Der ehemals oberste Prüfer der Pinneberger Stadtfinanzen macht die Bürgermeisterin für Finanzskandal verantwortlich

Pinneberg. Die Stadt Pinneberg muss bis zu sieben Millionen Euro an Steuern, Abgaben und Forderungen abschreiben. Wie viel Geld tatsächlich verloren ist, welche Forderungen verjährt sind, wird derzeit geklärt. Doch die Ursachen und Verantwortlichen stehen schon jetzt fest. Überlastung und Versäumnisse der Leitungsebene führten zu dem Millionenloch. Das geht aus Prüfberichten des Rechnungsprüfungsamtes hervor. Schon seit Jahren wurde auf die Probleme hingewiesen und vor den Folgen gewarnt, sagt der ehemalige Leiter des Rechnungsprüfungsamtes, Erhard Stoffregen, im Interview. Bürgermeisterin Kristin Alheit, SPD, habe frühzeitig Bescheid gewusst.

Hamburger Abendblatt:

Über Jahre häufte Pinneberg Außenstände in Millionenhöhe an. Es wurden Steuern und Abgaben nicht eingetrieben, Mahnungen nicht verschickt. Dabei ist die Stadt hoch verschuldet. Das Thema Finanzen scheint in der Verwaltung nicht die höchste Priorität zu genießen, oder?

Erhard Stoffregen:

Wenn ich an die offenen Forderungen der Stadt denke, könnte man das bezweifeln. Ja.

Sie waren bis 2010 der oberste Prüfer der Finanzen. War es damit nicht Ihre Aufgabe, solche Missstände zu erkennen und abzustellen?

Stoffregen:

Zu erkennen zum Teil ja, abzustellen nein. Der Leiter des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), ist wie sie schon sagen, ein Prüfer. Wir gehören zu keinem Fachbereich, sind eigenständig und unabhängig. Meine Aufgaben waren: zu kontrollieren, zu kritisieren, Verbesserungsvorschläge zu machen, zu beraten - dies habe ich gemacht. Meine Berichte mit Handlungsempfehlungen habe ich persönlich der Bürgermeisterin vorgelegt.

Frau Alheit hat doch die Probleme in der Verwaltung zur Chefsache erklärt.

Stoffregen:

Nachdem sie von der Presse öffentlich gemacht worden waren und sie so unter Druck geriet.

Die Probleme, die unter anderem zu den hohen Außenständen führten, waren bekannt?

Stoffregen:

Frau Alheit wusste von den Problemen im Rechnungswesen. In meinen Prüfberichten, die ich für die Verwaltungsspitze anfertigte, warnte ich eindringlich. Schon am 20. Juli 2009 berichtete ich von einer unvermuteten Prüfung im Bereich Zahlungsverkehr/Vollstreckung, ...

... in diesem Bereich sind die Forderungen angefallen.

Stoffregen:

Ja. Damals bemängelte ich, dass eine Vielzahl von unbearbeiteten Zahlungseingängen, teilweise Monate alt, existiert. Dabei gibt es klare Vorschriften, diese Vorgänge unverzüglich aufzulösen. Doch das geschah nicht. Das Geld landete auf einem Verwahrkonto und sammelte sich an. Ich spreche hier von Zehntausenden Euro. Zudem waren der Saldo und die Bewegungen auf einem Konto mit einem Volumen von mehr als einer Million Euro nicht schlüssig. Ich habe dringend Schulungen empfohlen, weil ich den Eindruck hatte, dass die Mitarbeiter für die Umstellung des Rechnungswesens nicht ausreichend sattelfest waren. Und ich habe auf die zuständige Leiterin des Fachdienstes verwiesen, in deren Verantwortung dieser Bereich liegt...

..., und die heute Ihren Job macht. Barbara Beckmann ist Leiterin des Rechnungsprüfungsamtes und wurde im März befördert

Stoffregen:

Ja.

Ist diese Personalentscheidung für sie nachvollziehbar?

Stoffregen:

Dazu möchte ich mich nicht äußern

Sind die Fehler durch Unwissenheit, Absicht oder Überforderung der Mitarbeiter entstanden?

Stoffregen:

Absicht schließe ich aus. Alles andere sind Spekulationen, zu denen ich mich nicht äußere. Allerdings, und das ist in diesem Zusammenhang wichtig, hat jeder Vorgesetzte - ob die Leiterin der Stadtkasse, die Leiterin des Fachbereichs oder die Bürgermeisterin eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Wer beispielsweise überfordert ist, muss in seinem Interesse umgesetzt werden.

Wurden die Probleme nach Ihrem Berichten abgestellt?

Stoffregen:

Das ist für mich das Erschreckende: Nein. Auch meine Nachfolger haben in einem Bericht vom 30. Juni 2010 - also ein Jahr später - wieder eindringlich auf die Vielzahl von ungeklärten Zahlungseingängen hingewiesen. Das kritische Fazit meiner Kollegen: "Insgesamt ist festzustellen, dass die Abwicklung unklarer Zahlungsvorgänge, die gemäß § 8 Abs. 2 S.2 DA beschleunigt erfolgen soll, weiterhin ein Problemfeld darstellt." Selbst der Bericht vom 11. April diesen Jahres liest sich wie eine einzige Mängelliste. Die Kollegen bemerken, dass es noch immer keine regelmäßigen Mahnläufe gibt und sich die Situation verschärft hat. Eindeutiger kann man sich nicht mehr äußern.

Kannte die Bürgermeisterin die Berichte?

Stoffregen:

Selbstverständlich. Nicht nur das. Ich habe meinen letzten Bericht mit allen seinen kritischen Passagen auch in einem Gespräch mit Frau Alheit ausführlich besprochen und konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht. Bei zahlreichen Treffen habe ich immer wieder vor den Problemen in der Stadtkasse gewarnt.

Warum ist nichts passiert?

Stoffregen:

Ich muss mich wiederholen: Aufgabe der Prüfer ist es, auf Missstände hinzuweisen. Damit erschöpft sich unsere Arbeit. Das ist nun mal so. Allerdings gab es weitere eindeutige Hinweise auf die Probleme. In einem Wirtschaftsprüfungsbericht zum Jahresabschluss 2007, für den Kommunalen Servicebetrieb der Stadt Pinneberg (KSP), wurde öffentlich in dem zuständigen Fachausschuss Wirtschaft und Finanzen Anfang 2010 über die Probleme und Schwachstellen in der Stadtkasse gesprochen. Es waren also nicht nur der Bürgermeisterin Alheit, sondern auch spätestens 2010 zahlreichen Finanzexperten der Fraktionen die Probleme bekannt. Hier haben viele versagt. Warum also nichts passierte, müssen Sie auch die Politik fragen.

Der Bereich Zahlungsverkehr und Vollstreckung verwaltete Aufgaben des Kommunalen Servicebetriebs der Stadt Pinneberg. Die Zusammenarbeit muss hochproblematisch gewesen sein. Denn mittlerweile hat der Bauhof eine eigene kleine Finanzbuchhaltung.

Stoffregen:

So ist es. Gewisse privatrechtliche Forderungen, zum Beispiel Friedhofsgebühren, wurden laut den Rechnungsprüfungsamt-Berichten aus dem Jahr 2010 und 2011 gar nicht angemahnt. Es dauerte ein Jahr - das muss man sich vorstellen - ein Jahr, bevor überhaupt klar war, wer für das Mahnwesen zuständig ist. Dabei ist in der Gemeindehaushaltsverordnung klar geregelt, wer für die Mahnläufe zuständig ist: Die Stadtkasse beziehungsweise der Bereich Zahlungsverkehr/Vollstreckung. Sie müssen bedenken, dass der Kommunale Servicebetrieb das Pilotprojekt der Stadt für die Umstellung von der kameralistischen auf das doppische Rechnungswesen war.

Hat sich die Kritik negativ auf ihr Verhältnis zu Bürgermeisterin Kristin Alheit ausgewirkt?

Stoffregen:

Nein. Das glaube ich nicht. Aber generell änderte sich nach Amtsantritt von Frau Alheit eine Menge, meine Arbeit wurde mir dadurch nicht leichter gemacht.

Was heißt das?

Stoffregen:

Die Bürgermeisterin führte neue Strukturen ein, die meine Arbeit erschwerten. Unter dem ehemaligen Bürgermeister Horst-Werner Nitt trafen sich die vier Fachbereichsleiter und der Leiter des Rechnungsprüfungsamtes regelmäßig. Ich war bei allen wichtigen Treffen dabei und nahm meine Aufgabe wahr, beratend tätig zu sein. Wir sprachen in diesen Runden Probleme an, diskutierten. Doch die neue Bürgermeisterin Alheit wollte vieles anders machen. Sie verschlankte die Runde. Ab sofort war ich nicht mehr anwesend, sondern informierte in wöchentlichen Einzel-Treffen. Es war eine eher einseitige Kommunikation.

Die Informationen, die sie für Ihre Arbeit brauchten, bekamen Sie also weder von den Fachbereichen noch von der Bürgermeisterin?

Stoffregen:

Die Kommunikation war unbefriedigend, einige Informationen sind so an mir vorbeigegangen, oder aber ich habe sie viel zu spät erfahren. Dann hatte ich keine Gelegenheit mehr zu einer kritischen Stellungnahme. Das ist symptomatisch vor allem für die Leitungsebene der Verwaltung.

Sie sprechen die Stimmung an?

Stoffregen:

Ja. Viele - auch ich - hatten gehofft, Bürgermeisterin Alheit würde sich für ein besseres Klima in der Stadtverwaltung einsetzen und die Zusammenarbeit der Fachbereichsleiter verbessern. Bis zu meinem Ausscheiden ist dies leider nicht passiert. Für die Größe - die Stadtverwaltung ist vergleichbar mit einem mittelständischen Betrieb - halte ich das für äußerst problematisch. Die Bürger können erwarten, dass sich die Verwaltung nicht mit sich, sondern mit den Problemen der Menschen beschäftigt. Dafür wird sie auch aus ihren Steuergeldern bezahlt.

Herr Stoffregen, wie danken Ihnen für dieses Gespräch.

Erhard Stoffregen: Der 66-Jährige pensionierte Beamte hat von 2001 bis 2010 als Leiter des Rechnungsprüfungsamtes der Pinneberger Stadtverwaltung gearbeitet. Zu seinen Aufgaben zählte die Prüfung der Jahresrechnung, die Prüfung der Stadtkasse und die Beratung der Verwaltung. Zuvor war er 18 Jahre Leiter des Sachbereichs Personalwesen der Stadt. Die ersten 22 Jahre seiner Berufszeit verbrachte er in der Hamburger Schulbehörde. Der gebürtige Elmshorner ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt heute in Ellerhoop.