiben, und ich lese viel", sagt Emmi Märtens. Viel Zeit verbringe sie damit, das Abendblatt zu lesen. Auch das halte sie fit. "Das ist 'ne Story, was?".