Interne Berichte belegen, dass Pinnebergs Bürgermeisterin Kristin Alheit die Missstände in der Stadtkasse lange kannte

Pinneberg. Die Anmerkungen füllen ganze Seiten. Die Warnungen waren eindeutig - gehandelt wurde offenbar nicht. In der Pinneberger Finanzaffäre enthüllen neue interne Berichte des Rechnungsprüfungsamtes, welche Zustände in der Finanzbuchhaltung unter Bürgermeisterin Kristin Alheit, SPD, herrschten. Einer der Autoren der Berichte, der ehemalige Leiter des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), Erhard Stoffregen, äußert sich in einem Interview (Seite 2) erstmals öffentlich und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Verwaltungschefin, die augenscheinlich durch ihr Vorgehen die Situation zusätzlich verschärfte.

Seit April ist bekannt: Pinneberg - mit mehr als 70 Millionen Euro eine der am höchsten verschuldeten Städte Schleswig-Holsteins - sitzt auf mehr als 16 500 offenen Rechnungen mit einem Volumen von mehreren Millionen Euro. Derzeit klärt eine interne Arbeitsgruppe, um wie viel Geld es sich genau handelt, welches verloren, welches noch eingetrieben werden kann. Auch der Landesrechnungshof ist eingeschaltet, durchleuchtet kritisch die Bücher der Stadt auf Fehler und Schlamperei. Insgesamt steht eine Summe von etwa sieben Millionen Euro im Raum. Erst im Sommer ist mit ersten Ergebnissen der umfangreichen Aufklärungsarbeiten zu rechnen.

Die Ursachen dieses Finanzdebakels waren laut den Prüf-Papieren seit Jahren bekannt. Die Berichte, die der Pinneberger Zeitung in geschwärzter Version vorliegen, lesen sich wie eine einzige Mängelliste - abgezeichnet hat sie Verwaltungschefin Kristin Alheit. "Ich habe ihr nicht nur die Berichte vorgelegt, sondern sie in Gesprächen eindringlich vor den Missständen im Rechnungswesen gewarnt", sagt Erhard Stoffregen. Offenbar waren die Mitarbeiter der Finanzbuchhaltung derart überfordert, dass sie für das Tagesgeschäft kaum mehr Zeit fanden.

Schon in einem RPA-Bericht vom 20. Juli 2009 wurde auf "zahlreiche ungeklärte Zahlungseingänge" hingewiesen. Grund sei der "große Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik". Zusätzlich seien Saldo und Bewegungen auf einem der Konten schon damals nicht "schlüssig", monierten die Prüfer und kamen zu dem Urteil: "Aus Sicht des RPA besteht hier erheblicher Schulungsbedarf".

Anscheinend passierte wenig, denn ein Jahr später - am 30. Juni 2010 - legte das Rechnungsprüfungsamt einen weiteren Bericht vor. Wiederholt monierten die Prüfer die Zahl der unklaren Zahlungsvorgänge als "Problemfeld". "Entsprechend (...) ist auf eine zeitnahe Bearbeitung hinzuwirken", forderten die Finanzexperten.

Wie dramatisch schon im vergangenen Jahr die Lage war, zeigt eine Auflistung diverser Verwahrkonten. Können Zahlungen - egal ob Ein- oder Ausgänge - nicht klar zugeordnet werden, werden sie auf diesen Konten zwischengeparkt. Doch statt sie Schritt für Schritt aufzulösen und die Summen zu einzelnen Buchungsvorgängen zuzuordnen, summierten sich schon damals die Vorgänge auf 7,1 Millionen Euro. Obwohl, merkte das RPA an, in vergangenen Prüfberichten mehrfach auf die Thematik hingewiesen wurde. Auch das mehrfach beanstandete Problem der Mahnläufe hätte sich "mittlerweile weiter verschärft".

Doch nicht nur in der Finanzverwaltung der Stadt, sondern auch in der Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Servicebetrieb der Stadt Pinneberg (KSP) kam es zu peinlichen Pannen. Anscheinend wurden mehr als ein Jahr keine Friedhofsgebühren angemahnt, weil die Zuständigkeit nicht geklärt war. "Dabei ist die Sache klar", sagt Erhard Stoffregen im Interview. Laut Gemeindehaushaltsverordnung sei die Stadtkasse zuständig. Auch das RPA kam 2010 zu diesem Schluss, mahnte und forderte: "Die Vollstreckung von KSP-Forderungen sollte unverzüglich aufgenommen werden."

Statt die Probleme zu lösen, die Mahnläufe durchzuführen, kamen die Prüfer in einem Bericht vom 11.April zu dem Urteil, dass sich die Zahl Forderungen "trotz der gegebenen Prüfhinweise" weiter erhöht haben. Per Stichtag im Februar diesen Jahres sammelten sich so allein an Friedhofsgebühren knapp 40 000 Euro an offenen Forderungen einschließlich Mahngebühren und Säumniszuschlägen an. Kristin Alheit räumt nun ein, dass es aus heutiger Sicht erforderlich gewesen wäre, zur Einführung der Doppik mehr externe Trainer und Berater hinzu zu ziehen. "Der Aufwand bei der Umstellung wurde von den Fachführungskräften möglicherweise unterschätzt", sagte sie. Zu den Vorwürfen, sie hätte Ex-RPA-Chef Stoffregen nicht richtig eingebunden, erklärt die Verwaltungschefin: "Die frühere Leitung des Rechnungsprüfungsamtes war weiterhin eingebunden."

Doch nicht nur in den Berichten des RPA, sondern auch in einem Bericht zum Jahresabschluss des KSP, den die Finanzverwaltung der Stadt anfertigte, werden zahlreiche Mängel erwähnt. In einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses Wirtschaft und Finanzen wurde der Bericht einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgestellt. Er befasst sich mit dem Jahresabschluss 2007, der als erster Probelauf für die Einführung der Doppik gilt. Dieser Abschluss musste ein zweites Mal ausgefertigt werden. Grund: Die erste Version entsprach nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Selbst die zweite Version des Berichts sei "verbesserungsbedürftig". Erhard Stoffregen kritisiert im Interview deshalb auch die Politik. Die Experten der Fraktionen hätten schon damals auf die Probleme bei Buchungen und Abwicklung reagieren können. "Das haben wir auch gemacht", sagt CDU-Fraktionschef Michael Lorenz. "Man hatte uns versichert, dass es sich um Start-Probleme handelt wie sie bei Pilotprojekten üblich wären."