Norderstedt. Vereine in Norderstedt und Umgebung verzeichnen großes Interesse. Warum das so ist – und was von DFB und Öffentlichkeit erwartet wird.

Juli 2022. Die deutschen Fußballfans haben sich verliebt. In die Nationalmannschaft. Allerdings nicht in die der Männer, die sich auf dem Weg zur Winter-WM in Katar durch die Vorbereitung rumpelt. Sondern in das von Martina Voss-Tecklenburg trainierte Frauenteam, das bei der EM in England mit herzerfrischendem Offensivfußball und sympathischem Auftreten begeistert, erst im Endspiel von den Gastgeberinnen gestoppt wird und als Europameister der Herzen in die Heimat zurückkehrt.

August 2023. Die deutschen Fußballfans sind bitter enttäuscht, wenn nicht gar geschockt. Und zwar nicht, weil das Männerensemble nach wie vor desolate Leistungen abliefert. Jetzt schwächeln auch noch die Frauen: Bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland scheidet die DFB-Elf in der vermeintlich leichtesten Vorrundengruppe aus, agiert dabei viel schwächer als ein Jahr zuvor auf der britischen Insel.

Umfrage: Stoppt WM-Flop den Aufwärtstrend im Frauen- und Mädchenfußball?

Während der WM surft die Truppe auf einer Welle der Euphorie; beim Auftaktmatch gegen Marokko sitzen durchschnittlich 5,61 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer (Marktanteil: 60,4 Prozent) vor den TV-Geräten, beim 1:2 gegen Kolumbien (10,4 Millionen/61,6 Prozent) und beim 1:1 gegen Südkorea (8,06 Millionen/63,5 Prozent) wird diese Marke zweimal getoppt. Doch dann passiert das, womit vor dem Turniers kaum jemand gerechnet hat. Der vermeintliche Titelaspirant ist raus ohne Applaus.

Die Frage, die sich viele stellen: Hat das schlechte Abschneiden in Down Under Auswirkungen auf die positive Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs in Deutschland, folgt auf den spürbaren Aufwärtstrend ein Crash? Das Hamburger Abendblatt hat sich bei Trainern und Spielerinnen aus der Region umgehört.

Nordlichter-Spielerin: „Mir fehlte ein wenig der letzte Wille“

„Ich hätte mir ein Weiterkommen gewünscht, das Vorrunden-Aus ist schon traurig. Mir fehlte da ein wenig der letzte Wille“, sagt Jennifer Bauer, Spielerin in der ersten Frauenmannschaft der Nordlichter im NSV und Co-Trainerin der B-Juniorinnen. „Bei uns sind einige neue Gesichter dazugekommen. Gerade die öffentliche Wahrnehmung ist sehr wichtig, um den Fokus mehr auf den Frauenfußball zu richten.“

Ihr Trainer Thorsten Ukatz ergänzt: „Ich hatte gehofft, dass Deutschland das Halbfinale erreicht. Es ist einfach unglücklich gelaufen. Man hat zwei Spiele leichtfertig aus der Hand gegeben. Aber es sind ja auch andere große Nationen wie zum Beispiel Brasilien ausgeschieden.“

Vera Homp vom SV Henstedt-Ulzburg ist seit vielen Jahren eine der besten Fußballerinnen im Kreis Segeberg und in Schleswig-Holstein.
Vera Homp vom SV Henstedt-Ulzburg ist seit vielen Jahren eine der besten Fußballerinnen im Kreis Segeberg und in Schleswig-Holstein. © Thomas Maibom

Verein hat alle Altersklassen besetzt – von Kindern bis zu den Damen

Den Status quo bei den Nordlichtern im NSV bewertet Ukatz ungeachtet des WM-Desasters positiv. „Das Interesse wächst. Es kommen immer mehr Frauen und Mädchen bei uns vorbei, wollen selbst kicken, Teamspirit erleben. Wir haben von der F-Jugend bis zu den Damen alle Altersklassen besetzt, das sind mehr als 125 Spielerinnen. Wir wachsen stetig. Natürlich wünschen wir uns, dass es so weitergeht. Jetzt haben wir das erste Mal in der C-Jugend eine Mannschaft für das 11er-Feld zusammen. Das ist schon eine tolle Entwicklung, die wir hier durchlaufen.“

Deutlichen Rückenwind verspürt auch Christian Jürss, der Coach der Regionalliga-Frauenmannschaft des SV Henstedt-Ulzburg: „Bei uns wird im Nachwuchsbereich richtig gute Arbeit geleistet, viel läuft zudem über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir freuen uns über regen Zulauf, es geht stetig aufwärts.“

Vera Homp: Frauenfußball durch Proficlubs auf gutem Weg

Einer der Gründe sei sicherlich das gestiegene Medieninteresse. Und: „Nationalspielerinnen wie Alexandra Popp, Lena Oberdorf, Giulia Gwinn oder Merle Frohms sind mittlerweile einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und Vorbilder für die Kids.“ Bemerkenswert: Auch der SVHU kann nach mageren Jahren wieder alle Altersklassen besetzen. Besonders wichtig sind dabei die B-Juniorinnen. Denn ohne diese Mannschaft und ein zweites Frauenteam dürfte der Verein nicht in der Regionalliga Nord starten.

SVHU-Stürmerin Vera Homp, die von 2011 bis 2012 beim 1. FC Lok Leipzig in der Bundesliga spielte und mit der deutschen Polizei-Nationalmannschaft 2016 und 2022 Europameisterin wurde, sieht den Frauenfußball aktuell vor allem im Leistungsbereich auf einem guten Weg. „Die großen Proficlubs in Deutschland nehmen sich immer mehr des Themas an, die Zuschauerzahlen in den Stadion steigen, im Fernsehen werden Highlight-Spiele übertragen, die Doku „Born for this“ hat für viel Interesse gesorgt – ich hoffe, dass das so weitergeht.“

TuRa Harksheide: „Die Aufmerksamkeit ist riesig, kaum vergleichbar mit vor 15 Jahren“

Im Frauenbereich in Henstedt-Ulzburg habe es indes in den vergangenen Monaten keine extremen Veränderungen gegeben. „Wir spüren keine großen Auswirkungen eines Booms“, so Homp, „da ist schon noch etwas Luft nach oben. Beispielsweise war in der vergangenen Regionalliga-Saison bei uns nur richtig was los, als wir gegen den HSV gespielt haben.“

Nina Wojna, Kapitänin der Frauenmannschaft von TuRa Harksheide, hat schon ganz andere Zeiten erlebt. „Man merkt, dass es von Jahr zu Jahr mehr interessierte Spielerinnen gibt, die gerne bei uns kicken würden. Die Entwicklung ist großartig. Obwohl es bis vor vier Jahren kein Frauenteam im Verein gab, haben wir es geschafft, eine Mannschaft aufzubauen, die es geschafft hat, zweimal aufzusteigen und nun in der Landesliga spielt. In der gesamten Fußballwelt haben die EM und die WM in meinen Augen auf jeden Fall einen positiven Schub verursacht. Die Stadien sind überwiegend ausverkauft, die Begegnungen werden im Fernsehen übertragen. Die Aufmerksamkeit ist einfach riesig und kaum vergleichbar mit den Turnieren vor 15 Jahren.“

Lewe Timm stieg mit dem Hamburger SV kürzlich in die 2. Frauen-Bundesliga auf – danach trennte sich der Verein überraschend von ihm.
Lewe Timm stieg mit dem Hamburger SV kürzlich in die 2. Frauen-Bundesliga auf – danach trennte sich der Verein überraschend von ihm. © Thomas Maibom

TuRa will zeitnah Mannschaften bei den Bambinis gründen

Florian Beug, Koordinator für Frauen- und Mädchenfußball sowie Trainer des Frauenteams von TuRa Harksheide, freut sich über die Entwicklung bei seinem Verein: „Der Zulauf ist in diesem Sommer relativ groß. Wir haben acht fixe Neuzugänge und noch mindestens drei weitere Spielerinnen im Probetraining. Das hat mit der Verpflichtung meines neuen Trainerpartners zu tun, er bringt diverse Spielerinnen von seinem Ex-Verein mit.“

Es gibt aber noch einen zweiten Faktor: „Zum anderen hängt das aber sicher auch mit unserem Aufstieg in die Landesliga zusammen. Ergänzen muss man auch, dass wir künftig wieder eine Mädchenmannschaft mehr haben werden als zuletzt“, so Beug, „das liegt an den hohen Zulaufzahlen von der D- bis zur B-Jugend. Ich hoffe, dass wir zeitnah auch im Bambini- und F-Mädchen-Bereich wieder Mannschaften gründen können.“

Frauenfußball: „Boom nicht nur bei uns, sondern in vielen Ländern auf der Welt

Trainer Lewe Timm, der die Frauenmannschaft des Hamburger SV gerade erst in die 2. Bundesliga geführt hat und kurz vor Beginn der Saison 2023/2024 geschasst wurde, ist Optimist. „Der Boom im Frauenfußball lässt sich ja schon seit längerer Zeit unter anderem an den TV-Einschaltquoten ablesen“, sagt er, „das war auch bei dieser Weltmeisterschaft wieder so. Das Ausscheiden der deutschen Mannschaft ist sicherlich nicht förderlich, aber wir müssen sehen: Es gibt nicht nur bei uns einen Boom in Frauenfußball, sondern auch in vielen anderen Ländern auf der Welt. Die Öffentlichkeit, die Aufmerksamkeit sind da. Und Mädchen und Frauen werden bei uns nicht nur durch den Erfolg der Nationalmannschaft motiviert, Fußball zu spielen.“

Seine Hoffnung: „Wenn die Strukturen so professionalisiert werden, dass es Mädchen und Frauen einfach gemacht wird, Fußball zu spielen, die Medien ihren Job machen und den Frauenfußball weiterhin öffentlich sichtbar machen, kann dieser trotz dieses bitteren Ausscheidens eine positive Zukunft haben.“