Um 1.30 Uhr kommen die Masters-Sieger zurück in ihre Heimatgemeinde im Kreis Segeberg und werden dort begeistert in Empfang genommen

Hartenholm. Die ehrwürdige „Linde“ ist bereit zur Explosion. Spät nach Mitternacht stürmen die Späher aufgeregt in das Gasthaus in der Dorfmitte. „Sie kommen!“ Ungeduldig harren geschätzt mindestens 300 Fans in einem Raum aus, den schon 100 Menschen mehr als ausfüllen. Eine Stunde zuvor ist der Mannschaftsbus des TuS Hartenholm vom Parkplatz an der Kieler Sparkassen-Arena in Richtung Heimat gerollt. Es wird die größte Partytour, die der Verein je erlebt hat.

Mehr als einen Triumph beim Lotto-Masters in der Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein können Amateurfußballer in Deutschland nicht erreichen – und die Hartenholmer, denen zunächst einmal niemand eine Chance eingeräumt hatte, haben diesen Olymp tatsächlich erklommen.

Mit dem schweren Wanderpokal in beiden Händen bahnt sich Kapitän Martin Genz um 1.30 Uhr den Weg durch die Menge, begleitet von einer riesigen Fahne in den Farben des Clubs. Dahinter dicht an dicht alle weiteren Spieler, sie alle erklimmen im Gedränge die Bühne und geben den Startschuss für eine denkwürdige Party. Um 7.30 Uhr seien die letzten Hartenholmer nach Hause gegangen, so erzählt man es sich am Sonntag. Wer den Cup mit ins Bett genommen hat? Niemand kann sich erinnern.

Allerdings melden sich viele der unverhofften Helden nach dem Aufstehen etwa auf Facebook, versuchen dort in Worte zu fassen, was sie vollbracht haben. Innerhalb eines Tages klicken in dem sozialen Netzwerk übrigens rund 300 neue Benutzer auf „Gefällt mir“ beim Profil des TuS Hartenholm, der im Norden offenbar einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat. „Wenn man schon nach Kiel fährt, dann muss man auch den Titel holen“. Diese flapsige Botschaft steht über einem Kabinenfoto, das nach dem Finalcoup gegen den VfB Lübeck entstanden ist.

Rückblende. 18 Stunden vorher kommen Mannschaft und Trainerteam schon einmal in der „Linde“ zusammen, zum Mittagessen vor dem großen Turnier. Auf Wunsch gibt es Roastbeef auf Toast. Ernährungswissenschaftlich gesehen genau die falsche Mahlzeit für Leistungssportler, aber auch das passt ins ungewöhnliche Gesamtbild.

Die eigentlich sowieso vollkommen absurde Vorstellung, dass ausgerechnet derjenige Verein beim Masters eine prägende Rolle einnehmen könnte, der sich als letzter Club qualifiziert hat, wagt zu diesem Zeitpunkt niemand auch nur zu denken.

Mit dem 0:2 zum Auftakt gegen Titelverteidiger ETSV Weiche Flensburg startet Hartenholm dann auch relativ erwartungsgemäß – bemüht und leidenschaftlich, aber gleichermaßen etwas naiv und glücklos. Beim enorm prestigeträchtigen Turnier tun sich Debütanten oftmals schwer, weil die für Amateure imposante Kulisse lähmend wirken kann.

Kann, aber nicht muss. Das 1:0 von Jannik Holz nach 20 Sekunden gegen Eutin 08 im zweiten Gruppenmatch befreit die Köpfe, die Hartenholmer werden ein unangenehmer Kontrahent, agieren zunehmend cleverer und geduldig, wie die späten Treffer in den entscheidenden Begegnungen beweisen. „Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass uns die Gegner spielerisch erdrücken würden. Aber die Regionalligisten und Drittligist Holstein Kiel haben überraschend verhalten gespielt“, sagt Coach Jörg Schwarzer.

Die von ihm geforderte Frechheit siegt. Ansonsten überlässt er die Spieler bewusst sich selbst, schaut die Begegnungen fast schon andächtig aus zentraler Position hinter dem Tor an. Es scheint fast so, als wolle er in aller Ruhe sein Karriere-Highlight inhalieren.

Wer den TuS nach dem Sieg im Halbfinale beobachtet, sieht ein gelöstes Team, das sich gemeinsam mit Sängerin Susan Albers fotografieren lässt und fast schon übermütig den im Eingangsbereich deponierten Pokal inspiziert. Die vermeintlich „Großen“ sind auf Normalmaß geschrumpft, die eigene Zuversicht ist ins Unendliche gestiegen. Der Rest ist nun Sportgeschichte.