Beim Niedergang der Regio-Häuser wurden Verwaltung und Politik laut Landesrechnungshof bewusst getäuscht. Verluste in Millionenhöhe.

Kreis Pinneberg. Es ist ein Lehrbeispiel für die Manipulation von Verwaltung und Politik: Volksvermögen in Millionenhöhe ist verschleudert worden. Das mit 2500 Mitarbeitern größte Unternehmen des Kreises Pinneberg wurde für einen Dumpingpreis fast vollständig privatisiert. Die verantwortlichen Personen entzogen sich dabei praktisch jeder Kontrolle, indem sie die Aufsichtsgremien entweder gar nicht, falsch oder erst nachträglich informierten. Was der Landesrechnungshof (LRH) über den Niedergang der Regio-Kliniken zu Tage förderte, ist in diesem Ausmaß wohl beispiellos. Die Hauptakteure sind längst nicht mehr im Amt - die politische Aufarbeitung beginnt erst jetzt. Der Kreistag befasst sich am Mittwoch, 18. Mai, mit dem Bericht.

Die Stellungnahme der Kreisverwaltung ist entlarvend. Demnach waren wichtige Kontrollinstanzen wie das Rechnungsprüfungsamt (RPA) und das Beteiligungsmanagement praktisch ausgeschaltet. Trotz Anmahnung erfuhren diese Stellen und auch die Gremien des Kreistages meist erst hinterher, wenn wieder mal Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Altenheime, private Pflegedienste, Sanitätshäuser, Fitnessstudios, Reha-Einrichtungen oder Reinigungsdienste gegründet oder übernommen wurden. Dieser Expansionskurs, den der ab 2007 alleinige Geschäftsführer Alexander Schlick Ende 2006 einleitete, führte zu 22 Tochtergesellschaften, die fast alle unwirtschaftlich arbeiteten und 2008 und 2009 zu einem Defizit von rund 22 Millionen Euro beitrugen und das Eigenkapital, das 2007 noch 16,9 Millionen Euro betrug, auffraßen. Dabei soll Schlick ohne Ausschreibung Firmen bevorzugt haben, weshalb die Staatsanwaltschaft bereits 2009 ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption eingeleitet hat. Dieses ist noch nicht abgeschlossen. Eine Firma konnte für ein Dutzend Projekte sieben Millionen Euro abrechnen.

Als das interne Controlling Mitte 2008 Alarm schlug und den Betriebsverlust mit 9,8 Millionen für 2008 fast punktgenau vorhersagte, wies Schlick es zunächst an, die Zahlen zu schönen, um es dann gänzlich auszuschalten. "Die Entscheidung des Geschäftsführers Schlick, Berichtswesen und Kostenstellenrechnung einzustellen, war unverantwortlich", urteilt der Prüfbericht und folgert: "Die dem Aufsichtsrat vorgelegten Daten täuschten eine positive wirtschaftliche Entwicklung vor, von der bereits bei der Erstellung der Erfolgsplanungen bekannt war, dass sie kaum erreicht werden konnte." Statt der tatsächlichen Millionenverluste (MVZ: 4 Millionen, Haus Elbmarsch: 6,2 Millionen, Altenheim Kummerfeld: 2 Millionen, Villa Mühlendamm: 1,3 Millionen, Sale-and-Lease-Back: 4,8 Millionen) wurde da von schwarzen Zahlen gesprochen. "Aufsichtsrat und Kreis konnten damit ihren Aufgaben nicht sachgerecht nachkommen. Sie erhielten entweder gar keine oder falsche Zahlen", stellen die Landesprüfer fest.

Der Aufsichtsratsvorsitzende, Landrat Wolfgang Grimme, war davon angeblich ausgenommen. Nach den dem Rechnungshof vorliegenden Unterlagen und dem E-Mail-Verkehr "waren der Geschäftsführer und der Aufsichtsratsvorsitzende unmittelbar an den Erfolgsplanungen beteiligt".

Statt sich mit den zuständigen Stellen im eigenen Haus zu beraten, zog Grimme externe Berater und Gutachter hinzu, wenn es um "die Neuaufstellung der Unternehmensfinanzierung sowie die Verhandlungen mit den Banken" ging, schreibt die Kreisverwaltung in ihrer Stellungnahme.

Getäuscht wurden Aufsichtsrat, Politik und Öffentlichkeit auch über den wahren Hintergrund des Sale-and-Lease-Back-Finanzierungsmodells, das wesentlich zur Schieflage des Klinikbetriebes beitrug. Offiziell sollten damit die angehäuften Verbindlichkeiten von 75 Millionen Euro abgelöst werden. Tatsächlich war dies wohl die einzige Alternative, weiter an Geld zu kommen. Denn ein Kreditinstitut, bei dem Regio mit fast 40 Millionen Euro kurzfristigen Krediten in der Kreide stand, drehte zum 31. Juli 2008 den Geldhahn zu. Ein anderes verlangte, den Klinikbetrieb zu privatisieren, wie der LRH herausfand. Doch dafür gab es 2007/08 noch kein politisches Mandat. Dies änderte sich erst ab Mai 2009, als die Millionen-Verluste öffentlich wurden.

Nun war auch die Politik für die Privatisierung sturmreif geschossen. In wenigen Wochen wurde ein Bieterverfahren eingeleitet, bei dem die Verwaltung und sogar eigene Krankenhausexperten ausgeschlossen wurden. Eine Anwaltskanzlei entwickelte die Zuschlagskriterien, ohne dass die Politik vorher zustimmte. Am 15. Juli 2009 beschloss der Kreistag den Verkauf an die Sana AG. Sana zahlte 2,5 Millionen Euro für einen 74,9-Prozent-Anteil eines Unternehmens mit einem Verkehrswert von 102 Millionen Euro. Zu wenig, urteilt der Landesrechnungshof. "Die Angemessenheit des Verkaufspreises ist zweifelhaft. Dem Kreis Pinneberg ist ein erheblicher Vermögensverlust entstanden."

Ex-Landrat Grimme soll auch persönliche Vorteile gehabt haben, so die Prüfer. So wohnte er zeitweise in einer Wohnung der Klinik Wedel, wofür er statt 350 nur 200 Euro monatliche Miete zahlte, und fuhr privat den BMW X5 seines ausgeschiedenen Klinik-Prokuristen für 10,21 Cent je Kilometer, obwohl die Leasingrate 29,88 Cent betrug.

Zu diesen Vorwürfen war Ex-Klinikchef Schlick nicht zu erreichen. Grimme sagt: "Ich kenne den Bericht nicht und kann dazu nichts sagen." Zur Nutzung der Wohnung und des Fahrzeugs sagt er: "Das habe ich ordentlich gemäß Vertrag bezahlt." Ob es angemessen war? "Ich bin nicht der Buchhalter der Regio-Kliniken."